EMPFEHLUNG, REVIEW

Daniel Ryser „SLIME – Deutschland muss sterben“ (Biographie)

Daniel Ryser

„SLIME – Deutschland muss sterben“
(Biographie)

Wertung: Empfehlung

: 04.03.2013

Verlag: Heyne Hardcore

288 Seiten

Pappband

Gebundenes Buch

 

Inhalt:

Sie waren und sie sind Deutschlands radikalste Punkband. 1979 in Hamburg gegründet, richteten sich Slime mit Texten wie »Deutschland muss sterben« und »Wir wollen keine Bullenschweine« gegen Polizeigewalt, Faschismus und Kleinbürgerlichkeit und lieferten die Parolen für eine wachsende autonome Szene. Straßenschlachten mit Neonazis und Polizisten sowie die Beschlagnahmung des Albums Slime 1 förderten ihren Nimbus als Kämpfer gegen das System. Gleichzeitig wird ihnen ihr kommerzieller Erfolg von Teilen der Punkszene zum Vorwurf gemacht. Dennoch stehen Slime bis heute sinnbildlich für den musikalischen Widerstand. Dieses Buch erzählt erstmals die ganze bewegte Geschichte der umstrittenen Band und ihres Umfelds: von Bandproben im Luftschutzbunker, von Hausbesetzungen in der Hamburger Hafenstraße, vom Aufstieg des FC St. Pauli vom Stadtteilclub zum gefeierten Kultverein, vom Ärger mit der Zensur und mit den Hells Angels. (Quelle: www.heyne-hardcore.de)

Zum Autor

Daniel Ryser, geboren 1979, lernte das journalistische Handwerk beim St. Galler Tagblatt und arbeitete ab 2005 für fünf Jahre als Reporter für die Wochenzeitung WOZ.  2008 wurde er für ein Interview mit dem serbischen Fußballspieler Ivan Ergić mit dem Zürcher Journalistenpreis ausgezeichnet. Im Echtzeit Verlag erschienen von ihm Feld-Wald-Wiese. Hooligans in Zürich und Yello – Dieter Meier und Boris Blank. Er lebt in Zürich und arbeitet als Reporter für Das Magazin. (Quelle: www.heyne-hardcore.de)

SLIME hat mich Punk-technisch sozialisiert. Rückblickend ist SLIME ein sehr wichtiger Punkt in meinem Leben, wenngleich ich nicht der extrovertierte Punk, Demonstrant oder Aktivist bin. Vielmehr ist es eine Geisteshaltung, die SLIME in mir manifestiert hat. Vielleicht bin ich dann weniger ein Dirk Jora, als ein Christian Mevs, aber das Feuer brennt.

Daniel Ryser schafft es in dieser Biographie locker-leicht sich den Weg durch Punk, Alkoholexzesse, Hartz IV, Hafenstraße, Anti-AKW-Demonstrationen, Auflösungen und Reunions, Nazis, St. Pauli, Fotzenmodus, und pure Energie zu bahnen und den Leser jederzeit am Wegesrand aufzulesen. Sehr viele Ereignisse seit Mitte der Achtziger sind mir zumindest bekannt, was die politische Lage angeht, aber mit welcher Vehemenz und Brutalität der Kampf um die Hafenstraße geführt wurde, ist auch für mich zutiefst erschreckend. Aber Politik und SLIME waren immer eine Einheit und werden sie immer bleiben.

Am erschütterndsten für mich ganz persönlich ist aber der kurze Absatz über die HSV-Hooligans und den Tod vom SV Werder Bremen-Fan Adrian M., schließlich bin ich Werder-Fan und dass man jemanden kennt, dessen Fangruppe von der anderen Seite dabei war, hat mich ehrlich gesagt tagelang beschäftigt.

