EMPFEHLUNG, REVIEW

TÜSN „Trendelburg“ (Dark Pop/Synth-Wave)

TÜSN

„Trendelburg“
(Dark Pop/Synth-Wave)

Wertung: Empfehlung!

VÖ: 08.03.2019

Label: (Tüsn (Soulfood))

Webseite: Homepage / Facebook

Es ist mit Abstand das beste deutschsprachige Album seit „Schuld“. TÜSN bin ich erstmals vor 3 Jahren beim Autumn Moon in Hameln begegnet. Ich war sofort gefesselt. Eine Trio Infernale auf der Bühne. Ein Melodie-Feuerwerk und Texte, dessen Realität mit latentem Wahnsinn in die Gehirnwindungen gefräst wird. Noch Tage danach hatte ich Textpassagen und/oder Melodien im Kopf. Diese schleppe ich seitdem mit mir herum und da ich in letzten Wochen mir fast ausschließlich das neue Opus der Band zu Gemüte führte, gibt es reichlich neues Futter für das Gedankenkarussell. Ein ganz besonderes Psychodrama für die Sinne und das damit verbundene Verarbeitungsgerät.

Der Opener und Namensgeber des Albums erweckt im besten Wortsinne sagenhaft die Heimatstadt des TÜSN Sängers Stefan „Snöt“ Fehling zum Leben. Zum Schluss lässt er nicht nur die Namensgeberin Trendula, sondern alle vom Blitz erschlagen, wobei eine wirklich illustre Gesellschaft die „Party“ zuvor bevölkert.
… Ich seh die Ratsherren der drei Parteien bei der Versammlung sitzen, wie sie sich ihre Köpfe zerbrechen und sich fragen: Ist das nun Hymne, Sage oder Anprangerei? Während des Textes scheint zweimal Marx zu blinzeln ( Religion -> die größte aller Drogen/ Geld -> Konkubine des Prestige).

„Melanchotherapie“ erinnert textlich ein wenig an „Manchmal“ von EA80, auch hier geht es um das Gefühl der Melancholie und vor allem das Zulassen dieses, des Öfteren unterschätzten Gefühls. Hätte es doch ohne Saturn verschiedenste Dichtungen und Gemälde der Romantik gar nicht gegeben. Poesie und Musik gelten als Therapieformen der Melancholie, das Zulassen der Dysthymie kann aber auch ein kreatives Szenarium in Gang setzen, wie es bei TÜSN nicht nur in diesem Song an der Tagesordnung ist. Melancholie siedelt sich irgendwo zwischen Traurigkeit und Träumerei an. So erzählt TÜSN auch bei „kranke heile Welt“ von „Symptomen einer kranken Welt“ und rät zur Therapie. Doch wer therapiert diese Welt, „die uns schreiend in den Rücken fällt“, da hilft auch kein zusätzlicher Vokal für die phonetische Darstellung von Schlangen, Ratten und Löwen. Aber da ist ja noch der Lichtpunkt, der Rückzug in die Zweisamkeit, als Laboratorium gegen die Krankheit, die Insel der Träumerei. Ein nuanciertes, facettenreiches Dickicht für die Entschlackung der Negativität und dem „Segen der Apokalypse“.
Während „Melanchotherapie“ eher verträumten Dark Pop bietet, geht es bei „kranke heile Welt“ etwas heftiger zur Sache, Drums und Saiten rücken nach einem sanftmütigen Intro in den Vordergrund, während die Synths sphärischer erklingen, um dann gemeinsam mit einem raueren Timbre einen druckvollen, latent aggressiven Chorus imprägnieren. Zwischendrin eingestreute Breaks und ein Wechselspiel zwischen laut und leise. Im Video visuell vervollständigt durch die Illustratoren Brinkmann und Kopetzki.

„Scheitern“ ist eines der wundervollsten, tragischen Liebeslieder, in seiner Eleganz und vom Refrain her nur zu vergleichen mit „Butterfly on the Wheel“ von The Mission. Die Muse des Kitsches küsst die bittersüße Melodie und lässt ein betörendes Kleinod dunkler Eleganz entstehen.

Vor dem „Scheitern“ hat man zuerst „Zweifel“ gesät. Diese sollten schweigen, um nicht als Geißel der Gefühle missbraucht zu werden. Aufgebaut auf einem eingängigen Grundgerüst entstehen verspielte Linien, welche sich hingebungsvoll an die Melodie schmiegen.

Mit ornithologischen Erzählungen über die Vögelei der Psyche eröffnet „schwarzer Lambada“, ein Song der in sich versteckt mehr Gleichnisse beherbergt als das neue Testament. Zu Beginn glänzen verführerische Wave-Saiten und unterstützen reduziert die Erzählung. Der Refrain glänzt dann mit fein verwobenen Klangspektren. Eingestreute Choräle und in den Strophen abgebrochene Eruption, welche geschickt die Aufmerksam auf das einzelne Satzgerüst lenken. Das Video ist herrlich abgedreht und glänzt mit einem modern dargestellten Surrealismus. Dali würde seinen Bart spitzen und jede Tischtennisplatte uhrengleich fließen lassen.

Hernach wird man mit „Made in Germany“ erstmals richtig politisch (wenn man mal die kleinen Anspielungen aus dem Titelsong vergisst). Das Video pendelt zwischen Milgram-Experiment und (An)Klage. Logisch, dass TÜSN bei dieser Gesellschaftskritik nicht plakativ zu Werke gehen, sondern teils provokativ fragend den Spiegel bereithalten, quasi als Möglichkeit zur Selbstreflexion. Ganz nebenbei ist es eine Auseinandersetzung mit der Täter und/oder Opferrolle im (all)täglichen Handeln.

„KÜSN“ ist ein typischer, indiepoppiger Deutschrock-Song in einem Gewand, das sich an die 80er anlehnt, rein subjektiv gibt es hier für TÜSN-Verhältnisse die einzige, klitzekleine Schwachstelle. Vielleicht geht es auch nur darum, „endlich ein Tanzvideo zu veröffentlichen“.

Das folgende „schlaflose Inkubation“ besitzt einen dramatischen Aufbau, wirkt leicht sperrig und beschreibt nicht eine fehlgeschlagene Behandlung von Schlafapnoe. Es geht ums Suchen und ums Finden. Und es werden Fragen gestellt, wobei geschickt zwischen der Frage nach Erbauern von Straßen und Gebäuden und den Erbauern (Erschaffern) von bedrückenden Gefühlen wie Angst variiert wird. Die nicht gestellte Frage ist: Sind es die gleichen?

Die wunderschöne Piano-Ballade „noch mehr“ ist ein ganz besonderes, mit eloquenter Lyrik dargebotenes Liebeslied. Mit „letzter Tag“ fällt der letzte Vorhang und liegt im rotem Samt gekleidet in einer Ecke des Theaters. Die Stille ist abstrakt, das Gehörte ist Ballast für die Seele und sorgt dafür, dass der Seelenballon nicht einem Ikarus gleich der Sonne entgegenfliegt, das geschmolzene Wachs glänzt eh schon wie ein Mahnmal einer verzwickten Gefühlswelt.

Fazit: Sprache kann eine Waffe sein, aber sie lässt uns auch träumen, sie erklärt uns die Welt. Seien wir gut zu ihr! TÜSN ist gut zu ihr! Snöt lässt seine Lyrik in schwarzen Farben glänzen, dennoch schüttet sie sich aus, wie ein Feuerwerk am Ende einer erfolgreichen Psychotherapie, welche hier teils analytisch, teils verhaltenstherapeutisch daherkommt. Ein nicht zu unterschätzender philosophischer Ansatz zwischen Existenzialismus und Nihilismus schimmert durch. Wobei Letzteres von Snöt in bester Karl Popper Manier immer wieder negiert wird. Neben Text und Musik überzeugt bei TÜSN auch die visuelle Umsetzung in verschiedensten Videos und zu guter Letzt trägt die Befriedigung der Haptiker mit einer limitierten Box zum Gesamtkunstwerk bei. Hingewiesen sei auch auf die Tourbundle mit T-Shirt, Gimmicks, T-Shirt und Hardticket- Ich hab schon eines für Osnabrück. (andreas)

TÜSN – Trendelburg Tour 2019
26.04.2019 Bremen – Tower
27.04.2019 Rostock – Helgas Stadtpalast
28.04.2019 Hamburg – Nochtspeicher
29.04.2019 Frankfurt – Nachtleben
01.05.2019 München – Backstage
02.05.2019 Nürnberg – Club Stereo
03.05.2019 Saarbrücken – Garage Club
04.05.2019 Osnabrück Kleine Freiheit
05.05.2019 Hannover – Lux
07.05.2019 Köln – Blue Shell
08.05.2019 Leipzig – Moritzbastei
09.05.2019 Braunschweig – Eule
10.05.2019 Berlin – Urban Spree