Das Herz ist Klassik, Metal der Puls: So die kurze Eigenbeschreibung der Leipziger Formation. Der orchestrale und druckvolle Blutfluß liefert genug roten Saft, um neben den Gehörgängen und der Nackenmuskulatur auch das Gehirn mit genügend Sauerstoff zu beliefern. Hier und dort sorgt ein Bypass für verspielte Umwege und weit und breit ist kein Thrombus in Sicht. Die plica vocalis liebt Sopran und intoniert Texte zwischen Sozialkritik und persönlicher Autobiografie. homepage facebook
Euer Zweitwerk ist jetzt seit einiger Zeit auf dem Markt, wie seid ihr mit den Reaktionen zufrieden. Seht ihr Unterschiede zwischen Rezensionen von Magazinen und den Rückmeldungen von Fans.
Insgesamt sind die Reaktionen sehr positiv. Auf unserer Tour haben die Fans die Songs begeistert gefeiert und wir haben auch viele lobende Rezensionen bekommen. Naturgemäß sind die Fans wohl noch etwas euphorischer, aber das liegt in der Natur der Sache. Bei den Rezensionen hätte ich mir allerdings hier und da etwas mehr Tiefgang gewünscht.
Hat sich an der Arbeitsweise, im Vergleich zum Debüt etwas geändert. Gab es andere Schwerpunkte?
Die Arbeitsweise an sich ist unverändert geblieben, allerdings sind orchestrale Passagen und mehrsprachige Texte hinzugekommen – außerdem ist „In Deep Waters“ mit 75 Minuten deutlich länger.
Im Gegensatz zu „Schuld“ gibt es jetzt auch Songs in englischer Sprache, was hat euch dazu bewogen und wie ist die Entscheidungsfindung bzgl. der Sprache?
Wir haben bei der „Schuld“ aus dem Ausland häufiger die Rückmeldung bekommen, dass man auch gerne verstehen würde, worüber wir eigentlich singen. Diese Kritik haben wir uns zu Herzen genommen, wollten aber dennoch unseren Wurzeln treu bleiben – daher sind die deutsche und die englische Sprache etwa gleichwertig vertreten. Texte auf Englisch handeln meist über globale Themen, wie etwa unseren Umgang miteinander und mit der Natur, deutsche Texte sind größtenteils persönliche Themen.
Wie verlief diesmal die Vereinigung von Noten und Tabulatoren bei der Komposition?
Da gab es nichts zu vereinigen, ich schreibe die Partituren immer komplett in Noten und es gibt kluge Programme, die diese für den notenfaulen Teil der Saitenfraktion automatisch in Tabulatoren übersetzt, sie müssen sie sich dann nur noch zurechtrücken und ggf. hier und da ein wenig mit eigenen Ideen aufpeppen. 🙂
Wenn man sich mal den „Markt“ an Bands anschaut, welche Metal mit Klassik verbinden, muss man sagen, dass ihr zu den experimentellen Vertretern des Genres gehört. Gibt es in der klassischen Musik Vorbilder oder Einflüsse?
Da ich als Komponistin komplett aus der Klassik komme, hat mich die Klassik sogar stärker beeinflusst als der Metal – immerhin beschäftige ich mich nunmehr seit 20 Jahren mit ihr. Zu meinen Lieblingskomponisten zählen u. a. Rachmaninow, Brahms und Dvorak – also tendenziell die Epoche der Romantik.
Die Texte sind teils sozialkritisch und haben ein Bezug zu aktuellen Themen. Könntet ihr ein wenig erzählen wie der Text zu „Lampedusa“ entstand und wie es gelingt, bei diesem Thema die richtigen Worte zu finden?
