EMPFEHLUNG, REVIEW

NAGELFAR „Vinyl Box“ (Black Metal)

NAGELFAR

„Vinyl Box“
(Black Metal)

Wertung: Empfehlung!

: März 2017

Label: Ván Records

Webseite: Ván Records

Im März erschien der heilige Gral des deutschen Black Metal… Ván Records haben das Gesamtwerk von NAGELFAR auf Vinyl und CD veröffentlicht!

Kaum ging die limitierte Box mit allen Alben, Demos und einer umfassenden Compilation in den Vorverkauf, war sie auch schon weg. 100 Exemplare gingen mehr oder minder über Nacht über den virtuellen Tresen und viele schauten in die Röhre, die sich eine feine Box ins Regal stellen wollten. Aber anders, als man es von Ván gewohnt ist, hat man sich glücklicher Weise entschieden, eine zweite Auflage zu veröffentlichen, die sich in Vinylfarbe und der Farbe des Drucks (Gold bei der Erst- und schwarz bei der Zweitpressung) auf der stabilen Box unterscheidet; da man wiederum nur eine limitierte Auflage produzieren lies (150 Exemplare), war sie, wenig überraschend, ebenfalls ruck-zuck ausverkauft. Ärgern sollte sich aber niemand, denn immerhin kann man die LPs auch einzeln entweder in einer normalen oder aufgebrezelten Lavish Edition im Ván-Store ordern (solange der Vorrat reicht, hehe). Somit muss man den Schmarotzern, die die Box via ebay oder Discogs zu astronomischen Preisen verhökern wollen, nicht unbedingt seine Kohle in den Arsch schieben.

Ausgestattet war / ist die Box recht opulent: die Box, die alle Alben enthält, ist sehr stabil und mit dem NAGELFAR-Schriftzug im typischen Heißfoliendruck versehen; der erste Eindruck ist also extrem hochwertig. Die Aufmachung der LPs selbst (11 Stück an der Zahl!) entspricht den normalen Versionen, mit Ausnahme der exklusiven Vinylfarbe (rot bei der ersten und brombeer-marble bei der zweiten Auflage).

Jedes Album, logischer Weise auch außerhalb der Box, um die es jetzt nicht mehr gehen soll und kann, enthält ein großes Booklet, in dem man neben den Texten, Credits und Fotos auch einige Hintergründe zu dem Album erfahren kann. Wenn ich mit aller Macht ein Haar in der Suppe suchen sollte, finde ich es hier: die Linernotes hätten für meinen Geschmack noch viel ausführlicher daherkommen dürfen, denn schließlich haben wir es mit einem echten Stück Black Metal-Geschichte zu tun! Aber das ist Jammern auf höchstem Niveau und ist ausschließlich durch meine Neugier begründet.
Enthalten ist ebenfalls jeweils ein zweiseitiges Poster mit dem Coverartwork auf der einen und einem Nachruf auf Andreas Lacher von Kettenhund Records auf der anderen Seite. Viel deutlicher hätte man die Verbundenheit zu Andreas nicht ausdrücken können, der über sein Label der Welt „Hünengrab im Herbst“ und „Srontgorrth“ geschenkt hat.

Die Qualität der Cover, Booklets, Poster und die Pressqualität des Vinyls ist hervorragend und somit ist die Box bzw. die einzelnen LPs jeden Cent wert.

Nun widmen wir uns den enthaltenen Alben:

„Als die Tore sich öffnen“ ist das erste Demo aus dem Jahr 1995 und als Einzel-LP enthalten. Bereits hier wird deutlich, was für eine besondere Band NAGELFAR war, denn es enthält neben „Seelenland“ und „Fressen der Raben“ bereits den ersten Teil des „Srontgorrth“-Epos namens „Kapitel 1: Als die Tore sich öffnen…“.

Musikalisch roh und brutal, hat man es bereits auf dem Demo geschafft, eine großartige Atmosphäre zu erschaffen, die sich ganz besonders bei „Als die Tore sich öffnen…“ bemerkbar macht. Der Keyboardeinsatz verleiht diesem Stück noch eine weitere Dimension, die neben dem garstigen Black Metal zu bestehen weiß. Aus heutiger Sicht ist es beinahe erschreckend, im positiven Sinne, wie ausgefeilt das Songwriting bereits war, denn so einen Epos wie „Als die Tore sich öffnen…“ schüttelt man sich nicht aus dem Ärmel, wenn man nicht weiß, was man tut.

