REVIEW

ARBEITSGRUPPE LOBOTOMIE „Ein Spiegel der Gesellschaft“ (Dark Elektro Metal)

ARBEITSGRUPPE LOBOTOMIE

„Ein Spiegel der Gesellschaft“
(Dark Elektro Metal)

Wertung: Gut+

VÖ: 26.02.2021

Label: Legwespenprodukt

Webseite: Homepage / Facebook

Ich hab mich lange gefragt, ob ein derartiges „Kunstwerk“ für eine Review in meinem Sinne geeignet ist. Zu sehr nagte das „falsch verstehen“ an meiner Meinung. Ich mach es trotzdem, da dieses Werk durchdacht und die Uniformierung nur dezent die Provokation anderer Kasper kopiert.

Ein weiteres Problem hatte ich damit, dass die Band sich auf ihrer Homepage von jeglichem rechten Gedankengut distanziert. Warum eine Selbstverständlichkeit irgendwo stehen muss, geschenkt. Aber ich verstehe im Nachhinein natürlich den Verweis. Und ich werde hier nur einmalig einen Vergleich zu Laibach, samt ihrem Hintergrund, legen.

Um von vornherein Dinge zu klären und nicht jede Zeile meiner Review auf jedwege Goldwaage zu legen, lasse ich zunächst die Band zu Wort kommen:

https://aglobotomie.com/ueber-uns/

Dann widmen wir uns mal diesem Werk. Irgendwie ist es Floh de Cologne meets Deutsch Punk (Texte) meets Rammstein (Text, Musik) meets Industrial (Musik).

Das düstere Intro ist mit sphärischen Klängen unterlegt, darüber thronen mehr oder weniger bedeutende Sätze, mehr oder weniger bedeutender Politiker. Der Übergang ist mit Sirenengeheul inszeniert und leitet kompromisslos über in „Zeit“, welches ein wenig die Arbeit im Sinne von Karl Marx zu interpretieren scheint.

Die Beschreibung der Klassenpolitik geht über in das wabernde „Schallplattenspieler“, welches fast lieblich eingeleitet wird. Auch die weibliche Stimme geizt nicht mit Liebreiz, wobei der Text eher bedrohlich bis bedrückend wirkt, auch das knarzende Grundgerüst sorgt für kleine Gefühlsverwirrungen. Hinzu kommt der Gegenspieler mit tiefen Gesang und rollenden „R“. Textlich bedient man sich teils einer Gossensprache, was dem Ganzen eine zusätzliche Spielart zwischen Gut und Böse verleiht. Während hier die „gewünschte“ Gewalt als sexuelle Spielart beschrieben wird, geht es im folgenden „Natascha K.“ um das Traumata der Gewalt. Hernach folgt mit „Melkmaschine“ die Unterjochung des Arbeiters in der alltäglichen Arbeitswelt. Nicht nur hier meint man zwischen den Zeilen die alte Parole zu hören: „Ihr habt nichts zu verlieren, außer eure Ketten“. Die Melodie ist nicht so eingängig, dafür gelingt es der etwas verworren inszenierten Grundlinie, welche sich wie eine Tonage durch den Song zieht, einen Bann zu erzeugen, dessen Entziehung aufgrund der geschickten Lenkung auf den Text sehr schwer fällt. Paragrafen als Titel und eine eingefügte Ruhepause, lassen geschickt die Scheinwelt bestimmter Leute Revue passieren.

Sänger Bakunin Eisner (wohl eher antonym als Synonym) scheint nicht nur sprachlich die Peitsche in der Hand zu haben, auch vom Klang her, scheint hier die Peitschenhiebe zur Liebe der Stimmbänder zu werden. Immer klar scheint daher die Spielart Gut-Böse, wobei auch mal das Wechselspiel durchaus als kleine Anekdote herein spielt. Beide weiblichen Gesangsstimmen beherbergen daher das Liebliche und aufgrund der Helle der Stimme, scheint hier eine galante Form der Fragilität durchaus dem gewählten Ausdruck eine enorme Kraft zu verleihen.

Was die Grundlage vom Song „Mollath“ ist, dazu gibt es reichlich dokumentarisches Material von sogenannten „souveränen“ Medien, googelt mal. Der Wechselgesang ist geschickt gewählt, wobei die musikalische Ausrichtung durchaus ein paar klassische Einsprengsel beherbergt.

Das bedrückendste Lied ist „Rebekka N“, hier geht es um die übelste Art von Kriegsverbrechen, die Vergewaltigung, hier insbesondere die Vergewaltigung von Kindern. Konterkariert wird der alptraumhafte Text (Warum der Soldat eine Herkunft haben muss, verstehe ich nicht ganz) von harmonischen Melodiebögen, wobei man hier die musikalische Ausrichtung eher minimalistisch agieren lässt. Ob die beiden Gesangs-Protagonisten in die Gefühlswelten dringen oder ob hier der Wechselgesang eher einer notwendigen Dramaturgie folgt, ist schwer erkennbar.

„Kriegsstrategiekonferenz in der Hauptstadt der Bewegung (KSKidHdB)“, damit ist wohl die jährliche Münchner Sicherheitskonferenz gemeint und beinhaltet eine Verschmelzung von Antikriegsrhetorik und Kapitalismuskritik.

„Tania“ arbeitet mit verschiedensten Facetten des Industrials. Ein krachiger, latent abgehackter Rhythmus erhebt sich aus einem, von Sprachsamples intonierten Song. Wiederholende Sprachfetzen gehen geschickt über in einen schleppenden Moloch, welcher sich im Refrain einer Parole öffnet.

Aufgebaut auf einem betörenden, 80er inspirierten sphärischen Grund bewegt sich „Zurück zur Endzeit“. Der Sound zu Beginn und im Verlauf erinnert ein wenig an einen bekannten Song. Feuer frei zur Interpretation.

Zum Schluss gibt es dann noch einen Ausblick in die „neue Welt“, nicht ganz befreit von Huxley und Morus, ein kleiner Widerspruch oder ein Paradoxon, wer weiß?

Fazit: Hat die Antifa den Industrial entdeckt oder gelingt hier einer Band persifliert, die Hufeisen-Fetischisten aufs Äußerste zu provozieren? Heiße Eisen werden angefasst und in ein musikalische Form gepresst, bzw. formvollendet, welche mal das Augenmerk auf den Text lenken, mal den Hörer verwirren. Musikalisch gibt es traditionellen Industrial mit nötiger Saiten-Gewalt und den typischen Verweisen auf EBM und 80er. Textlich variiert man zwischen Kant und Bukowski, auch ein wenig Wagenknecht scheint hindurch. Das im wunderschönen Digi-Pack-Buch erscheine Werk sollte nicht dem Konsumterror zum Opfer fallen, sondern intensiv bearbeitet werden. Dem Hörer wird natürlich einiges abverlangt, aber die hingehaltenen Knochen, lassen dem geschichtsbewußten (links orientierten) Hund mit dem Schwanz wedeln. Der düstere Sound wird mit Geigen und Fagott „aufgepeppt“, aber am Ende bleiben die Texte, die Themen hängen und regen zum Nachdenken an. (andreas)