EMPFEHLUNG, REVIEW

ROME „Parlez-Vous Hate?“ (Indie Rock / Melancholic Folk)

ROME

„Parlez-Vous Hate?“
(Indie Rock / Melancholic Folk)

Wertung: Empfehlung!

VÖ: 29.01.2021

Label: Trisol Music Group

Webseite: Facebook

Manche Künstler benötigen sehr wenig Zeit dafür, hochwertige Longplayer in Serie zu fabrizieren – und es gibt einen Künstler, der sie alle übertrifft: Jerome Reuter. Ich kenne keinen anderen Musiker, der so schnell ein hochkarätiges Album nach dem anderen aus dem Ärmel schüttelt. Diese Fähigkeit zeigt sich besonders beim Blick auf die Fertigstellungszeit des neuen Outputs: Nur 5 Monate nach „The Lone Furrow“ (Review hier lesen) veröffentlicht Reuter mit „Parlez-Vous Hate?“ erneut ein Werk, das voll überzeugt.

Rockige Klänge waren bislang kein Markenzeichen von ROME. Aber jetzt liegt erstmals ein Album vor, das man als Rockalbum bezeichnen kann. Tatsächlich ist „Parlez-Vous Hate?“ die bisher rockigste ROME-Scheibe! Um dieser Veränderung Raum zu geben, minimiert Reuter die bislang typischen Stilelemente: Ambient, Industrial, Ritual – davon gibt es auf der neuen Scheibe wenig zu hören. Der neue Output ist nur noch von einem typischen Genre stark geprägt: dem Folk.

Die Songs im Einzelnen: Es geht los mit dem sehr kurzen Intro „Shangri-Fa“ (25 Sekunden). Zunächst ertönt lieblicher Gesang, mit deutlichen Worten wird für die Botschaft der Liebe und des Friedens geworben. Sehr schnell wird diese Botschaft von einer männlichen Brüllstimme, die den Klang eines Maschinengewehrs imitiert, jäh unterbrochen. Im Anschluss fräst sich der Titelsong des Albums tief in die Gehörgänge, denn „Parlez-Vous Hate?“ besitzt alle Merkmale einer veritablen Independent-Rock-Dampfwalze: raue, druckvolle Gitarren, pulsierende Bassläufe, unnachgiebiges Schlagzeug, eindringlicher Gesang. Dieser perfekte Indie-Rock-Song könnte auch aus der legendären Klangschmiede von NEW MODEL ARMY stammen.

Im Vergleich zu dem aufwühlenden Titelsong verbreitet „Born In The E.U.“ eine lockere Stimmung. Die Musik klingt eher harmonisch und weich, nach dem rauen Start des Albums kann man sich entspannt zurücklehnen. Reuter ist hier ein sehr lässiger Mid-Tempo-Rock-Song gelungen. Bei „Death From Above“ wird der Druck im Kessel wieder gesteigert. Überraschenderweise wird mit Stilelementen des Rhythm & Blues gearbeitet. Der Song ist ziemlich groovy. Zudem wird ein gewisses Soul-Feeling verbreitet, denn die weiblichen Backing Vocals klingen wie traditioneller afroamerikanischer Gospelgesang.

Nach dem wagemutigen Aufbruch zu neuen Stilufern betreibt Reuter beim sehr bedrohlich wirkenden Track „Panzerschokolade“ Traditionspflege. Der Song kann dem Dark-Industrial-Genre zugeordnet werden, das vor allem im Frühwerk von ROME eine wichtige Rolle spielt. Reuters Sprechgesang ist sehr hypnotisch. Eine monotone Schlagzeugrhythmik durchzieht das gesamte Lied. Im Hintergrund sind ständig Geräusche von fahrenden Panzern zu hören. Der Track verbreitet die gruselige Atmosphäre eines Horrortrips.

