EMPFEHLUNG, REVIEW

GOLDEN APES „Kasbek“ (Goth Rock / Dark Wave)

GOLDEN APES

„Kasbek“
(Goth Rock / Dark Wave)

Wertung: Empfehlung!

VÖ: 07.06.2019

Label: Eigenproduktion / Aenaos Records

Webseite: Homepage / Facebook / Bandcamp

Keine 3 Jahre sind vergangen seit die Berliner mit „Malus“ ein Album veröffentlichten, welches Beschreibungen wie „zeitlos“, „Klassiker“ oder „Meilenstein“ nicht annähernd charakterisieren können. Man durfte gespannt sein, wie es der Band gelingt, dieses Niveau zu halten. Es ist gelungen! Und zwar nicht im Sinne der „ewigen Wiederkunft“ von Nietzsche, sondern im Sinne von „Begehung des selben Pfades mit anderen Sinnen und Gedanken“. Es ist wie ein neu gerahmtes Gemälde, es wirkt anders, dennoch vertraut.

 

Die Lyrik:
Egal wohin die Gedanken greifen, sie greifen ins Leere. Und doch ergreifen sie immer wieder kleine Tessera, welche zwar langsam zum Mosaik vervollständigt werden können, dennoch bleibt das Begreifen irgendwie verborgen. Nichtsdestotrotz hat die Exegese einen verführerischen Charakter. Um kurz Altphilologe Friedrich Ast zu zitieren: „Es gilt aus dem Einzelnen den Geist des Ganzen zu finden und durch das Ganze das Einzelne zu begreifen.“

Kasbek ist ein Berg im Kaukasus. Nach der griechischen Mythologie wurde Prometheus an diesen Berg gekettet, weil er den Göttern das Feuer entwendete und unerlaubt den Menschen gab. Nach dem Mythos riss ihm dort ein Adler täglich ein Stück der immer wieder nachwachsenden Leber aus dem Leib, bis er von Herakles befreit wurde.

Dies ist der thematische Überbau, wobei die (griechische) Mythologie (bzw. die „Geschichte“ des Prometheus) immer wieder auftaucht, meist versteckt in eloquenter Poesie, dessen Ausdrucksformen irgendwo zwischen Aphorismen und Elegien liegen.

Ein weiterer Bezugspunkt könnte die Vier-Elemente-Lehre des Empedokles sein, der die Elemente einzelnen Göttern zuordnete (u.a. Göttervater Zeus das Feuer, jener Zeus erließ auch den Befehl, Prometheus an den Berg zu fesseln). Durch die Zuordnung zu Gottheiten bekamen die vier Elemente auch bestimmte Eigenschaften zugeschrieben. Hier hätten wir dann den philosophisch-psychologischen Ansatz.

Das Ganze kulminiert in der Metapher-vollen Beschreibung der mühevollen Besteigung des Kasbek. Es geht um Höhe und Fallen, um Enden und Anfänge, um Aufbrüche und Heimkommen.

 

Die Musik:
GOLDEN APES vereinen auf ihrem aktuellen Album die besten Momente aus den Bereichen Goth Rock, Dark- und Cold Wave zu einem atmosphärisch-gefühlvollen Gesamtkunstkunstwerk. Ein dysthymisches Meisterwerk voller Tiefgang und Hingabe. Sehnsuchtsvolle Melodielinien paaren sich mit integrierten, spannungsaufbauenden Extravaganzen. Dabei gelingt es in jeder Sekunde, die Atmosphäre in Fluss zu halten und die bleischwere Stimmung mit einem sanften Klang in die Gehörgänge zu transportieren.

