SARA NOXX & MARKUS FÖRSTER
„Der schmale Grad des Wahnsinns“
(Buch)
Wertung: Gut
VÖ: 01/2019
Label: Eigenproduktion
Mit „Der schmale Grad des Wahnsinns“ legen die beiden Protagonisten nach der 2013er VÖ „Zweimal Liebe zum Mitnehmen, bitte“ ihr zweites gemeinsames Buch vor. Unterteilt in drei Kapiteln tobt man auf dem Asphalt des Wahnsinns, welcher verfeinert mit Realsatire, Sarkasmus oder gar Zynismus in die Gehirnwindungen der Leser implantiert wird. Das Nachdenken über das Gelesene wird aber erst beim Blick in den vorgehaltenen Spiegel richtig interessant.
Zu lesen bekommt man kleine Geschichten, geflügelte Lyrik, Sinnsprüche oder Aphorismen, welche häppchenweise auf den Altar der unterschiedlichen Gefühlswelten tropfen. Das Reale seziert in Schwarz und Weiß und zusammengefügt zum literarischen Film Noir. Die Blickrichtung wechseln, von außen betrachten, das Innen mit Dunkelheit ausleuchten. Der Keller im Kopf tritt den Dachboden mit Füßen.
Unter „Vom Wa(h)renwert des Lebens“ könnte auch als wilder Rundumschlag gegen Alltagsmasochismen der heutigen Zeit gesehen werden, mit einem kleinen Beitrag zur Werte-Debatte ohne zu tief in die klassische Nationalökonomie einzudringen. In diesem ersten Teil des Buches geht es um so unterschiedliche Themen wie Fernsehprogramm, Politik, Alltagsdrogen, Mülltrennung, Essensreligionen, Politik oder die Missachtung universalistischer Verhaltensnormen.
Das längste, zweite Kapitel trägt den bedeutungsschwangeren Titel „vom Abklingbecken für menschlichen Emotionalurin“. Die bitteren bis tragischen Beschreibungen des Alltags bieten nicht zwangsläufig einen Lösungsansatz für die Endlagerung. Erneut bewundernswert, aus welch großen Fundus die Beiden schöpfen und welch unterschiedliche Geistesblitze verarbeitet werde. Kurz die Online-Generation verraten, dann die Mutterliebe, mal witzig als Paarreim oder bedrückend als Lyrik eruiert. Spuren hinterlassen, Fehler machen und das verlorene Kind. Als Einheit(sbrei) genossene Bitterstoffe. Es ist ein Spielen mit Worten, die sich oxymorisierend gebend oder dem Klang huldigend paaren um sich langsam zu entkleiden, bis die Nacktheit der Gedankenwelt ungeschönt geschrieben steht. Die spitze Feder als Waffe für die Ferse derer, die abgestumpft oder bewusst die Unverwundbarkeit propagieren. Die Moral wird zum Mooraal, der sich durch die schlammigen Gedanken des Homo Sapiens (bzw. Homo Erectus) windet und dabei mal Freud nett grüßt, Foucault zuwinkt oder Sartre’s Sein und Nichts kopulieren lässt.
Das dritte Kapitel „Der Weisheit letzter Schuss“ beendet mit kleinen Elegien über Einsamkeit, Hoffnung, Freund und Feind und neuen Bauernweisheiten das Buch. Veredelt wird das Werk mit einem Vorwort von Mozart (Umbra et Imago) und auch die Danksagungen am Ende sind alles andere als typisch.
Fazit: Sara und Markus gelingt es, ein leicht lesbares Kleinod zwischen Hysterie und Gleichgültigkeit und auch sonstigen Ambivalenzen zu formatieren. Der Leser gerät teilweise in Erklärungsnot, teilweise nickt er bestätigend. Die Beschreibungen der Realität sind natürlich subjektiv und mit einer tief im Inneren steckenden Liebe zu den 80ern behaftet. Die Melange aus plakativen, umschreibenden oder verwirrenden Geschichten behält sich vor, ein galantes „hab ich doch gesagt“ unterschwellig einzubauen. Bleibt noch die Frage, warum im Titel Grad mit D geschrieben wurde? Markus Förster liefert die Antwort:
Hier ist schon der erste Grund, warum wir uns für diese Schreibung entschieden haben. Welchem Leser wird bewusst, dass es sich nicht um die Kante eines Bergrückens handelt, sondern um die Frage nach eine Maßeinheit…
Der Titel ist als Frage nach einer Einstufung bzw. einem Maß für den menschlichen „Wahnsinn“ zu verstehen – sprich, wann zählt man bereits als wahnsinnig und wann noch bei Verstand? Sara Und ich sind der Überzeugung, dass die Grenze zwischen normaldenkend und wahnsinnig eine sehr, sehr schmale ist. Ein weiterer Grund für uns: Vermeintlich Verrückte gelten als normal, „Normaldenker“ werden heutzutage manchmal als wahnsinnig eingestuft – weil es wohl einem passenden Maß (Maßeinheit) fehlt.
Die Schriftsteller:
Sara Noxx
Sara Noxx ist eine deutsche Musikerin. Sie ist eine der Preisträgerinnen des 1997er Zillo-Bandcontests. Ihr Musik ist geprägt von elektronischen Klängen, melancholischen Beats und Texten voller Endzeit-Romantik.
U. a. arbeitet Noxx mit der deutschen Alternative-Band Project Pitchfork, Tanzwut, Subway to Sally und Joachim Witt zusammen. Zum 19. Wave-Gotik-Treffen im Mai 2010 wurde eine Cover-Version von „Where the Wild Roses Grow“ mit Mark Benecke veröffentlicht, die von bekannten Elektro- Bands wie Feindflug, Kontrast, SITD und weiteren remixed wurde. Zum 20. Wave-Gotik-Treffen 2016 erschien eine erneut mit Mark Benecke aufgenommene – Coverversion von Falcos Jeanny, die im April 2016 Platz 1 der Deutschen Alternativ-Charts erreichte.
Diskographie:
1997: Noxxious
1998: Paradoxx
2001: Exxtasy
2003: Nonvoxx (Instrumental)
2003: Equinoxx
2007: Bridges (ESSEXX)
2008: XX-Ray (Best Of)
2009: Intoxxication
2011: Where The Wild Roses Grow (mit Mark Benecke) –
EP
2014: Weg zurück (mit Goethes Erben) – EP
2015: Entre Quatre Yeuxx (Standard & Limited Edition)
2016: Jeanny (mit Mark Benecke) – EP
Bibliografie:
Lyrixx (2004)
Zweimal Liebe zum Mitnehmen, bitte! (2013)
Markus Förster
1999 – 2003 – Gründungsmitglied der Band Endzeit
2003 – Theaterstück „8.16 Uhr“ im Thalia Theater in Halle/Saale
2005 – Veröffentlichung des Buches „Bildbetrachtungen“ Start der Kolumnenserie „politisch bedenklich!?“ in verschiedenen Webzines Preisträger des Mittelsächsischen Lyrikpreises Beitrag u. a. in der Gedichtanthologie „Gedichte – best german underground lyriks 2005“
2006 – Preisträger des Internationalen Schriftstellerpreises der Regensburger Schriftstellergruppe International, verschiedene Lesetouren mit Oswald Henke (Goethes Erben)
2008 – Theaterstück „ZeitenWände“ (in Zusammenarbeit mit Oswald Henke, Uraufführung im Leipziger Schauspielhaus, Wave Gotik Treffen)
2009 – Mehrtägige Russland-Lesetour
2010 – Veröffentlichung des Buches „Ich suchte Glück und fand nicht mal Liebe“
2013 – Veröffentlichung des Buches „Zweimal Liebe zum Mitnehmen, bitte!“ (in Zusammenarbeit mit Sara Noxx)