Allerdings sind SLIME und pure Energie ebenfalls eine Einheit und es freut mich, dass ich das in Göttingen 2010 selbst erleben durfte. Für mich war dieses Konzert eines der geilsten überhaupt, denn anstatt in meinem Beobachtermodus zu bleiben (beobachten, aufsaugen, Batterien aufladen, genießen) war genau dieser Gig der erste seit vielen Jahren, an dem ich keinen Bock mehr auf Fotos hatte, sondern meiner Gattin die Kamera in die Hand gedrückt und mich in der ersten Reihe ordentlich verausgabt habe. Diese Energie war einfach unbeschreiblich! Das war die reine Katharsis. Nach der Lektüre des Buches weiß ich, dass es seit der neusten Reunion viele gibt, die ähnlich denken und nicht nur der Nostalgie-Faktor an meinem kleinen Ausraster schuld war.

Es kommen einige Weggefährten in dem Buch zu Wort, seien es die Bandmitglieder selbst, ihre Freunde und direkten Weggefährten, aber auch Leute wie Campino, ein nicht namentlich-genannter Rapper (…Pussi…), Alec Empire usw., die der Band ihre Aufwartung machen und die Wichtigkeit auch heute noch unterstreichen.

Was das Buch wirklich lesenswert macht, ist die Ehrlichkeit, mit der jedes Thema angefasst wird. Ich finde, man lernt als Außenstehender viel über die Bandmitglieder. Wenn Christian sagt, dass er von den Fans nicht beachtet wird, weil sich alle auf Dirk und Elf fokussieren, darf ich ganz scheu anmerken, dass ich beim zweiten Gig in Göttingen lange vor ihm verharrt habe und ihn beobachtete, wie er die Riffs schrubbt und für die Band arbeitet, aber wahrscheinlich den Kopf voller Dinge hat. Nicht, dass er nicht bei der Sache war, im Gegenteil! Ich dachte mir schon damals, dass jede Band einen Ruhepol, ein kopflastiges Mitglied benötigt. Im Buch wird ziemlich deutlich, dass das auch völlig zutrifft.

Natürlich wird ein großer Teil der Aufmerksamkeit Dirk gewidmet, der ja nun auch für die Bühne und das Rampenlicht geboren wurde. Auch da möchte ich die Anekdote loswerden, wie ich ihn in Göttingen angesprochen habe, weil etwas mit dem Fotopass nicht geklappt hat und Dirk extrem freundlich und zuvorkommend mich mit in den Backstageraum geführt hat, wo ich wiederum eine kurze, aber für mich unvergessliche Zeit bei Nici und Elf verbracht habe. Zum Glück habe ich Dirk nicht im Fotzenmodus erlebt, hahaha. Wer wissen will, was das ist, sollte sich schleunigst in den Buchladen seines Vertrauens begeben!

Die anderen Mitglieder kommen aber auch nicht zu kurz und vor allem Elf kommt immer wieder zu Wort, was in der heutigen Musiklandschaft auch einer Wohltat gleichkommt, weil er sich nicht in irgendwelchen Plattitüden verfängt, sondern ehrlich und aufgeschlossen seine Meinung zu den verschiedenen Themen in das Diktiergerät gesprochen hat.

Die Band, das darf ich anhand meiner wahrlich kleinen persönlichen Erlebnisse sagen, ist auf dem Boden geblieben. Deutschlands wichtigste Punkband ist eine Band, die niemals abgehoben ist und das macht einen großen Reiz aus. Genau diese Erkenntnis liefert auch das Buch.

Daniel Ryser hat das Buch spannend geschrieben und schlägt immer wieder die Brücke aus der Gegenwart, um die Vergangenheit zu erzählen. Der Schreibstil ist äußerst angenehm und der Informationsgehalt liegt mit diesem Buch weit über Durchschnitt.

Aus den genannten Gründen, darf ich das Buch jedem empfehlen, der sich mit einer starken Band, Zeitgeschichte und einer lesenswerten Biographie beschäftigen möchte. (chris)