EMPFEHLUNG, REVIEW

LICHTGESTALT „Motorenherz“ (NDH/Steampunk/Rock)

LICHTGESTALT

„Motorenherz“
(NDH/Steampunk/Rock)

Wertung: Empfehlung!

VÖ: 03.04.2015

Label: Dance Mascabre

Webseite: Facebook / Homepage

Im letzten Hochsommer veröffentlichte das Quartett (Thomas C. Hertz (Gesang), Der Heizzer (Gitarre), Brukke (Schlagzeug) und Lippmann (Bass)) eine gelungene 3-Track CD, welche gleichzeitig das erste Lebenszeichen der Band darstellte. Ich war gespannt, ob es gelingen wird, über eine gesamte Albumlänge ebenso begeistert rüber zu kommen wie auf dem gleichnamigen Debüt. Schon mal vorweg: Es ist gelungen. Allerdings: Frei nach dem Motto: „Nur kein Mittelmaß“, sind die bisherigen Reviews entweder komplett negativ oder begeisternd.

Wie auf der MCD eröffnet „entfessele den Sturm“ das muntere Treiben. Straighte Rhythmik trifft auf harmonischen Refrain. Sänger Thomas gelingt es mit durchdringenden Vocals das (Wort)Spiel zwischen Sexismus und Erotik auf den Punkt zu bringen. „Tiefenrausch“ ist von den Saiten etwas trockener inszeniert. Hier gibt es dann hinter dem Mikro ein dezentes Ausleben von Verrücktheiten. Durch Aufsteigen in geringere Tiefe therapiert, legt man das „Motorenherz“ in die kühlen Hände der künstlichen Intelligenz. Der Song entwickelt sich langsam, legt dann mit rammsteinschen Riffing los, vollführt melodische Wendungen und unterdrückt geschickt die Explosion. Einer der textlichen Höhepunkte ist sicherlich „der kalte Mann“. Dieser im Marschrhythmus inszenierte Song beschäftigt sich mit einem ganz aktuellen Thema, dem montäglichen Spießbürger-Spaziergänger, der in seiner konservativen Verwirrtheit noch dem dümmsten Parolengeber nachrennt. Ob natürlich die Angesprochenen den Text verstehen, wenn es selbst einigen Rezensenten nicht gelingt, sei dahingestellt, zumal die erste Strophe durchaus in eine andere Thematik zielen könnte.

Das folgende „bereue dich“ ist dann mein persönlicher Favorit. Hier trifft sich die NDH mit Synth Pop zur Liebkosung, grüßt kurz Bayreuth und liefert einen Refrain, der durchaus an die melodische Zügellosigkeit von „Time Warp“ erinnert, inklusive einer betörenden choralen Darbietung. Hernach widmet sich die Band der Leibesfeindlichkeit des Zölibats. Eröffnet und abgeschlossen wird der Song mit gesprochenen Worten, die aus dem Codex Iuris Canonici stammen. Ein Zwischenspiel zitiert die Bibel. Das Stück ist auf verspielte Weise düster. Die Gitarren riffen eine Nuance tiefer, wobei die harten Strukturen auf eine sphärische Dichte treffen. Der Refrain ist wieder knallend und punktuell eingängig. Kleine Tempiwechsel lenken die Aufmerksamkeit auf den Gesang. Erneut scheint Thomas in eine Rolle zu schlüpfen. Wie schon in Motorenherz belegt er seine Stimme mit einer latenten Verrücktheit, wie man es evtl. von Oswald Henke her kennt. Textlich ist die Kritik auf den Punkt gebracht und kommt ohne unnötige Polemik aus. Hatte man bis jetzt die Romantik etwas vernachlässigt, folgt man ihr mit „geh meinen Weg“ umso stärker. Als Würzmischung dienen hier die progressiv gespielten Saiten, die auch mal dem Solismus frönen. „Energie“ besitzt auch wieder ein Potpourri verschiedenster Stile. Da sind zunächst die typisch straighten Riffs, die mit nötigem Druck an den Fellen unterstützt werden. Dazu gesellt sich ein harmonisierender Synthsound und eine geschickte Temposteigerung, die zum Ende hin Richtung (Steam)punk tendiert, dekoriert mit einer gefühlvollen Chor-Garnitur. Mit „drück ab“ geht es in Richtung Religions- bzw. Ideologiekritik und die mit Ideologien einhergehende Gewalt gegen Andersdenkende, wobei der erste Satz durchaus im Sinne Feuerbachs wäre. Mit der gleichen Thematik (hier begegnen sich religiöse Abhängigkeiten und Freiheitsdenken) beschäftigt sich „Gott aus Gold“, wobei es musikalisch wesentlich verspielter zugeht. Ein betörender Refrain mit weiblichen Backings setzt sich zwischen hardrockiger Rhythmik und progressiven Exkursionen.

Mit „grau in grau“ gelingt ein wunderschöner (im Sinne von sakral/Klagelied) Abschluß. Eingängige Melodielinie, verführerische Melancholie und eine Balance zwischen gedrückter Härte und Sanftheit. Gab es vorher reichlich Anklage, ist hier die Klage zentraler Gegenstand. Ein elegisches Kleinod voller Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen. Als kleines Intermezzo dient ein kurzer Ausflug in die Schellack und Grammofon-Zeit.

Fazit: Es ist im Genre NDH immer leicht mit Vergleichen zu hantieren (Rammstein, Oomph!, Eisbrecher, Witt usw.), es würde dieser Band und diesem Album nicht gerecht. Zudem würde ich sagen, dass LICHTGESTALT den variabelsten Sänger des Genres besitzt. („besten“ vermeide ich, da dies rein subjektiv ist). Zudem liefert „Motorenherz“ derartig viele Facetten, die u.U. auch mal in fremden Gefilden jagen, wie Musical, Chanson, Prog Metal oder MA-Rock, welche jeden Durchlauf mit einer neuen Gehörfokussierung veredeln. Eine perfekte Produktion (eher nuanciert als Fett) rundet das Gesamtkonstrukt ab. Mit im Studio dabei waren Martin Buchwalter (Perzonal War und Produzent bei Alben von Anubiz, Suidakra u.v.a) und Rage-Gitarrist Victor Smolski.

Zum Abschuß eine kleine Eigenbeschreibung inkl. klarer Bekenntnis:
Die Lichtgestalt ist der Schmelzofen für alt & neu, für hell & dunkel und die Macht der Töne & Texte. Der Guss dieser Legierung besteht aus dem einen, reinen Steam, der uns alles bedeutet. Wir stehen nicht da, wo man uns hin drängen will, sondern für die Vielfalt des Universums in all seinen Formen und Farben – außer braun – denn Scheiße brauchen wir an unserem Stiefel nicht.

Und hier noch ein Making of…