Falls es jemand nicht weiß: „Panzerschokolade“ ist ein Spitzname für den medizinischen Wirkstoff Methamphetamin. Missbräuchlich wird der Wirkstoff in der Drogenszene verwendet. Methamphetamin wurde auch schon des Öfteren vom Militär als Rauschmittel eingesetzt. Durch die „Panzerschokolade“ sollte die Angst vor dem Kampfeinsatz gedämpft werden. Man wollte die Soldaten in noch effizientere Tötungsmaschinen verwandeln. Die „Panzerschokolade“ wurde insbesondere von der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg verwendet.

„Der Adler Trägt Kein Lied“ ist ein großartiger Folksong. Beim Hören der wunderschönen Akustik-Ballade scheint die Zeit stillzustehen. Man wird schlagartig in eine andere Dimension versetzt. Eine Welt gesteigerter Empfindsamkeit tut sich auf. Dass dieser zauberhafte Übergang in eine andere Welt gelingt, liegt vor allem an Reuters hingebungsvollem Gesang. Sein Gesang verleiht dem Lied eine emotionale Tiefe, die etwas ganz Besonderes ist.

„Toll In The Great Death“ ist ein packender Folk-Rock-Song. Auch wegen der Akkordeonklänge verströmt die Nummer den Charme eines alten Seemannslieds. Man hat das Gefühl, als wäre man plötzlich in einer vergangenen Zeit in einer verruchten Musikkneipe am Ende der Welt gelandet. Mit „Feral Agents“ wird ein eher schlichter Wave-Rock-Song präsentiert, der eine ansprechende meditative Stimmung erzeugt.

Indie-Rock vom Feinsten bietet „You Owe Me A Whole World“. Der Song wirkt etwas punkig und ist sehr hymnisch. Das Lied schließt definitiv eine Lücke, denn so rockig und eingängig klang ROME noch nie. „Blood For All“ ist ein sehnsuchtsvoll klingender Folk-Rock-Song. Das Folkelement wird unterstrichen, indem gelegentlich der Klang einer Geige zu hören ist. Der Song hat ein mittleres Tempo, mitunter wird ein gewisses Wave-Feeling vermittelt.

Dann: „Alesia“ – ein melancholischer Wave-Rock-Song für die Ewigkeit. Der Refrain gleicht einer Hymne. „Alesia“ ist sicher eines der schönsten Lieder des Albums. Auch wegen Reuters beschwörendem Gesang gräbt sich der Song tief im Bewusstsein ein. Am Ende der CD wird nochmal Traditionspflege betrieben, denn das Instrumentalstück „Fort Nera, Eumesville“ offeriert orchestrale Ambient-Klänge, die sehr einförmig sind. Es wird eine atmosphärische Dichte erzeugt, die zur Meditation einlädt.

Die Texte des Albums sind in englischer Sprache, abgesehen von einzelnen Wörtern. Wie so oft bei ROME geht es um politische, geschichtliche und philosophische Themen. Der Titel des Albums legt es nahe, die Scheibe als ein Statement gegen den Hass in der Welt zu begreifen. Zudem ist es angesichts des thematischen Schwerpunkts des Gesamtwerks nicht abwegig, das neue Werk vor allem als Kampfansage gegen den Hass von rechts zu deuten.

Fazit: So rockig, eingängig und hymnisch klang ROME noch nie – und dennoch wirkt „Parlez-Vous Hate?“ abgründig, eigenwillig und morbide. Das neue Werk ist sehr atmosphärisch, wobei die meisten Lieder eine melancholische Stimmung verbreiten. Jerome Reuter hat eine astreine Indie-Scheibe geschaffen. Das Indie-Ideal wird musikalisch vor allem durch Rock, Folk und Wave verwirklicht. Alle drei Stile werden durch sehr hochwertige Kompositionen repräsentiert. Vermutlich gibt es nicht viele Alben auf der Welt, auf denen alle drei Stile in dieser hohen Qualität zum Einsatz kommen. Dass „Parlez-Vous Hate?“ eine geringere Stilvielfalt als „The Lone Furrow“ bietet, stört nicht. Entscheidend ist, dass die Musik auf beiden CDs großartig ist! ROME bleibt eines der relevantesten, spannendsten und schönsten Musikprojekte unserer Zeit! (stefan)

Der Song „Parlez-Vous Hate?“ bei YouTube: