INMOST SILENCE
„Crawling in Circles“
(Female Goth Metal)
Wertung: Empfehlung!
VÖ: 10/2013
Label: Eigenproduktion
Webseite: https://www.facebook.com/inmost.silence
Da sag noch einer, in diesem Genre gibt es nichts neues, alles klingt irgendwie nach… Nun die Hamburger sind der beste Beweis dafür, dass es auch anders geht und man durchaus Eigenständigkeit und neue Ideen entdecken kann. Zunächst muss ich mich erstmal vor den Vocals verneigen. Nicht nur, dass Christiane mit ihrer weichen Stimme den Hörer betört, es ist ihre Wandlungsfähigkeit, die auch vor tiefen Growls (!) nicht halt macht, die einfach begeistert. Hinzu kommt Spielfreude, gefühlvolles Songwriting, düstere Soundstrukturen, Saitengewitter, atmosphärische Dichte und ein feines Händchen für ausladende Melodielinien. Es ist kaum vorstellbar, dass es sich hier um ein Debüt (6 Songs, 33 Minuten, 8-seitiges Booklet) handelt. Es gibt Momente, da ist man einfach dankbar, dass kein Label/Produzent im Hintergrund an der Authentizität einer Band herumfurwerkt. Anzumerken bleibt noch, dass alle Musiker eine langjährige Liveerfahrung (aus früheren/aktuellen Bands wie z.B. AMATRIS, VOLVERYN, CRIMSON SWAN, METAMORPHONIA) mitbringen.
Dass man es textlich nicht mit leichter Kost zu tun hat, beweist schon der Opener „Self Deification“. Hier trifft Verzweiflung auf Wut, letztere wird dann auch in der gegrowlten Zeile There’s nothing that could save me – I’m god – don’t you know? herausgeschrien. Während Christiane ansonsten ihre Vorliebe für Goethes Faust offenbart, scheint hier Nietzsche’s Zarathustra nicht weit. Musikalisch verführt man den Hörer mit düster-dramatischen Soundstrukturen. Sphärische Keys treffen auf straighte Saiten, während sich grundlagentechnisch eine spielerische Elektronik mit ruhiger Rhythmik paart. Mit „Condemned to Fall“ sind wir mitten in der Faust Thematik und in der deutsch gesungenen Passage kommt Mephisto zu Wort. Das Spielen mit der Sprache ist ein weiteres Merkmal der Band. Christiane zeigt sich hier erneut wandlungsfähig und wechselt zwischen Gesang und Erzählung. Die Gitarren geben sich hier doomig, die Bässe dämmern im dunkeln, Piano-Keys sorgen für Stimmungsschwankungen. Man lässt sich Zeit, das Soundgebäude zu errichten, wechselt zwischen harten und ruhigen Passagen. Pure Melancholie verbreitet „Deceiving Lights“ , welches ein wenig in Richtung Dark Pop geht, auch wenn Saiten und Drums im Mittelteil die Rhythmik etwas rockiger gestalten. „Frozen Daydream“ kommt als zähfliessender Moloch der Dunkelheit daher. Man kann den Seelenschmerz förmlich greifen, wenn das Timbre vibrierend die drei Wörter „Let me go“ inszeniert und nach einiger Zeit den Befehl in wütenden Growls dem Hörer entgegen schreit. In tiefer Trauer bleibt zum Schluß nur noch Don’t try to keep me from myself. Mit „Tell me“ und der eingebunden warmen Melodie entführt man den Hörer zunächst aus der Depression. Die Synths verbreiten in harmonisierender Eleganz dezent sakrale Sequenzen. Atmosphärisch dicht konzipiert und mit Pop Attitüden besetzt, ist das Gesamtkonstrukt des Stückes sehr eingängig inszeniert. Die Übergänge und Tempiwechsel sind behutsam im Konzept eingebunden und erklingen in den ruhigeren Passagen als sanftmütige Lichtpunkte der Romantik. Das Schlußstück „Trapped in Life“ beschäftigt sich wieder mit Goethes Faust. Als Einleitung dient die Szene, als Faust kurz vor dem Suizid stehend die Nutzlosigkeit von wissenschaftlichen Büchern erkennt. Das zitieren der Passage wird von dramatischer Musik begleitet. Faust’s entfliehen in die Manie wird dann passend mit Growls dargestellt, während die musikalische Untermalung die getragene Atmosphäre beibehält unterstützt straightes Riffing die wütenden Ausbrüche.
INMOST SILENCE gelingt ein Geniestreich und es kommt wohl nicht von Ungefähr, dass Melancholie früher als Gelehrtenkrankheit bezeichnet wurde. Neben Goethes Faust scheinen die Texte, psychoanalytisch gesehen, den Kampf zwischen (Ideal)Ich und Überich zu beschreiben. Dass man diese lyrischen Texte auch noch in ein perfektes, abwechslungsreiches, musikalisches Gewand kleidet, ist einfach klasse. Ein akustisches Gemälde, dessen Intensivität wie die Vertonung eines berühmten Dürer Stichs klingt. Kleiner Ausflug in die Realwelt: Das Werk gibt es für 7 Euro bei der Band. Hörproben und Kontaktdaten: http://inmostsilence.bandcamp.com/ (andreas)