Robert W. Chambers
„Der König in Gelb“
(Horrorliteratur)
Wertung: Empfehlung
VÖ: 22.08.2014
Verlag: Festa-Verlag
Originaltitel: The King in Yellow
ISBN: 978-3-86552-332-7
192 Seiten
Paperback, Umschlag in Festa-Lederoptik
Mein Interesse an dem Buch „Der König in Gelb“ von Robert W. Chambers wurde durch eine Fernsehserie geweckt. Meines Erachtens ist die erste Staffel von „True Detective“ die zweitbeste Serie (nach „Breaking Bad“), die jemals für das Fernsehprogramm gedreht wurde, aber heute soll es nicht primär um die Serie gehen, auch wenn ich nicht umhinkomme, sie jedem einzelnen Menschen ans Herz zu legen. Auf eigene Gefahr natürlich, denn nicht jeder kann mit den dort zur Schau getragenen Nihilismus / Realismus und den philosophischen Ansätzen umgehen. Fakt ist, dass sich jemand von „Der König in Gelb“ und dem dort angedeuteten Mythos, naja, sagen wir mal, im weitesten Sinne inspirieren lässt.
Damit steht die Serie in einer langen Reihenfolge von Veröffentlichungen, die sich durch „Der König in Gelb“ inspirieren ließen. Am häufigsten wird natürlich H.P. Lovecraft (1890 – 1937) genannt, der sich für sein „Necronomicon“ bei der Grundidee von Robert W. Chambers bediente; allerdings reicht der Einfluss über die Jahrzehnte hinweg bis hin zu Bestsellerautoren wie Marion Zimmer Bradley oder eben „True Detective“. Im musikalischen Bereich scheinen sich vor allem die extremeren Metalbands mit dieser Thematik zu beschäftigen (ANAAL NATHRAKH oder ANCIENT RITES), aber auch BLUE ÖYSTER CULT oder KING CRIMSON werden mit dem König in Gelb in Verbindung gebracht.
Ein Bestseller-Autor war Robert W. Chambers (1865 – 1933) ebenfalls zu seiner Zeit. Von 1894 bis 1928 veröffentlichte er mehr als 70 Bücher, aber leider hat er sich nicht ausschließlich auf das Schreiben von Fantasy- und Horrorliteratur konzentriert, sondern hat mehr oder minder dem Volke die Geschichten geschrieben, die es lesen wollte. So kam der Künstler, der auch als Maler aktiv war, zu einigem Ansehen und Vermögen.
„Der König in Gelb“ ist seine zweite Veröffentlichung (aus dem Jahre 1895) und eine Sammlung von (ursprünglich) 10 Kurzgeschichten. Die Auflage des Festa-Verlages beinhaltet sieben dieser Kurzgeschichten, auf die ich später noch eingehen werde.
Der König in Gelb ist ein Buch im Buch, das bedeutet: es geht in den Kurzgeschichten des Buches nicht um den König als Person, sondern „Der König in Gelb“ ist ein Theaterstück, welches die Protagonisten der Geschichten lesen. Dieses Theaterstück ist so grauenvoll, dass diejenigen, die es lesen, dem Wahnsinn anheimfallen. Die Parallelen zum „Necronomicon“ sind hiermit schon gut verständlich. Wir als Leser erhalten selbst lediglich einen kurzen Einblick in das Theaterstück, wie zum Beispiel durch das vorangestellte „Cassildas Lied“ und die Einführung zu „Die Maske“, welche beide aus der zweiten Szene des ersten Aktes entnommen sind. Im Laufe der Geschichten tauchen noch einige Referenzen an das Stück auf, wie die Erwähnung des „Gelben Zeichens“ oder der bleichen Maske.
Während bei „True Detective“ die Stadt Carcosa eine gewichtige Rolle spielt und ich allein aus diesem Grund ein großes Interesse an diesem Buch hatte, wird in dem genannten „Cassildas Lied“ diese Stadt (oder ist es eine vergessene Zeit oder ein unbekannter Planet?) eindrucksvoll porträtiert. Allerdings ist ein erschaffener Mythos nur so eindrucksvoll, wie er uns so wenig wie möglich verrät. Diese Tatsache nutzten die Künstler aus, die die Idee von Carcosa, den Hyaden, Hastur und dem König in Gelb weitergetragen haben.
Besonders interessant und vom Timing her perfekt, ist die Tatsache, dass am 10.11.2014 die Black Metal Band SAILLE ihr neues Album „Eldritch“ auf den Markt bringt, welches als letzten Song „Carcosa“ beinhaltet; ein wunderschönes Klavierstück, welches erst im letzten Vers zu einem wahren Black Metal-Inferno anschwillt. Der Text besteht ausschließlich aus „Cassildas Lied“.