Zu dem Text inspiriert haben mich die Stammtischparolen, die man auch überall im Netz findet, dass die Flüchtlinge für uns Deutsche ja ach so schlimm sind. Sie würden uns die Arbeitsplätze stehlen, unsere Kultur unterwandern usw. – und sie sollen doch bitte bleiben, wo sie herkommen. Mich macht so etwas wütend, denn ich sehe das Ganze etwas komplexer. Wir, und damit meine ich die westliche Welt, tragen eine Mitschuld an dem Schicksal dieser Menschen, denn unseren Wohlstand haben wir schließlich auch dem Raubbau an Anderen zu verdanken: Wer näht etwa die T-Shirts für 2 € und woher beziehen wir günstig Rohstoffe? Wohin exportieren wir denn unsere Waffen? Und: Was können diese Menschen dafür, dass sie nun z. B. in Syrien und nicht in Deutschland geboren sind? Was sollen sie denn bitte tun, wenn ihre Heimat zerbombt wird oder wenn es einfach überhaupt gar keine Arbeit für sie gibt, mit der sie ihre Kinder ernähren können?
Auf der anderen Seite möchte ich aber niemanden meine Sicht der Dinge aufzwingen und halte es ebenso wenig für zielführend, Menschen mit solchen Gedankengängen zu verhöhnen, denn sie haben berechtigte Sorgen – sie suchen nur die falschen schwarzen Peter. Daher habe ich das Mittel der Karikatur genommen, um die Perspektive zu überspitzen und zum Nachdenken anzuregen. Im ruhigen Mittelteil stellt sich mein am Strand der Flüchtlingshochburg Lampedusa Urlaub machender Protagonist ja auch die Frage: „Was würde ich denn tun, wenn ich der Flüchtlingsvater wäre?“ Im Song treiben wir dann die Verdrängung der Misere der Anderen auf die Spitze und lassen denjenigen nur noch lauter seine ursprüngliche Position schreien, ganz nach dem Motto: „Was ich nicht sehe, das gibt es nicht.“ Das ist aber natürlich nicht unser Statement zu dem Thema, sondern unser überzeichnender Spiegel dieser Tendenzen.
„number in a Cage“ ist aus der Perspektive eines in Käfighaltung gehaltenen Kükens erzählt. Wie versetzt man sich in eine gequälte Kreatur?
Ehrlich gesagt brauchte ich darüber nicht viel nachdenken – wenn ich nur die Bilder aus solchen Fabriken sehe, fühle ich mich automatisch miserabel. Was sind wir für Unwesen, dass wir ein lebendiges, schutzbedürftiges Küken ohne mit der Wimper zu zucken in einen Schredder werfen, nur weil das profitabler ist? Man sollte meinen unsere Zivilisation hätte etwas mehr aus der Vergangenheit gelernt… da kamen Musik und Text quasi von selbst.
Wie viel autobiografische Verarbeitung befindet sich in „Papa“?
Viel. Ich kann meinen Vater verstehen, dass er sich darum sorgt, dass ich ein abgesichertes Leben habe. Ein Künstlerleben ist das ziemliche Gegenteil davon. Und ich hadere auch ab und an damit, die ständigen Existenzängste sind nicht so cool. Aber ich habe mich für meinen Weg entschieden und werde ihn trotz allen Widrigkeiten gehen.
Ebenfalls sehr persönlich erscheint „Sabrina“. Welche Geschichte verbirgt sich hinter dem tragischen Text?
Eine Freundschaft aus Kinder-und Jugendtagen, die in einem Selbstmord endete, weil sich das Mädchen auf allen Ebenen ungeliebt fühlte. Es war mir ein Anliegen, meiner damaligen Freundin ein kleines Denkmal zu setzen und zugleich allen, die vielleicht mit ähnlichen Gedanken spielen, zu sagen: Gib dich nicht auf! Es gibt immer einen Weg, selbst wenn du ihn gerade nicht siehst!
Euer Bandname setzt sich aus den Wörtern Moll und Lust zusammen. Der Name hat also einen Bezug zur Musik, wie steht ihr heute zu dem Bandnamen und wird er auch im Ausland verstanden?
