EMPFEHLUNG, REVIEW

BUCH „Dietmar Elflein – Schwermetallanalysen. Die musikalische Sprache des Heavy Metal“

BUCH

„Dietmar Elflein – Schwermetallanalysen. Die musikalische Sprache des Heavy Metal“ (2010, 362 Seiten, ISBN: 978-3-8376-1576-0, 29,80 Euro)

Wertung: Empfehlung!

VÖ: Oktober 2010

Label: Transcript Verlag

Webseite: www.transcript-verlag.de/ts1576/ts1576.php

Dass Heavy Metal ein Musikstil ist, der eine ganz eigene Identität besitzt, darüber gibt es einen weitreichenden Konsens. Dennoch hat es die Musikwissenschaft bislang weitgehend versäumt, den unverwechselbaren Charakter dieses Musikstils fundiert zu beschreiben. Diese Forschungslücke möchte der Musikwissenschaftler Dietmar Elflein mit der vorliegenden Studie minimieren. Zur Überprüfung der These von der verbindlichen musikalischen Identität des Heavy Metal wählt Elflein eine Reihe von Veröffentlichungen aus, die gemeinhin als Klassiker des Genres gelten.

Tatsächlich hat der Autor kaum Mühen gescheut, damit seine Auswahl der Klassiker des Genres auch wirklich überzeugend wirkt. So wühlte er sich einerseits durch sehr viel wissenschaftliche, populärwissenschaftliche und sonstige Literatur, andererseits berücksichtigte er etliche Zeitschriften (unter anderem natürlich Metal Hammer und Rock Hard) und diverse Internetplattformen. Selbstverständlich wird fast jeder Metal-Fan irgendetwas an der Liste auszusetzen haben, doch letztlich muss man wohl anerkennen, dass Elflein eine Datenbasis für seine Untersuchung gewählt hat, die tatsächlich im Wesentlichen aus Platten besteht, die weitgehend als Meilensteine des Genres anerkannt sind.

Um die vielfältige musikalische Welt des Heavy Metal strukturieren zu können, bedient sich der Wissenschaftler des folgenden idealtypischen Theoriemodells: „Es wird von einem dreiteiligen stilistischen Kontinuum ausgegangen. Heavy Metal, verstanden als Classic Metal, wird als Mittelpunkt des Kontinuums erwartet, dessen eines Ende weiterhin vom Hard Rock besetzt wird. Das andere Ende bildet der Bereich des Extreme Metal. Von Hard Rock in Richtung des Extreme Metal wird von einer Abnahme des Blues-Einflusses ausgegangen. Der Progressive Rock-Einfluss ist im Zentrum des Kontinuums am stärksten und nimmt in Richtung der Endpunkte ab. Einflüsse aus anderen Popularmusikgenres (sic!) finden sich ebenfalls eher an den Rändern des Kontinuums.“

Den folgenden Bands wird schließlich die Ehre zuteil, dass ihre renommiertesten Scheiben einer musikwissenschaftlichen Analyse unterzogen werden: AC/DC, BLACK SABBATH, GUNS N‘ ROSES, IRON MAIDEN, JUDAS PRIEST, MEGADETH, METALLICA, MOTÖRHEAD, SLAYER. BLACK SABBATH wird bescheinigt, dass die Musik des Frühwerks Merkmale beinhaltet, die schließlich in den 80er Jahren stilprägend für das gesamte Genre des Heavy Metal wurden. Im Einzelnen fällt bei der Analyse der Musik dieser Band beispielsweise auf, dass dort die ansonsten in der Populärmusik weitverbreitete Strophe-Refrain-Struktur sehr häufig gemieden wird. Dafür arbeitet BLACK SABBATH gerne mit Songstrukturen, bei denen die einzelnen Formprinzipien hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Dramaturgie eines Songs gleichrangig nebeneinanderstehen. Doch auch mit vielen anderen Argumenten wird die besondere Bedeutung dieser Gruppe für die Entstehung des Heavy Metal überzeugend veranschaulicht.

Im weiteren Verlauf des Buchs wird auch das Frühwerk von IRON MAIDEN und JUDAS PRIEST sehr genau unter die Lupe genommen. Diese beiden Bands stuft Elflein als die beiden wichtigsten Vertreter des Genres Classic Metal ein. Der Autor verdeutlicht, wie die beiden Gruppen das Erbe der Gründerväter weiterentwickelt haben, was dann zur eigentlichen Blüte des Heavy Metal in den 80er Jahren führte. Zweifelsohne ist es ein recht befriedigendes Gefühl, durch die Ausführungen eines Musikwissenschaftlers bestätigt zu bekommen, was man aufgrund eines Bauchgefühls natürlich schon immer wusste: „Hallowed Be Thy Name“ von IRON MAIDEN ist der wahrscheinlich genialste Song, den es im Bereich des klassischen Metal gibt. Warum dieses Stück so überzeugend ist, macht Elflein auf einer rationalen Ebene klar begreiflich. Zum Beispiel werden sehr viele verschiedene Formteile aneinander gereiht, sodass die Spannung stets erhalten bleibt. Zudem sorgt der ständige Wechsel zwischen Gesang- und Instrumentalabschnitten für beste Unterhaltung. Schließlich garantieren die angedeuteten Generalpausen die Aufmerksamkeit des Hörers.

Auch bei der Beschäftigung mit dem Frühwerk von METALLICA verdeutlicht der Autor viele typische Merkmale des Heavy Metal. Kennzeichnend für diese musikalische Sprache sind unter anderem Breakdowns, abgesetzte Einleitungen und komplexe Songstrukturen, wobei letztere den Einfluss des Progressive Rock dokumentieren. Und auch bei der Analyse des Werks von METALLICA schafft Elflein das, was ihm schon bei IRON MAIDEN gelungen ist: Es wird quasi bewiesen, was man als Metal-Fan gefühlsmäßig schon lange wusste. In diesem Fall, dass „Master Of Puppets“ ein ganz besonders grandioses Album ist. Des Weiteren veranschaulicht der Wissenschaftler, dass dieses Album bei der Anordnung der einzelnen Songs einer Struktur folgt, wie sie auch für das Vorgängeralbum „Ride The Lightning“ und das Nachfolgealbum „.And Justice For All“ nachweisbar ist. Charakteristisch ist etwa die Platzierung einer „Powerballade“ an stets der gleichen Stelle. Trotz dieser balladesken Seite wird METALLICA aus nachvollziehbaren Gründen dem Extreme Metal zugeordnet.

Bei der Analyse der Veröffentlichungen von AC/DC, GUNS N‘ ROSES und MOTÖRHEAD kommt Elflein zu dem Ergebnis, dass diese Gruppen kaum im engeren Sinn als Vertreter des Heavy Metal klassifiziert werden können. Denn als Vertreter des Subgenres Hard Rock sind alle drei Bands (zu) deutlich vom Blues-Rock und Rock’n’Roll beeinflusst.

Das Buch bietet sehr viele Details zur Erfassung des spezifischen musikalischen Charakters des Heavy Metal. Insbesondere das Gitarrenspiel wird auch immer wieder durch Notenabbildungen veranschaulicht. Außerdem gibt es viele sachkundige Aussagen zum Schlagzeug- und Bassspiel zu entdecken. Und natürlich wird auch das Phänomen des oftmals relativ hohen Gesangs ausführlich thematisiert. Immer wieder zeigt sich: Nicht nur aufgrund der ausgefeilten Methodik der Studie hat man es hier mit einer recht anspruchsvollen wissenschaftlichen Veröffentlichung zu tun. Diese besondere Wissenschaftslastigkeit könnte für Menschen, die das Lesen von wissenschaftlicher Literatur nicht gewohnt sind, eine gewisse Hürde darstellen. Grundsätzlich kann man aber nur empfehlen, dieses erkenntnisfördernde Buch zu lesen, denn die Mühe der Lektüre lohnt sich auf alle Fälle.

Zum Abschluss kann man zusammenfassend festhalten: Obwohl das Werk Elfleins komplex ist, ist es aufgrund der griffigen Struktur überzeugend gestaltet. Insofern entspricht das Buch durchaus der Machart eines sehr anspruchsvollen Metal-Songs – womit wir wieder bei „Hallowed Be Thy Name“ angelangt wären. (stefan).