EMPFEHLUNG, REVIEW

WISBORG „From The Cradle To The Coffin“ (Goth Rock)

WISBORG

„From The Cradle To The Coffin“
(Goth Rock)

Wertung: Sehr gut

VÖ: 29.03.2019

Label: Danse Macabre Records

Webseite: Homepage / Facebook

Gerade mal 11 Monate liegt es zurück, als ich das Debüt des Hannoveraner Duos (Konstantin Michaely & Nikolas Eckstein) rezensieren durfte, da liegt schon das nächste Album vor. Und ich kann sagen: Man hat die enorm hohe Qualität des Erstlings behalten und nuanciert klangstabile Verbesserungen eingefügt. Erneut begeistert das wunderschöne Timbre von Sänger Konstantin Michaely, welches heuer noch stärker mit der Interpretation von Gefühlswelten beeindruckt. Immer wandernd auf dem schmalen Grat zwischen Verzweiflung, Hingabe und unterschwelliger Aggressivität.

Mit „Danse Macabre“ leitet eine wehmütige Pianoballade das Werk ein. Auf diesem vehementen Tastenteppich klingt der Gesang auf dem ersten Ohr fast zweistimmig. Diese Tastenvariation erklingt auch als Outro und umrahmt somit würdig das Zweitwerk der Hannoveraner, wobei der orchestrale Effekt auch des öfteren in den samtenen Gesamtsound integriert wird. Wisborg gelingt dabei das Kunststück, das Arrangement dem Altar des Bombast als Opfergabe zu überlassen, während gleichwohl die nuancierte Schwermut immer im Fluss ist. Hernach scheint Dr. Avalanche die Kellertreppe herauf zu kommen und den Goth Rock mit einer treibenden Rhythmik ans Lichte zu bringen. Und dann besetzt dieser eindringliche Gesang die Manege und lässt die durchdringenden Kompositionen mit Romantik kokettieren. Konstantin gelingt es, die Melange aus sensiblen Tonagen und latent eingesetzter Rauheit perfekt in das leicht aggressive Inferno zu integrieren. Ja… es geht auch mal wütend.

Das folgende „dont dig deep in the shallow“ ist aufgrund der harschen Saitenarien den härteren Stücken des Albums zuzuordnen. Zu Beginn verschlägt es das Stück kurzzeitig in Industrial Rock Gefilde. Eingepflegte Breaks, metallene Energie und die Umarmung von Experiment und Eingängigkeit vervollständigen das Stück.

„The Reaping“ besitzt dann wieder diese Schwere, wobei die Gitarren hier ein wenig doomig rüber kommen. Passend zum Text wird das Arrangement von einer atmosphärischen Eleganz durchzogen, welche durchaus eine phobische Enge in den Gehörgängen erzeugen. Geschickt spielt man mit dem Zuhörer, der kurzzeitig in der Mitte denkt, der Song wäre zu Ende, stattdessen erklingt ein Zwischenspiel, welches als Blaupause dient. Die Metapher der Ernte führt textlich nicht zum gewollten Ertrag. Statt Gewinn bleibt nur Verlust.

Sehr ruhig und getragen geht es mit der minimalistischen Piano Ballade „Vanitas“ weiter und liefert damit den perfekten Übergang in das schleppende „Blood is Life“, welches mit geschickten Laut/Leise Variationen einen Spannungsbogen erzeugt.

Das Wort „Doom“ versteckt sich bei „Sardonic Loughter of doomed Lover“ nicht nur im Text. Musikalisch irgendwo zwischen Type O oder Candlemass beheimatet erzeugt man eine gefühlvoll-düstere Atmosphäre, welche in typischer Wisborg-Manier mit einer bedrückenden Komponente gesegnet ist.

Trotz des Titels geht es in „Apocalypse“ nicht um Verlust sondern um Lust. Ein treibender und tanzbarer Dark Rock Song, wobei die Melodielinie und das Timbre fast lieblich daherkommt. Dreieinhalb Minuten pure Energie.

Zum Schluss gibt es mit „Cruelty of Time“ ein wenig nihilistische Aphorismen („Oh, I don’t want do die, but if I could have chosen. I am not quite sure, if I’d have wanted to be born“) in bester Cioran-Tradition.

FAZIT: Das Duo scheint das Studio zum Laboratorium umfunktioniert zu haben. So gibt es reichlich Experimente, welche sich ins Songwriting eingeschlichen haben. Die synthetische Komponente wird im Vergleich zum Debüt etwas zurückgeschraubt und auch die verführerischen Melodien werden des Öfteren durch spannungsaufbauende Zwischenspiele unterbrochen. Trotzdem funktioniert das Gesamtkonstrukt wie eine Schweizer Uhr: Ein Rädchen greift ins andere. Auch wenn insgesamt die dramatischen Tonagen die Szenerie bestimmen, lässt man den staunenden Hörer immer wieder zwischen einem Wall of Sound und klanglichen Finessen pendeln. Wisborg bleiben sich treu und könnten heuer jeden gruseligen Stummfilmklassiker perfekt vertonen. Wobei, der Band gelingt es, Metropolis und Dracula Filme mit Christopher Lee zu vereinen und dabei ohne übertriebene Effekthascherei dem schwarzen Herz ein Klangcocktail zu mixen, welcher betörend im Schwebezustand zwischen Neuzeit und 80er das Zuhause gemütlich einrichtet, die chronologische Verortung aber in die subjektiven Gehörgänge des jeweiligen Zuhörers legt. (andreas)