Oh, wir lieben nach wie vor Musik in moll! Im Ausland ist das natürlich schwerer zu verstehen, da werden wir öfters mal gefragt, was der Name bedeutet und wir erklären es dann. Der Name ist aber simpel genug, als dass man ihn sich auch im Ausland gut merken kann. Nur ein l wird uns oft unterschlagen. 🙂
Im Herbst ward ihr auf großer Europa Tour mit Orphaned Land, wie waren die Reaktionen?
Sehr positiv. Es kamen viele Konzertbesucher zu uns, die sagten: „Ich habe bis heute gar nicht gewusst, dass es euch gibt, aber das Konzert hat mich total geflasht!“ Vor allem in Südeuropa und in Großbritannien waren die Reaktionen sehr überschwänglich. Es hat uns wahnsinnig viel Spaß gemacht, die Tour zu spielen!
Wie seht ihr momentan die Lage bzgl. Live Konzerte, gibt es genügend Auftrittsmöglichkeiten, stimmt die Bezahlung?
Uh, ganz gefährliche Frage. Für Nachwuchskünstler ist es extrem schwer. Glaube nicht, dass die Supports für große Touren bezahlt werden – die zahlen drauf, je größer die Tour, desto mehr. Und auch wenn du selbst Konzerte gibst, kannst du keinen großen Gagen erwarten. Ohne großartige Connections den Fuß bei Festivals in die Tür zu bekommen, ist auch sehr schwer. Also nein, die Lage ist alles andere als optimal.
Euer Album wurde mit Crowdfunding finanziert. Wünscht man sich manchmal ein finanzkräftiges Label oder würde das eure schöpferische Freiheit zu sehr einschränken?
Wir haben nur einen kleinen Teil der Gesamtkosten mit dem Crowdfunding gedeckt, tatsächlich haben wir den Großteil der Produktion von unseren privaten Ersparnissen bezahlt. Klar wäre ein Label, was einen unterstützt, super. Nicht mal nur mit Blick auf das Finanzielle. Wir haben weder das Know How noch die Kapazität für große Marketingkampagnen und uns fehlen die Connections, mal eben in Festival X oder Tour Y reinzurutschen. Aber sobald du etwas machst, was abseits von Trends und Mainstream ist, wirst du kaum ein Label findet, dass in dich investiert, denn auch den Labels geht es nicht mehr so gut wie früher. Daher geht ihre Risikobereitschaft gen Null.
Wie entstand die Idee des Bach-Coverprogramms mit dem ihr bei den BachSpielen 2012 angetreten seid und prompt den ersten Platz belegt habt?
Wir haben die Ausschreibung zu den BachSpielen gelesen und uns gedacht: „Das ist doch eine gute Sache, um auch mal ein bisschen durch die Klassikszene mit unserer Stilmixtur zu wirbeln!“ Und schon ging’s ans Arrangieren. Meistens ist dann die durchschnittliche Klassikbühne dann ja doch eher not amused, wenn man mit Verstärkern und Schlagzeug anrückt… Das Ganze war dann ein echt cooles Erlebnis, wir hatten ein sehr heterogenes Publikum und konnten es genau wie die Jury begeistern!
Ist nach diesem ereignisreichen Jahr erst mal eine Pause angesagt oder geht es gleich weiter mit Studio und/oder Bühne?
Die nächste Baustelle sind definitiv Konzerte. Bis zum nächsten Studioaufenthalt wird sicher noch mindestens ein Jahr vergehen, so ich mich nicht plötzlich in Sterntaler verwandle und nur vor die Tür gehen muss, um das Gold aufzufangen. Außerdem haben noch viel zu viele Menschen „In Deep Waters“ noch nicht live erlebt – und das zu ändern ist unsere Mission!
Mitglieder: Janika Groß – vocals, piano | Frank Schumacher – e-guitar, vocals | Sandrine B. – e-violin | Luisa Bauer – 2nd violin | Lisa H. – cello | Clemens Frank – drums | Simon Johanning – e-bass | Carsten Hundt – doublebass
Diskographie:
„Schuld“ 2012
„Bach con fuoco“ 2013
„In deep waters“ 2015