Der Opener „Oblivion“ glänzt mit filigranen Gitarren und schleppenden Drums. Eine wohlige Gänsehaut überzieht die Gefühlswelt des Hörers, ganz besonders wenn Sänger Peer sein ausdrucksvolles, tiefes Timbre in die Szenerie gleiten lässt. „Vento“ (Wind auf italienisch) kommt etwas lieblicher daher und trägt die bittersüße Melodie auf einer Sänfte, welche von den Saiten getragen wird. Der Gesang wird noch tiefer, noch dunkler und lässt den Song zwischen melancholisch und bedrohlich spazieren. Vom Songwriting her hat man den Eindruck, dass zwei Hooklines sich abwechseln. Die Instrumentierung, gerade wenn sie etwas schärfer einfließt, scheint fast zu schluchzen. Romantisch verklärte Soundbögen bestimmen das ruhige Titelstück. Unterbrochen wird diese verführerische Klanglandschaft von einem Break, welches Peer mit entfremdeten (gequälten) Spoken words begleitet.

Aufgrund einer bestimmenden Hookline gehört „Deliverance“ zu den eingängigen Stücken. Aber auch hier baut die Band kleine Stolpersteine für den Hörer ein. Bei „Voykova (The Healing)“ wird die Gitarre etwas straighter ihrem Zauber gerecht. Insgesamt ist auch das Gesamtgefüge etwas druckvoller inszeniert und zeigt die Band von ihrer (Goth)rockigen Seite.

„Clouds‘ silver Lining“ ist ein langsames Epos, welches zu Beginn gar ein wenig minimalistisch daherkommt. Ganz behutsam baut man das schwermütige Grundgerüst zum schwelgerischen Wall of Sound auf. Bei „Dust and Dew“ gibt es wie schon auf „Malus“ („Missing“) eine weibliche Stimme (diesmal von der Kanadierin Shannon Hemmett, aktiv bei den Bands Actors und Leathers), welche sich perfekt mit Peers Bariton duettiert. Der Text ist traurig und wunderschön zugleich („And this is when the nights become a sea inside us….“) und beherbergt auch die vier Elemente Erde, Feuer, Wasser und Luft. Alles scheint im fünften Element von Aristoteles aufzugehen.

Im treibenden, mit betörenden Keys versehenen und von flirrenden Saiten bestimmten „Interference“ begleiten wir Peer beim Durchschreiten, Blockieren und Verlassen einer weißen Gasse. Man mag die Aufmerksamkeit auf die Haltepunkte richten und die Gedanken weiterziehen lassen. Die Einheit zwischen Musik, Gesang und Text ist wieder hervorragend. Jeder Ton ein anderes Gefühl, jedes Wort eine Wendung und doch wartet die Erkenntnis hinter der nächsten Ecke – aber ist der imaginäre Blick erstrebenswert?

„Home“ ist ein melodischer Wave Song, der sich der 80er Patina nicht schämt. Eine in sich wohnende Ruhe begleitet die verträumten Soundkreationen.

Im langsam fließenden und von tiefem Trübsinn getragen Schlussstück „Parting“ nimmt man Abschied und erinnert sich. Wie Peer dieses Stück begleitet, nein, wie er dieses Stück trägt…. diese Hingabe ist unbeschreiblich. Gefühlskino abseits jeglicher Klischees. Zum Ende bleibt Hoffnung, welche sich mit der Verzweiflung duelliert. Es ist Zeit zu (ver)gehen. Diese Threnodie wird derart bedrückend dargeboten, dass Schmerz und Wehmut spürbar werden. Ein düsteres Kleinod, in dem der Hörer zu versinken droht. Auf der anderen Seite frohlockt der Melancholiker, er lässt sich tragen…. wohin auch immer.

 

Fazit:
Die Berliner zelebrieren die Düsternis. Songs voller Schwermut, Tristesse, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, dargeboten mit einem Gesang, dessen gefühlvolle Darbietung jede dieser Empfindungen perfekt transportiert und den Hörer einsinken lässt in diese bedrückende Stimmungsgewalt. Arrangement, Songwriting, Instrumentierung, Stimme und Text sind perfekt aufeinander abgestimmte Exkursionen in eine nebulöse Welt leidvoller Erfahrungen. (andreas)