EMPFEHLUNG, REVIEW

THE WOUNDED „Sunset“ (Atmospheric Wave Rock)

THE WOUNDED

„Atmospheric Wave Rock“
(Sunset)

Wertung: Empfehlung!

VÖ: 01.11.16

Label: Eigenproduktion

Webseite: Facebook / Homepage / Bandcamp

Die Niederländer kredenzen uns nach langer Wartezeit (die letzte VÖ liegt mittlerweile 12 Jahre zurück) ein wundervolles, emotionales Werk voller dunkler Hymnen und einer Stimme, welche schmerzbeseelt und tiefgreifend tragische Geschichten erzählt. Die Stimmbänder von Marco v.d. Velde sind perfekte Überträger von Gefühlen. Melodische Verträumtheit thront neben Saitenarien und zelebriert ein Klanggemälde, dessen gefühlvolle Interpretation den Hörer fesselt und ihn zudem zum Nachdenken anregt. Mit Harald de Haan hat die Band seit einigen Jahren einen neuen Keyboarder, der die Tasten auch mal sehr pianoesk bedient. Ansonsten spielt man seit 2002 (VÖ des zweiten Albums „Monument“) in der gleichen Besetzung.

Mit „Wolves and Raised“ beginnt nicht einfach ein Zuhören, es ist die Eingangspforte in ein betörendes Werk, in dem nach kurzer einfach versinkt. So ist vor dem Einsatz des ersten Riffs ein sakrales Intro gesetzt, der Sound wird kurz bombastischer, bevor man beim Einsatz des Gesangs zunächst etwas zurückschraubt. Geschickt gesetzt, die Balance zwischen lauten und leisen Tonagen. Zwischendrin meint man aus dem Hintergrund Choräle zu hören, bevor die Saitenfraktion ein punktuelles Metal-Fragment setzt. Sehr ruhig und voller getragener Wehmut erklingt „Mr. Faithfull“, welches textlich den Spagat zwischen Verzweiflung und Wut offenbart.

„The Cold“ ist, vom Gesamtkontext ausgehend, fast schon als schwungvoll anzusehen. Der Song hat neben der Schwere eine druckvolle Komponente und beherbergt eine feine Melodielinie, welche sich harmonisch mit der Stimme vereint und in einer galanten Hookline manifestiert, um zum Schluß mit einer progressiven Komponente zu verschmelzen. Mit „Kings“ gibt es den längsten Song des Werkes und wohl auch das doomigste Stück. Ergreifend die lavaartig fließende Melodie, die dezent eingeflochtenen Breaks und die instrumentelle Fingerfertigkeit. Ein elegisches Kleinod, welches Tristesse erlebbar macht und gleichzeitig einen wohligen Schauer über den Rücken wandern lässt. Beim gothrockigen „Homeless“ wird das Tempo wieder angezogen, wobei immer wieder ruhige, wehmütige Passagen integriert werden und die Saitenfraktion immer wieder schleichend in die düstere Szenerie dringt.

„The Fallen“ glänzt mit einer soundtrackartigen Grundsubstanz. Darüber legt sich, teils sanft, teils vehement die Rhythmusfraktion. Marcos Stimmbänder erklingen hier teils etwas aggressiver und haben auch einen dezenten rauen Unterton. Und dann haben wir noch gar nicht den Titelsong „Sunset“ beleuchtet, welcher von verträumten Piano Klängen eingeleitet wird. Die musikalische Ausrichtung bleibt sehr getragen und besitzt eine melancholische Atmosphäre, welche sich wie ein wärmender Mantel um die Vocals von Marco legt. Zum Schluß („Ruins“) legen die Saiten noch mal ein Pfund drauf, dabei bleiben die Riffs langsam und schwer. Auch hier gibt es natürlich Breaks, welche dem Gesamtbild mit romantischen Klangkosmen den typischen Tragik-Sound verleihen.

Fazit: Ein perfektes, absolut zeitloses Album, einzig, wenn man es Jahreszeiten zuordnen wollte, wäre der Herbst die richtige Alternative. Dem Werk gelingt es, geschickt zwischen Afferenz und Efferenz zu variieren. Die dysthymischen Soundkreationen sind beseelt von einer durchdringenden Harmoniebedürftigkeit, wobei die Texte eine Hoffnungslosigkeit manifestieren, deren phobische Sprachwahl irgendwo zwischen Cioran und Büchner liegen dürfte, manchmal lukt auch ein Kafka oder Hölderlin hervor. Die teils metaphorisch angelegten Texte sind psychologische Fragmente, welche mal autobiografische, mal soziokulturelle Aspekte zum Thema haben. Es geht um Scheitern, Verzweiflung, Verrat. Das Fünkchen Hoffnung verblasst jeweils schnell, es bleibt Leere und Bitterkeit. Auf dem ersten Ohr klingt die instrumentelle Komponente wie aus einem Guß, allerdings besitzen die durchdringenden Soundkreation versteckt integrierte Feinheiten, sei es die Leadgitarre, sei es die Rhythmusgitarre, oder sei es der unterschiedliche Druck auf die Tasten, welcher hie und da eine Klassik-Komponente integriert. Die Vocals sind authentisch und wirken unaufgesetzt, reines Gefühl möchte man sagen. Wie schon bei den letzten beiden Alben, zeichnet sich die niederländische Künstlerin Regina Boersma für das Cover Artwork verantwortlich. Das Album gibt es seit kurzer Zeit auch als Gatefold Doppel LP beim ‚Off The Record Label‘. (andreas)