SCREAM SILENCE
„Heartburnt“
(Melancholic Wave Rock)
Wertung: Empfehlung!
VÖ: 06.06.2015
Label: Plainsong
Leider habe ich die Band irgendwie aus den Ohren verloren. Um so begeisterter bin ich heuer angesichts der Qualität und der epischen Breite dieses wunderschönen Albums. Mit ihrem neunten Werk und 17jährigen Bestehen gehört die Formation mittlerweile zum Inventarium der deutschen Melancholic Wave Szene. Mit „Heartburnt“ gelingt SCREAM SILENCE die Balance zwischen melancholischem Schaumbad, gothrockigen Ausuferungen, verspielter Harmonie und auf den Punkt gebrachter Elegie. Und zur endgültigen Perfektion dienen dann die betörenden Melodielinien und der emotionale Gesang.
Des Reigens dunkler Beginn ist das, von tiefer Melancholie geprägte „Born with Blood on my Hands“. Bevor die Gitarren in die Szenerie treten gibt es ein getragenes Vorintermezzo, in dem Hardy seine gefühlvollen Stimmbänder mit dezentem Trauergefühl strapaziert. Eingeflochtene Spoken Words sorgen für Abwechslung und Spannungsaufbau. Das Ganze gipfelt in einem wunderschönen Refrain, der die Gänsehautatmosphäre und die Trauer mit einer wohligen Melodielinie ergänzt. Hardy lässt hier seine angedeutete Fragilität in kraftvolle Vocals gleiten. Es folgt mit „Art remains“ die aktuelle Single, wobei die Gitarren im Gothrock-Stil den Song diesmal stärker beeinflussen und auch die Drums für reichlich Rhythmik sorgen. Wie schon im Opener gelingt es auch hier die emotionalen Gesangspassagen zwischen Erzähler und purer Harmonie mit der Instrumentierung pendeln zu lassen.
Zu welchen komplexen Soundstrukturen die Band heute fähig ist, zeigt besonders das Titelstück. Hier gibt es die getragene Schwere ebenso, wie eine ausufernde Gitarrenwand in bester NDH Manier. Perfekt auch das Spiel zwischen minimalistischen Passagen und Bombast, dazu kommt dann noch effektive Laut/Leise Symbolik und fertig ist ein durchdringendes Kleinod, dass den Hörer auf eine Reise mitnimmt, dessen Tourplan mit einigen „Surprise-Schnipseln“ gespickt ist.
Trotz der schwermütigen Texte behält man sich eine positive Komponente, welche verhindert, dass die Melancholie in Bitterkeit oder Zynismus abdriftet. Wie seit einiger Zeit ist auch heuer Texter/Dichter Anthony J. Brown für die Ausgestaltung der Prosa verantwortlich und ergänzt so das Quintett als kongenialer Partner. Um die Lyrik musikalisch zu klassifizieren, würde ich als Vergleich Leonard Cohen oder Nick Cave vorschlagen. Diese Zusammenarbeit trägt auch im ersten deutschsprachigen Stück der Band reife Früchte. Eine Idee, die schon länger in den Bandköpfen schlummerte. Wohl auch, weil der Text in Englisch entstand und dann übersetzt wurde, gelingt es mit verführerischen Worten ein ganz eigenes Repertoire an heimatlicher Sprache zu entwickeln. Irgendwie erinnert es dann an Goethes Übersetzungen von Shakespeare.
„Echoes“ besitzt eine galante Lockerheit, dessen verführerische Komponente pfeifend die Eleganz der feinen Melodie offenbart. Das Stück ist in seiner Einfachheit perfekt ausgerichtet, auf die melancholische Seite, besitzt im Mark diese stringente Euphorie, wie sie dem Wave Pop der 80er gut zu Gesichte stand. „The End of the Lie“ beherbergt dann wieder diese tiefgründige Atmosphäre, deren Leichtigkeit die Depression zum „Blowing in the wind“ werden lässt. Der wohlige Klang der Stimme nimmt die feinen Nuancen der Akustik auf und trägt sie mit samtenen Pfoten, in metaphysischer Weise in Descartes Dualismus.
Fazit: Ein grandioses, sehr gefühlvolles Album, wobei es der Band gelingt, endgültig aus dem Schatten von Dreadful Shadows heraus zu finden. Und zwar nicht, wie teilweise in der Vergangenheit geschehen, mit progressiven Elementen, sondern genau mit dem effektiven melancholischen Extravaganzen, dessen Qualität heute eher rar gesät ist. Das Album hallt nach, seien es die Ohrwurm Melodien, seien es die betörenden Refrains oder seien es einfach die nachdenklichen Texte, dessen qualitatives Kopfkino und die damit einhergehende subjektive Interpretation stützt und gleichzeitig ein gedanklichen Fließen ermöglicht, wobei die akustische Unterstützung wie eine Relaxans des Gemüts funktioniert. (andreas)