INTERVIEW

WISBORG :: Die Vertonung der stummen Ästhetik

Ein Duo aus Hannover lässt die Ästhetik alter Stummfilmklassiker des Horror-Genres aufleben und vertont es mit einer ganz eigenen Art des modernen, teils auch staubbedeckten Goth Rocks. Hinzu gesellen sich Synth/Electro Elemente, welche zwischen eingängigen und experimentellen Passagen pendeln. Die Melange aus Sisters, Type 0 und Depeche Mode ist eine elegante Verschmelzung, dessen düsteres Intermezzo treibende und bedrohliche Klangstrukturen in den Äther des feinen, morbiden Geschmacks blasen und dabei eine Landschaft entstehen lassen, in der sich jedes Schwarzherz zwischen Wein-umnebelten Rückzug („in the haze of a drunken hour“; „Desire“) und dem extrovertierten Dasein in dunklen Tanztempeln („seconds gone“; „becoming caligari“) wiederfindet. Zu guter Letzt sei auf ein ganz wichtiges Qualitätsmerkmal hingewiesen, nein, nicht das Aussehen, welches boulevardesk schon mal als bildhübsch bezeichnet wird, es ist der betörende, voluminöse Gesang. Der letzte Mosaikstein eines Debüts, dass keine Wünsche offen lässt. (andreas)

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Wisborg sind:
Konstantin Michaely (Gitarre, Vocals, Keys, Synths, Programming)
Nikolas Eckstein (Gitarre, Banjo, Keys, Synths, Programming)

Review

 

Erstmal Glückwunsch zum Debüt. Ihr seid ja noch nicht lange gemeinsam unter dem Namen Wisborg aktiv, trotzdem beherbergt eure Vita schon Konzerte mit Der Fluch, She Past Away, Eden weint im Grab oder dem Punk Urgestein TV Smith. Ein Start wie gemalt, welche Hoffnung und welche Bürde beherbergt ein derartiger Beginn?

Nikolas: Wir freuen uns natürlich sehr, so früh mit Künstlern die Bühne teilen zu dürfen, die wir durch ihre Musik schon lange kennen und schätzen. Dabei spielten glückliche Zufälle eine große Rolle, aber auch Personen, die uns diese Chancen ermöglichten und denen wir dafür sehr dankbar sind. Andere Bands spielen oft erst viele kleine, kaum besuchte Shows, bevor sie solche Möglichkeiten bekommen, deshalb wäre eine hohe Erwartungshaltung an uns wohl eine mögliche Bürde. Diese geht erfahrungsgemäß aber mehr von uns als unserer Umgebung aus. Wir hoffen natürlich, auch weiterhin so viel wie möglich live unterwegs sein zu können und weiterhin großartige Menschen kennenlernen zu dürfen.

Benannt habt ihr euch nach einem uralten Stummfilm („Nosferatu“ von Murnau), ihr seid fasziniert von alten (Grusel-)Stummfilmen, wie auch im Artwork und in der Atmosphäre der Musik erkennbar. Murnau wurde damals kritisiert wegen der zu hellen Ausleuchtung des Vampirs, rettet ihr sein Image im Nachhinein mit der nötigen Düsternis?

Konstantin: Die helle Ausleuchtung war ja in erster Linie den begrenzten technischen Möglichkeiten geschuldet, mit denen man als Filmemacher der frühen Zwanziger zu kämpfen hatte. Als Musiker im 21. Jahrhundert ist man da in einer etwas günstigeren Ausgangssituation. Zum Retten von Murnaus Image sehen wir uns allerdings nicht genötigt. Heutzutage wird ihm schließlich die verdiente Ehre zuteil – gerade für „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“, dessen weitreichenden Einfluss auf die Populärkultur wohl keiner in Abrede stellen würde.

 

Gerade die Reviews eines Debütalbums sind voller Vergleiche. Gibt es Bands, die euch wirklich beeinflusst haben und wie lebt es sich im vergleichenden Dickicht von Type O bis Sisters?

Nikolas: Um die Vergleiche kommt man anfangs wohl nicht herum, die Leute möchten schnell wissen, womit sie es zu tun haben. Natürlich haben wir geschmackliche Überschneidungen, die sich wohl automatisch auf manchen Ebenen bemerkbar machen. Im Großen und Ganzen ist unser Musikgeschmack allerdings sehr breit gefächert und der entstandene Gesamtsound baut sich aus der Mixtur der Vielzahl verschiedener Einflüsse, der Arbeitsweise, Experimentieren und vorangegangenen, eigenständigen Ideen auf.

 

Ein Vergleich mit Sisters entsteht natürlich auch durch die Benutzung eines Drumcomputers. War von Anfang an klar, dass die Drums synthetisch werden und gibt es Überlegungen, bei Live Auftritten mal einen lebendigen Schlagzeuger zu integrieren?