Es ist gleichsam das erste Zeugnis, dass man mit Jander einen absoluten Ausnahmefrontmann gefunden hat; seine Art zu singen und schreien ist für mich untrennbar mit dem gesamten Genre verbunden! Ja, ich bin ein wahrer Fanboy von Jander…

Die Soundqualität ist für ein Demo ansprechend und wurde offensichtlich nicht unnötig verschlimmbessert. Mir gefällt die Möglichkeit, die Songs im Demo-Stadium auf hochwertigem Vinyl genießen zu können, zeigt es doch schon auf, wozu die Band fähig ist.

Die nächste Einzel-LP „Jagd“ enthält das 1996er Demo mit den Songs „Skölls Jagd“, „Nacht der Rache“ und dem zweiten Kapitel der „Srontgorrth“-Saga „Kapitel 2: Die Existenz jenseits der Tore“. Tontechnisch noch besser, als „Als die Töre sich öffnen…“ ballert die Band scheinbar noch aggressiver ihre Ideen in die Welt. Mein Highlight des Demos ist „Srontgorrth – Kapitel 2: Die Existenz jenseits der Tore“, da man der Leidenschaft eine Geschichte nicht nur zu erzählen, sondern auch adäquat zu vertonen, freien Lauf lässt, wobei das Demo als Ganzes extrem stark ist, da auch die beiden anderen Songs killen. Die Leidenschaft, mit der man die Musik zelebriert wirkt auch heute noch ansteckend und immer wieder denke ich bei NAGELFAR an den Satz aus „Metropolis“: „Der Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein“.

Es ist kaum verwunderlich, dass das Label Kettenhund Records sich die Band nach der Veröffentlichung geschnappt hat.

Achtung, Trommelwirbel! Jetzt kommt das beste (deutsche) Black Metal-Album aller Zeiten: „Hünengrab im Herbst“ aus dem Jahre 1997 (Doppel-LP im Gatefold). Falls mal Außerirdische landen und mich nach meinem Lieblings-Black Metal-Album fragen, werde ich mit „Hünengrab im Herbst“ antworten. Dabei ist es kein typisches Black Metal-Album, wie es sie zu Tausenden gibt.

Der Gesang ist außergewöhnlich; die Steigerung Janders im Vergleich zu den ersten Demos ist gigantisch und sein Schreien, Singen und Erzählen geht mir immer unter die Haut, egal, wie oft ich das Album bereits gehört habe. Die Texte sind dabei aber nicht minder wichtig, denn auch heute noch strahlen die eine Kraft aus, die man nicht häufig findet und die Interpretation Janders transportiert die Texte in meinen Augen perfekt.

Aber auch die Gitarrenarbeit ist grandios und die Keyboards, die mich beim allerersten Hören etwas erschreckt haben, passen sich perfekt in das Gesamtbild ein, bzw. prägen es nicht unerheblich.

„Seelenland“, „Schwanengesang“, „Hünengrab im Herbst“, Bildnis der Apokalypse“, „Srontgorrth (Das dritte Kapitel)“ und „Der Flug des Raben“ sind für mich die Hochkultur des Black Metals, da man anspruchsvolle Texte mit abwechslungsreicher und ebenso anspruchsvoller Musik zu einem beinahe perfekten Album verschmolzen hat. Für mich klingt auf diesem Album jeder Ton perfekt.

Es hat sich gelohnt, das Album bei Andy Classen im „Stage One“-Studio aufzunehmen, denn der Sound ist ein Killer und bringt die anspruchsvollen Kompositionen hervorragend zur Geltung.

