EMPFEHLUNG, REVIEW

REBENTISCH „Charisma“ (Lyrik/ Dark Wave/ Wave Pop)

REBENTISCH

„Charisma“
(Lyrik/ Dark Wave/ Wave Pop)

Wertung: Empfehlung!

VÖ: 04.04.2014

Label: Gruftie-Ton

Webseite:  Homepage / Facebook / Bandcamp

Im Hause Rebentisch hat sich einiges getan, neue Website, neuer Schriftzug, der Rattenkönig weicht dem Elefantengott (bleibt aber als Reittier erhalten) und natürlich ein neues Album. Angesichts der ganzen Neuerungen ist es doch ein wohliges Gefühl, dass man sich auf eins immer verlassen kann. Sven Rebentisch (seit 2009 zusammen mit Jens Bohm) veröffentlicht wundervolle Alben und bietet zudem reichlich Gesprächsstoff und immer wieder gelingt es ihm, auch einen Fan der ersten Stunde noch zu überraschen.
Mit „denen du etwas bedeutest“ setzt Sven gleich einen Knaller an den Anfang. In unnachahmlicher Manier erschafft Sven die Melange aus Melancholie und Tanzbarkeit und erhabenen Melodielinien, die hier auch mal mit stampfendem Elektro kombiniert werden. Und natürlich erkennt man die versteckten Cure Saiten (Bass Gitarre- Jens Bohm/ 4 Akkorde zum Schluß, für die, die im Stück nicht so genau hinhören). Das Ganze natürlich ausgestattet mit einem nachdenklichen Text, der in der Zeile „richte deinen Blick nur auf Menschen, denen du was bedeutest, krieche niemanden hinterher“ kulminiert. Die Benutzung von „krieche“ liefert natürlich noch eine andere Assoziation: Es gibt ja nicht nur Menschen die irgendwem hinterher kriechen, sondern auch noch irgendwo rein.

„Durch dich“ ist ein vertontes Gedicht, dessen Facetten sich durch Satzfetzen äußern. Der musikalische Untergrund wird ein wenig schräger und lässt auch knarzige Strukturen zu. Es folgt die Zusammenarbeit mit Alexander Krupp von Kaltherzig („Junkie“). Alexander hat den Text ins weißrussische übersetzt und leiht dem Stück auch seine gesprochenen Worte. In „Kindertotenlied“ vertont Rebentisch ein Gedicht von Friedrich Rückert. Der Mitbegründer der deutschen Orientalistik beklagt in diesem Gedicht den frühen Tod seiner beiden Kinder (1833/1834). So tragisch das Gedicht, so bittersüß ,die sich dazu gesellende Melodie. Wesentlich düsterer erklingt dann „Extasy“, welcher eher minimalistisch vertont ist und einen rauschhaften Bildersturm unterlegen könnte. Sven scheint hier einen Trip zu beschreiben, der dann nicht so gut endet („ich komm nicht mehr runter“). Sven’s homoerotische Antwort auf Charlotte Roche’s Feuchtgebiete, so könnte man das Liebeslied „ich lieb dich so wie du bist“ beschreiben. Ohne Schnickschnack oder metaphysische Ausflüchte besingt Sven die pure Geilheit, da braucht es keine weichen Worte. Leidenschaft pur, rhythmisch und verspielt untermalt (Augenzwinker!). „Am Bahnhof“ ist so ein Kleinod, eine Erzählung, etwas, dass kaum ein Künstler so auf einem Album bringen würde. Sven macht es, und man erhält eine musikalische Blaupause, in der das Treiben auf einem Bahnhof detailliert beschrieben wird. Auch der Übergang ins elegische Klanggebilde „om, ganeshaya namah“ ist gelungen. Bei „Crescent“ übernimmt der Schriftsteller und Lyriker Calvin Kleemann Text und gesprochene Worte. Calvin ist der zeitgenössischen Lyrik zuzuordnen und liefert hier einen typischen Text aus seinem Schaffen, welches ein stark negativ geprägtes Weltbild offenbart. Ich würde es mal Realismus nennen.

Und eine Überraschung hat man noch in der Hand: „Zeit totschlagen“ ist eine deutschsprachige Coverversion von Anne Clarks „Killing Time“. Sehr behutsam geht man mit diesem 30 Jahre alten Stück um. Die kühle Ästhetik des Songs wird beibehalten, die sphärischen Klänge lenken die Aufmerksamkeit auf den Text. Gelungen.

Fazit: Erneut ein reichhaltiges Sammelsurium (ich hab nicht alles aufgezählt, irgendetwas sollt ihr ja auch selbst entdecken – wie z.B. das verzweifelte „Dennis“) voller inhaltlicher Schwere und einer Musik, die sich zwischen Wave Pop und Dark Wave eine Nische gesucht hat, in der sich das Duo aus Berlin alle Freiheiten bewahrt. Im Gesamtkonzept ergibt das ein lyrisch musikalisches Kunstwerk. Das Album kommt mit schönem Cover Artwork daher und beherbergt ein mehrseitiges Booklet mit Texten. (andreas)