Nikolas: Für uns war von Anfang an klar, dass wir als Duo arbeiten wollen. Gerade in den ersten Monaten, als im Grunde außer der Besetzung und ein, zwei Demosongs noch nichts fest war, bestand die gesamte Arbeitsweise noch aus vielen Diskussionen und Try & Error. Live ist unser Anspruch, mit den vier Händen die wir haben so viel wie möglich auf der Bühne zu machen, da waren Drums mit das Erste, auf das wir verzichten konnten. In ferner Zukunft würde mich ein Live-Drummer schon sehr reizen, weil es dem Ganzen noch mehr Dynamik verleihen könnte, momentan konzentrieren wir uns aber auf die Zusammenarbeit zu Zweit.

Ihr wählt als Opener einen schnelleren Song und das folgende „In The Haze Of A Drunken Hour“ glänzt dann mit einer eher getragenen, latent doomigen Ausrichtung. Gibt es bezüglich der Reihenfolge der Songs eine Linie, die ihr verfolgen möchtet, oder sind in digitalen Zeiten derartige Überlegungen zweitrangig?

Nikolas: Ich würde behaupten, dass fast jeder Künstler sein Album als gesamt-konzeptionelles Werk sieht und da spielt die Reihenfolge der Songs eine nicht unerhebliche Rolle. „The Tragedy Of Seconds Gone“ ist zwar kein reines Konzeptalbum, dramaturgisch sind die Songs aber bewusst zusammengestellt; „Winter Falls“ und „Awaking Spring“ bauen thematisch auch aufeinander auf.
Natürlich werden durch den digitalen Konsum Alben weniger am Stück gehört, der Bedarf nach Ganzheitlichkeit spiegelt sich aber in Trends wie Vinyl und Tapes wieder, was wir auf jeden Fall begrüßen.

 

Neben eigenen Texten habt ihr auch ein Gedicht von William Blake vertont. Glaubt ihr, man kann den Text, bzw. dessen tragische Geschichte mit einer Sozialkritik verbinden (wie es teilweise interpretiert wurde) und wäre das in eurem Sinne?

Konstantin: Das kann man bestimmt, meine Ergänzung des Textes lädt allerdings nicht dazu ein. Ich möchte hier aber nicht ins Detail gehen, sondern jeden dazu einladen, die eigene Phantasie zu bemühen.

 

Wenn man ein Gedicht aus dem 18. Jahrhundert vertont, beschäftigt man sich ja auch mit dem Dichter/Künstler. Meistens macht die Schule/der Lehrer auf den Künstler aufmerksam, wie seid ihr auf Blake gestoßen, was war eure erste Berührung und wie betrachtet ihr im Nachhinein die Missachtung, welche er zur Lebenszeit erfuhr?

Konstantin: William Blake ist mir schon seit der Pubertät bekannt, allerdings primär als Maler. Seine Lyrik habe ich etwa mit 19 für mich entdeckt, zu Beginn meines Anglistikstudiums. Zum ersten Mal mit Blake in Berührung kam ich durch den Film „Roter Drache“, das Prequel zu „Das Schweigen der Lämmer“. Hier spielt sein Gemälde „The Great Red Dragon And The Woman Clothed In Sun“ eine tragende Rolle. Ich glaube, den habe ich mit 12 im Fernsehen gesehen.
Was Blakes Missachtung zu Lebzeiten betrifft will ich mir kein Urteil erlauben. Fritz Langs Monumentalepos „Metropolis“ beispielsweise ist ja zunächst auch auf Unverständnis gestoßen – jede Kunst hat ihre Zeit.

 

Neben dem Lyrik Video zum Song „The sick Rose“ gibt es auch eine audiovisuelle Reise in die Stummfilmzeit mit dem Video zu „becoming Caligari“. Könnt ihr ein wenig über Idee, Umsetzung usw. erzählen?

Konstantin: Der Songtext von „Becoming Caligari“ überträgt das Verhältnis zwischen Dr. Caligari und Cesare dem Somnambulen metaphorisch auf eine Liebesbeziehung, in der eine ungesunde Abhängigkeit zwischen den beiden Akteuren besteht. Aufgrund dieses Bezuges zu Robert Wienes Meisterwerk war der ursprüngliche Plan, ein Musikvideo im Stil von „Das Cabinet des Dr. Caligari“ zu drehen und mit echten Fragmenten aus dem Film zu versetzen. Wir haben dazu lange mit der Murnau Stiftung hin und her geschrieben, bei der momentan die Rechte an dem Film liegen. Leider wäre eine Nutzung für uns als Newcomer nicht finanzierbar gewesen, weswegen wir uns letztendlich für ein reines Performancevideo entschieden haben. Eine ästhetische Nähe zum Film konnten wir dennoch generieren – zum einen durch die Bildbearbeitung mit Lochblenden, Farbfiltern etc., zum anderen durch authentische Zwischentafeln mit Textfragmenten aus den Lyrics.

Neben Murnau kommt auch ein weiterer Regisseur/Film der Stummfilmzeit zu Ehren. „Das Cabinet des Dr. Caligari“ von Robert Wiene im Song „Becoming Caligari“. Kommt als nächste musikalische Interpretation ein Fritz Lang ins Spiel?

Konstantin: Das wird sich zeigen – nur, wenn es an entsprechender Stelle harmoniert. Der Einfluss des expressionistischen Filmes ist bei uns eher ästhetischer und allgemeiner Natur. Explizit wie beim Bandnamen oder in „Becoming Caligari“ wird er nur in Ausnahmefällen.

 

Wenn man bei einem Label wie Danse Macabre unterschreibt, interessiert dann auch die Geschichte des Labels, welche mittlerweile 30 Jahre umfasst?

Nikolas: Absolut, durch ihre Arbeit hat das Label die Schwarze Szene in Deutschland immerhin zu einem nicht unerheblichen Teil mitgeprägt. Zur Traditionsträchtigkeit des Labels kommt noch, dass wir uns bei Bruno einfach unheimlich gut aufgehoben fühlen. Er gehört zu der Sorte Mensch, die das Ganze noch mit Herzblut durchzieht und ohne die der Independent-Bereich längst verkommen wäre.

 

Konstantin, du bist auch Sänger bei der Black/Doom Band „Kryptotype“, wie verträgt sich (Sprach-)Gekreisch mit dunkler Stimme und welche Auswirkung hat die eine Band auf die andere?

Konstantin: Meine Screams waren nie besonders technisch, deshalb taten sie der Stimme leider ganz und gar nicht gut. Dementsprechend habe ich auch zeitnah die Reißleine gezogen und nach zwei EPs damit aufgehört – seit 2016 kam von Kryptotype nichts mehr. Wir veröffentlichen sicher nochmal was, dann allerdings mit cleanen Vocals. Auswirkungen auf Wisborg hatte Kryptotype höchstens insofern, als dass ich mit der Band meine ersten Veröffentlichungen hatte und daran gelernt habe, wie viele Bereiche eine CD-Produktion mit einschließt und wie bestimmte Hintergrundprozesse dabei laufen oder auch nicht laufen sollten, um ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erzielen.


(Fotocredit: Dimi Weis )

Hannover hat reichlich für den Independent Bereich zu bieten, wenn man die Tourdaten der Künstler betrachtet, ist Hannover meist dabei. Hannover also ein guter Standort?

Nikolas: Leider ist in den letzten Jahren die Tendenz zu beobachten, dass immer mehr Clubs dicht gemacht haben. Es gibt noch einige Anlaufstellen von Leuten, die die Fahne hochhalten, zum Beispiel Jens von der Subkultur und die Gang von der Bruits De La Cave, die Einiges im Béi Chéz Heinz organisieren, was ja bekanntlich auch von der Schließung bedroht ist. Es gilt nach wie vor für jeden weiter Konzerte zu besuchen und damit die Musikszene zu supporten, im Zweifelsfall auch durch DIY-Aktionen, wie die Organisation von Konzert- und Partyreihen. Das machen in Hannover zum Beispiel die Jungs vom Cretin Hop seit vielen Jahren sehr erfolgreich.

Danke für die ausführliche Beantwortung der Fragen und netten Kontakt.

Wisborg Live 2018:

03.05.2018 Hamburg, MS Stubnitz
(with „Second Still“)

16.06.2018 Hannover, Bruits De La Cave – Le Festival @ Béi Chéz Heinz
(with „Sieben“, „Nova Et Vetera“, „Adam Usi“, „The Bernie And The Jörgie“ and „KatzKab“)

22.06.2018 Hannover, Darkrock Festival @ SubKultur
(with „Schwarzer Engel“, „Voodoma“, „Nachtsucher“ and „Mystigma“)

14.07.2018 Elbingerode, Dark Fusion @ Kreuzmühle
(more bands t.b.a.)

28.07.2018 Hamburg, Kir
(support t.b.a.)

06.12.2018 Essen, Don’t Panic
(with „Astari Nite“, „The Spiritual Bat“ and „Virgin In Veil“)

07.12.2018 Hannover, SubKultur
(with „Astari Nite“, „The Spiritual Bat“ and „Virgin In Veil“)

08.12.2018 Hamburg, Kir
(with „Astari Nite“, „The Spiritual Bat“ and „Virgin In Veil“)

09.12.2018 Kassel, RSE & Friends Festival @ Panoptikum Club
(with „Patenbrigade: Wolff“, „Intent:Outtake“, „System Noire“, „Sonorus7“ and more)