EMPFEHLUNG, REVIEW

ROME „Gates Of Europe“ (Dark Folk)

ROME

„Gates Of Europe“
(Dark Folk)

Wertung: Empfehlung!

VÖ: 25.08.2023

Label: Trisol Music Group

Webseite: Facebook

Jerome Reuters Unterstützung für die Ukraine ist beeindruckend: Seit dem Kriegsbeginn am 24.02.2022 hat Reuter etliche Solidaritätskonzerte für die Ukraine gespielt. Einige dieser Konzerte fanden in der Ukraine statt. Besonders bewegend war das Konzert, das am 18.02.2023 in Kyiv stattfand. Zudem hat ROME im letzten Jahr die EP „Defiance“ veröffentlicht, die sich ausschließlich mit dem Ukrainekrieg beschäftigt (Review hier lesen). Doch damit nicht genug: Nun legt Reuter mit „Gates Of Europe“ ein Album vor, bei dem alle Lieder den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine thematisieren.

Das Album besteht vor allem aus dunklen Folksongs. „Gates Of Europe“ ist also in dem Genre angesiedelt, das für ROME besonders typisch ist. Gestartet wird mit dem Titelstück „Gates Of Europe“, einer 90 Sekunden dauernden Klangcollage voller Sprachsamples. Weibliche und männliche Nachrichtensprecher berichten über den Ausbruch des Krieges. Am Ende des sehr bedrohlich wirkenden Intros spricht eine Männerstimme folgende Worte: „This is a terrible day for Ukraine and a dark day for Europe“.

Dann folgt der Song „The Death Of A Lifetime“. Die Spannung, die jeweils bei den Strophen langsam aufgebaut wird, erreicht im Refrain stets ihren dramatischen Höhepunkt. Das packende Lied knüpft mit seiner elektro-lastigen Instrumentierung an den Stil des Vorgängeralbums „Hegemonikon“ an (Review hier lesen). Der Text prangert an, dass der Angriffskrieg Russlands die Lebenspläne der Ukrainer auf grauenvollste Weise zerstört hat. Der Song endet mit einem Sprachsample, dessen Inhalt inzwischen zu einem ikonographischen Symbol des heldenhaften ukrainischen Widerstands gegen die russische Aggression geworden ist: „When you attack us, you will see our faces, not our backs“.

Im Anschluss begeistert „Yellow And Blue“. Das Lied ist sehr eingängig und mitreisend. Reuters leidenschaftlicher Gesang klingt kämpferisch. Besonders im hymnisch wirkenden Refrain preist Reuter den Mut und die Stärke der Ukrainer. „Yellow And Blue“ ist eine künstlerische Großtat, der ukrainische Freiheitskampf wird auf famose Weise gewürdigt! Das zeigt sich auch daran, dass sich Reuter sehr gekonnt auf einen legendären Ausspruch von Wolodymyr Selenskyj bezieht. Denn Reuter singt voller Inbrunst die folgenden Worte: „We don´t want a ride. We just need ammunition.“

Doch Reuter beschränkt sich nicht darauf, den Edelmut der Ukrainer zu rühmen, er verdeutlicht auch, wie sehr er den russischen Terrorstaat und die Schandtaten Putins verachtet: „Can you see the wheat is burning? It lights up the night. As the tsar betrays all under the sun. To save his own hide.”

Das folgende „How Came Beauty Against This Blackness” gehört zu den großartigsten Liedern, die Reuter jemals geschrieben hat! Bei den Strophen hat der Song den Charakter einer Akustikballade, im Refrain geht es druckvoller zur Sache. Das Tempo ist generell langsam. Das Lied erzeugt eine äußerst gefühlvolle Stimmung. Durch eine wunderschöne Melodie werden bedeutsamste Gefühlszustände (Liebe, Trauer, Mitgefühl, Hoffnung, Sehnsucht) auf überwältigende Weise offenbart. Bekanntlich ist Reuter mit einer besonders gefühlvollen Stimme gesegnet. Und in diesem Song singt er so hingebungsvoll wie selten zuvor.

Nicht nur Reuters Gesang ist wunderschön, seine Textbotschaft ist es auch. Denn Reuter appelliert an alle Menschen, der Ukraine beizustehen. Insbesondere werden die Europäer dazu aufgerufen, sich der Ukraine gegenüber solidarisch zu verhalten und gemeinsam mit ihr die Idee eines freien Europas zu verteidigen. Am Ende des Refrains singt Reuter auf äußerst herzergreifende Weise die bedeutungsschweren Worte „Europe Is Mother To Us All“. Ich bin mir sicher: Wer davon überzeugt ist, dass Liebe, Solidarität und Gerechtigkeit heilige Werte sind, wird von diesem Song seelisch tief bewegt sein!

Bemerkenswert ist auch, dass am Liedanfang eine Männerstimme, die nicht Reuters Stimme ist, die folgenden Worte spricht: „Meine Kameraden, wir wussten, dass die Welt nicht vollkommen ist und dass es Menschen braucht, die sagen: ‚Ich dien‘!‘. Uns verbindet das schwere Wissen, dass die Menschheit und die Menschlichkeit geschändet werden können und das Geschehen oder Nichtgeschehen dieser Schändung von der Gewalt abhängen kann. Von der Gewalt des Guten zwar, aber doch von der Gewalt, mit der es verhindert werden kann.“ (Das Sprachsample stammt aus einer Rede, die Generalmajor Christian Trull im Jahr 2005 bei seinem Abschied von der Bundeswehr gehalten hat.)

Dieses „schwere Wissen“ durchzieht das Werk von ROME wie ein roter Faden, selten wurde es von Reuter so deutlich dargelegt wie hier. Angesichts dieses „Wissens“ ist es sehr passend, dass der Song mit einem ganz speziellen Sprachsample endet, es besteht aus zwei Worten: „Slava Ukraini!“.

Beim anschließenden „Eagles Of The Trident“ ist eine treibende Trommelrhythmik das markanteste Klangelement. Das Lied wirkt sehr aufputschend und berauschend. Die Stimmung ist kämpferisch, unnachgiebig und finster. Reuters Stimme klingt bei den Strophen und beim Refrain sehr ernst und beschwörend. Seinen eindringlichen Vortrag kann man als Sprechgesang bezeichnen. Beim Refrain spricht Reuter einige Male die vier Worte des Songtitels. Und eine andere, sehr vehemente Männerstimme trägt mehrfach die martialische Parole „Einzig und allein durch brutalsten Kampf“ vor.

Das Stück hat eine mächtige Sogwirkung, schlagartig befindet man sich in einer anderen Welt. Wegen seines martialischen und rituellen Charakters kann man den Track dem Industrial-Genre zuordnen. Das Lied gehört sicher zu den kraftvollsten und faszinierendsten Klangwundern, die Reuter jemals erschaffen hat. „Trident“ heißt auf Deutsch Dreizack. Ein Dreizack-Symbol ist ein Kennzeichen des ukrainischen Staats.

Der folgende Song ist bedächtig gestaltet: „Whom The Gods Wish To Destroy” hat ein sehr langsames Tempo und einen balladesken Charakter. Die Instrumentierung ist zurückhaltend. Das Stück verzaubert vor allem durch Reuters Gesang und sein Gitarrenspiel. Die Melodie klingt tieftraurig – und gleichzeitig wunderschön. In der zweiten Liedhälfte trägt Reuter sie auch lautmalerisch vor. Zudem gewinnt der Song hier noch etwas an Wucht. „Whom The Gods Wish To Destroy” ist ein großartiges Lied, seine schwermütige Atmosphäre berührt zutiefst!

Im anschließenden „Our Lady Of The Legion” geht es etwas schwungvoller zur Sache, ein eher bedächtiger Folksong ist es trotzdem. Der Text stellt Fragen zum Selbstverständnis Europas. Die Stimmung ist von Melancholie und Nachdenklichkeit geprägt. Eine gewisse kämpferische Haltung schwingt auch mit. Am Ende verliert sich das Lied in melodielosen Geräuschen, die eine Minute andauern. Durch diese amorphen Klänge wird auf perfekte Weise ein spannungsgeladener Übergang zum nächsten Song geschaffen.

Dass durch diesen bewährten dramaturgischen Kunstgriff der Folkballade „Marauder“ eine besondere Aufmerksamkeit zuteilwird, kann man nur begrüßen. Denn auch dieses Klangjuwel gehört in den Kreis der stärksten Lieder, die Reuter bislang geschrieben hat! Bei diesem Kleinod wird die Spannung langsam immer mehr gesteigert. Die Instrumentierung wird ständig vielschichtiger, wirklich druckvoll wird sie aber nie. Das Tempo bleibt stets schleppend. Reuter singt bedächtig – und zwar auf eine beschwörende Weise, die ungemein fasziniert!

Die Sogwirkung des Lieds ist sehr stark. Einerseits wird eine schauerliche Atmosphäre verströmt, andererseits eine Aura der souveränen Gelassenheit. Diese atmosphärische Ambivalenz korrespondiert meisterlich mit dem Textinhalt: Der machtvolle Geist der Gerechtigkeit wird alle Übeltäter aufspüren und bestrafen, die den heiligen Wert der Loyalität verraten haben. Das kann zwar eine Weile dauern, aber der Verräter kann seiner Strafe nicht entgehen!

Das folgende „The Black Axis” ist trotz seiner melancholischen Stimmung ein eher dynamischer Folksong. Textlich geht es im Kern darum, dass die Ukrainer derzeit die schwere Last zu tragen haben, die Freiheit Europas zu verteidigen. Bezüglich dieser Last singt Reuter: „With all of Europe on your shoulders”.

Dann folgen die Lieder „The Ballad Of Mariupol”, „Going Back To Kyiv” und „The Brightest Sun”. Diese hochwertigen Lieder wurden bereits im Rahmen der EP „Defiance“ veröffentlicht (Review hier lesen).

Das anschließende „Olenivka Rain“ klingt zunächst bedächtig, die Stimmung ist traurig. Im weiteren Verlauf wird immer mehr Wucht entfaltet. Im Schlussteil hat das Lied einen bombastischen und feierlichen Charakter, auch orchestrale Klänge sind zu hören. Die Atmosphäre ist nun nicht mehr traurig, sondern kämpferisch. Zunächst werden im Text die Schandtaten Russlands angeprangert: „Your dishonour knows no bounds.“ Dann wird zum Widerstand gegen Russland aufgerufen: „And through all this wrong. We´ll be fighting on.“ Im Schlussteil singt Reuter die unversöhnlichen Worte „Never forget – Never forgive“. Das Lied entfaltet eine sehr erschütternde Wirkung. Denn man spürt, wie stark Reuter das Schicksal der Menschen in der Ukraine zu Herzen geht.

Mit „Archives Of Silence“ endet das Album. Das Stück hat den Charakter einer Klangcollage. Vor allem hört man den Gesang einer Frau, sie scheint ein ukrainisches Volkslied zu singen. Der Gesang klingt traurig, würdevoll und beschwörend. Der Gesang verschwindet langsam. Am Ende sind nur noch einige dezente und diffuse Geräusche zu hören.

Es ist lohnend, sich anstatt des Digital-Albums die CD zu kaufen. Die Covergestaltung ist edel. Wenn man die beiden Coverklappen öffnet, steht auf der linken Klappe „Europe Is Mother“ und auf der rechten „To Us All“. Diese wichtige Botschaft des Albums wird geschickt mit den Nationalfarben der Ukraine verknüpft, denn die Textfarbe ist gelb, der Hintergrund blau.

Zum Booklet: Auf den ersten beiden Seiten berichtet Reuter in englischer Sprache davon, wie sehr er den Freiheitskampf der Ukraine bewundert und wie er diesen Kampf bislang unterstützt hat. Auf den folgenden Seiten sind die englischen Liedtexte abgedruckt (von wenigen ukrainischen Worten abgesehen, singt Reuter dieses Mal nur auf Englisch). Direkt neben den englischen Texten befindet sich eine ukrainische Übersetzung. Ansonsten kann man im Booklet noch drei eindrucksvolle Bilder der Malerin Olena Liberty betrachten. Die Bilder zeigen ukrainische Soldaten bei der Landesverteidigung.

Fazit: Jerome Reuter hat ein Meisterwerk geschaffen! „Gates Of Europe“ bietet ausschließlich hochwertige Klangkunst. Einige Lieder sind besonders grandios. Sie gehören in den Kreis der besten Songs, die Reuter bisher geschrieben hat. Das Album veranschaulicht eindrucksvoll, zu welchen Großtaten ein Mensch fähig sein kann, wenn er nicht nur ein Künstler, sondern darüber hinaus auch ein emphatischer Mensch ist. Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit! Die besondere Wirkungsmacht dieser heiligen Werte wird durch Reuters neues Werk auf bezaubernde Weise verstärkt. Die erhabene Aura des Albums wirkt wie ein Schutzschild gegen alles Niederträchtige, das es auf der Welt gibt. Der edle Geist von „Gates Of Europe“ motiviert auf famose Weise dazu, den Freiheitskampf der Ukraine noch stärker zu unterstützen als bisher. Dies ist für die Verwirklichung der wundervollen Idee eines freien Europas unbedingt nötig! In diesem Sinne: „Slava Ukraini!“. (stefan)

Der Song „Yellow And Blue” bei YouTube: