EMPFEHLUNG, REVIEW

TÜSN „Am Ende bleibt dir nichts“ (Avantgarde Pop/Synth Wave Pop)

TÜSN

„Am Ende bleibt dir nichts“
(Avantgarde Pop/Synth Wave Pop)

Wertung: Empfehlung!

VÖ: 13.01.2023

Label: Redfield Records

Webseite: Homepage / Facebook

Mit ihrem dritten Album, welches auf den hoffnungsvollen Namen „Am Ende bleibt dir nichts“ hört, legt das Berliner Trio erneut ein bestechendes Werk mit eloquenten Texten, intelligenter Gesellschaftskritik, samtenen Melodielinien und durchdringendem Gesang vor, welches heuer, von den Soundstrukturen her, etwas avantgardistischer daherkommt.

Der Opener „Jetzt und für immer“ beginnt getragen und wohnt in Ruhe, welche gespannt die Aufmerksamkeit auf die Worte lenkt. Ganz langsam füllt sich das Instrumentarium, um den Refrain elegant zu begleiten. Hernach wieder Ruhe und Minimalismus, geschickt gesetzte Dissonanzen und der perfekt gesetzte Peak. Zwischenspiele über das Gewinnen und die geringen Erfolgsaussichten.

Fast schwebend schleicht man ins schräg intonierte „741 Millionen“. Hier bekommen die Reichen ihr fett weg, aber nicht mit einer klaren Parole, sondern austariert mit einer leisen Wut und Verzweiflung dargebracht. Fakt und Fazit: Es ist genug für alle da!!!!!! Das folgende „Blinde Scheiben“ ist voller versteckter Andeutungen und beherbergt eine wundervolle Hookline. Eine dezente Schräge fügt sich der Harmonie, Eine Erzählung fügt sich der Aussage. Ein Song, den andere Bands als Füller nehmen, entpuppt sich und nach als Höhepunkt und das liegt nicht nur an der Musik.

„Was hast du heute Abend vor“ könnte man fast als „Gute Laune-Song“ bezeichnen. Leichtfüßig und poppig wird das Stück auf elektronische Bläser aufgebahrt, lädt zum Mitsingen ein und besitzt dieses galante Etwas der Einfachheit. „Auf Wiedersehen“ ist ein in tiefer Melancholie badender Song über das Abschied nehmen. Getragene Pianoklänge und ein bestechend auf den Punkt gebrachter Text. Das latent als Oxymoron funktionierende, vorab veröffentlichte „Ruinieren wir heile“ schwadroniert mit Vehemenz über heimelige Atmosphären und durchdringender Eleganz. Erklärung, Aufforderung, Beschreibung, man weiß es nicht genau. Perfekt der Übergang in das feinverwebte und in Ruhe thronende „vernavigiert“, welches rückblickend einen Fehler aufzuspüren versucht. Galante Klaviersonaten begleiten diese Unterfangen.

Das titelgebende Extrakt, welches ich etwas humorvoll „hoffnungsvoll“ nannte, hat am Ende genau diese überraschende Attitüde, denn am Ende bleibt doch etwas, etwas kleines, zerbrechliches. Die Liebe.

Ich kenne keine Band, die einen Song über Algorithmen schreibt, und ich kenne keine Band auf dieser Welt, welche dieses schwierige Unterfangen derart genial umsetzt. Das Ganze gipfelt in der wundervollen Frage „was machen Algorithmen in ihrer Freizeit“. Das weich und getragen daherkommende Schlussepos „Regentag“ ist erneut ein balladesker Piano-Song. Wunderschöne, ruhige Klangspektren, verträumte Passagen und dieses, zum passenden Moment erheben der Stimme-Gänsehaut pur.

Fazit: Sprache kann eine Waffe sein, aber sie lässt uns auch träumen, sie erklärt uns die Welt. Seien wir gut zu ihr! TÜSN ist gut zu ihr! Snöt lässt seine Lyrik in schwarzen Farben glänzen, dennoch schüttet sie sich aus, wie ein Feuerwerk am Ende einer erfolgreichen Psychotherapie, welche hier teils analytisch, teils verhaltenstherapeutisch daherkommt. Kennt ihr den Moment, wenn man ein Buch liest, und einen bestimmten Satz immer wieder lesen muss, weil er so genial ist, weil er mit wenigen Worten das Universum des Ichs beschreibt, diesem Gefühl begegnet man bei TÜSN zuhauf. Erneut ein grandioses Werk deutscher Sprachkunst, der literarische Brecht trifft auf Kafka und die musikalische Künstlerseite huldigt Reiser und Blixa. Diesmal hat es etwas länger gedauert, bis das Album sich in meinen Gehörgängen entfaltet hat. Aber spätestens beim dritten Durchgang ist man das staunende Kind, welches im Spielzeugladen eingeschlossen wird und genügend Cola und Chips dabei hat.

„Nichts als die Liebe“-Tour 2023
02.03.2023 München, Backstage
03.03.2023 Wiesbaden, Kreativfabrik
04.03.2023 Köln, Artheater
07.03.2023 Leipzig, Neues Schauspiel
08.03.2023 Dortmund, Junkyard
09.03.2023 Hamburg, Indra
10.03.2023 Hannover, Lux
11.03.2023 Berlin, Frannz