Die nächste Veröffentlichung ist einerseits ein logischer Schritt und andererseits ein Umbruch. „Srontgorrth (Die Macht erfasste das Meine wie die Angst das Blut der Anderen)“ (1999, Doppel-LP im Gatefold). Auch wenn die Band ihren „Srontgorrth“-Zyklus hier vollendet, neben den bekannten ersten drei Kapiteln noch zwei neue aufnimmt und damit die Weichen für ein spannendes Konzeptalben stellt und ich die „Srontgorrth“-Songs wirklich schätze, wurde ich bisher niemals richtig war mit dem Album. Etwas, was man als Hörer nicht hört oder sieht, aber fühlt, fehlt mir. Vielleicht ist es die Magie, die fehlt, die man bei den vorangegangenen Veröffentlichungen auf wundersame Weise eingefangen hat; vielleicht ist es das Wissen, dass es Janders letzter großer Auftritt mit NAGELFAR ist oder dass man sich von Texter und Bassisten Sveinn getrennt hat und dass im Vorfeld nicht alles glatt lief oder die Elektro-Parts. Ich weiß es nicht; was ich aber ruhigen Gewissens behaupten kann, ist, dass das Album in Gänze eine Großtat darstellt, die man als Fan der Band haben muss und alle anderen sollten sich das Album mal ganz vorurteilsfrei anhören. Sehr spannend sind die Bearbeitungen, die man den bereits veröffentlichten Kapiteln angedeihen lies, denn es wurde allerhand verändert.

Einen kleinen und leider kurzlebigen Neuanfang leitet „Virus West“ (Doppel-LP im Gatefold, 2001) ein. Mit Zingultus hat man einen neuen Frontmann am Start und zu meiner Freude hat man eines der besonderen Trademarks der Band auch hier umgesetzt: die epischen Vocals finden sich hier und da wieder und als Verbeugung vor den Schaffen Janders ist es mehr als willkommen.

Musikalisch hat sich kaum etwas verändert; immer noch regiert brutaler Black Metal, der durch sein ausgeklügeltes Songwriting zu überzeugen weiß, auch wenn die Band im Gesamteindruck etwas straighter zu Werke geht. Ebenfalls ist kaum zu überhören, dass hier der Grundstein für eine weitere Band gelegt wird, die den Untergrund umgraben wird: THE RUINS OF BEVERAST. An einigen, wenigen Ecken klingt schon durch, was Alexander von Meilenwald später mit dieser Band verwirklichen wird; somit stellt „Virus West“ das perfekte Bindeglied zwischen NAGELFAR und THE RUINS OF BEVERAST dar.

Für die Texte zeigt sich nicht mehr Sveinn verantwortlich, aber dafür trägt man seinem Stil Rechnung; für mich ein Zeichen, dass die Band mehr ist, als eine Zusammenstellung von Individuen; als Ganzes ist NAGELFAR größer als der Einzelne. Dank Songs wie „Sturm der Katharsis“ oder „Meuterei“ ist es ein Black Metal-Album, das sich aus der Masse der Veröffentlichungen deutlich hervorhebt.

Einen wichtigen Platz in der NAGELFAR-Veröffentlichungen dürfte die Compilation „Alte Welten“ (Dreifach-LP im Gatefold, 2017) einnehmen. Die Trüffelschweine unter uns werden die die Lippen lecken, denn neben den Sampler-Beiträgen und EP-Songs „Nur ein See“, „Moment der Hysterie“ und „Der Erlösung Totgeburt“ gibt es die Bonustracks vom „Virus West“-Album „Transylvanischer Hunger“ (!!!) und „Bieter des Kampfes“ zu hören.

Für Nostalgiker gibt es alte und soundtechnisch im Bootlegsektor angesiedelte Livetracks von „Fressen der Raben“ und „Bildnis der Apokalypse“, sowie Rehearsal-Versionen von „Bieter des Kampfes“, „Fressen der Raben“, „Lost Wisdom“, „Skölls Jagd“ und „Sturm der Katharsis“. Den Abschluss bildet das unveröffentlichte Material „Dunkler Blick“, „Ginnungagab“, „1920 – Ein Abendlied“ und „Srontgorrth – Fragmente einer Chronik“.

Über alle Epochen huldigt man mit „Alte Welten“ dem Schaffen NAGELFARs und für mich ist diese Scheibe eine Offenbarung, kommt man doch mit einem Schlag in den Genuss von einigen extrem raren Stücken.

Für mich sind die Alben absolut essentiell und jeder, der deutschen Black Metal im Allgemeinen und eine Ausnahmeband wie NAGELFAR im Besonderen zu würdigen weiß, findet hier das Eine oder Andere Schmuckstück, welches er sich als Vinyl oder CD im Ván-Shop zulegen sollte.

Die Idee einer einmaligen Reunion auf dem ACHERONTIC ARTS FESTIVAL sollte man mal in den Köpfen aller Beteiligten einpflanzen und sich entwickeln lassen. Ich glaube, ich würde verrückt werden, wenn alle Beteiligten sich zu diesem Unterfangen bereit erklärten. (chris)