Chambers selbst hat Carcosa nicht selbst erfunden, sondern von Ambrose Bierce (1842 – 1914) entliehen, der 1887 die Kurzgeschichte „An Inhabitant of Carcosa“ schrieb, welche 1893 in der Sammlung „Can such things be?“ veröffentlicht wurde. Aber Bierce ist nicht die einzige Referenz, die man als Leser erkennen kann, denn vielmehr springt mich Edgar Allen Poe (1809 – 1849) an, wenn ich die Geschichten lese. So wie Lovecraft inhaltlich dem Erbe Chambers Rechnung trägt und für Fans der kosmischen Horrors eine Pflichtlektüre darstellt, sind die Liebhaber von Poes Stil verpflichtet, dieses Buch zu lesen. Persönlich halte ich Poe immer noch für unerreicht, aber die Parallelen im Stil sind unverkennbar und sorgen für große Freude, wenn man den gruselig-romatischen Stil liebt.
Aber nun habe ich die Umstände, Wirkungen, Referenzen, Mythologien und Ideen rund um das Buch genügend angerissen, wobei ich durchaus darauf hinweisen möchte, dass das Carcosa / König in Gelb-Thema sich so umfangreich darstellt, dass die eigenen Nachforschungen eurerseits sicherlich mit vielerlei Überraschungen belohnt werden. Meine Reise in diese „Mythologie“ ist definitiv noch nicht an seinem Ende angelangt, denn die Assoziationskette Chambers – Bierce – Lovecraft – Poe – True Detective birgt soviel spannendes Potential und wird sicherlich in seinem Verlauf noch weitere Türen öffnen, bis ich vielleicht irgendwann in Carcosa ankomme. Oder vielleicht besser nicht?!
Was hat uns nun aber konkret das Buch aus dem Festa-Verlag zu bieten? Ich werde auf ausführliche Nacherzählungen verzichten, da sämtliche Geschichten mit feinen Plots versehen sind und ich die Spannung, die sich bei jeder Geschichte (mit Ausnahme von „Das Paradies der Propheten“) aufbaut, niemandem stehlen möchte. Wer allerdings wirklich nichts über die Geschichten erfahren möchte, scrollt gleich mal etwas weiter runter, denn den einen oder anderen Spoiler und Teaser werde ich gar nicht vermeiden können und wollen…
Die Geschichten
„Der Wiederhersteller des guten Rufes“ („The Repairer of Reputations“)
Eine tolle Geschichte; die längste in diesem Buch und vielleicht die ausgereifteste. Chambers wagt einen Blick in die Zukunft (USA in den 1920er Jahren) und die Story steckt so voller absurder Ideen (wie z.B. die Aufhebung der Gesetze, die den Selbstmord verbieten und die damit verbundene Einführung der Todeskammern…) und Wendungen, dass ich die Geschichte schlichtweg verschlingen musste. Man erfährt auch viel über das Theaterstück… viel besser hätte man den Einstieg in die Sammlung nicht wählen können.
„Die Maske“ („The Mask“)
Aus Lebendigem wird durch eine Formel etwas Wunderschönes, dennoch Totes… die Geschichte handelt von Alchemie, Liebe und Freundschaft und ist sehr romantisch. Dennoch kommt die Wendung unerwartet für den Leser und ist ein Beleg für die Phantasie von Chambers. Vielleicht könnte man sagen, dass nichts für die Ewigkeit ist…
„Am Hofe des Drachen“ („In the Court of the Dragon“)
Eine Kirche, die nicht nur dem katholischen Glauben dient, sondern etwas unheimliches zu beherbergen scheint. Nicht jeder ist empfänglich für die Blasphemie… oder ist es nur ein Traum?! „Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen!“
„Das Gelbe Zeichen“ („The Yellow Sign)“
Ein Künstler (ein wiederkehrendes Motiv der Geschichten) und Lebemann verliebt sich und diese Liebe besiegelt sein Schicksal durch ein Geschenk, welches der unheimliche Nachtwächter der Kirche, der einem Leichenwurm ähnelt, schon vorher ankündigt.
„Die Jungfer d′Ys“ („The Demoiselle d′Ys“)
Bei dieser (Geister-) Geschichte denke ich ganz besonders an Edgar Allen Poe. Das von wundervoller Romantik durchzogene Erlebnis ist so wunderschön, dass es die nach Liebe suchenden auf eine wunderschöne Reise mitnehmen wird. Aber das Ende ist schrecklich und die Geschichte hat sicherlich für etliche Gruselfilme der 60er / 70er Jahre herhalten dürfen.
„Das Paradies der Propheten“ („The Prophet′s Paradise“)
Diese poetische Abhandlung lässt mich etwas ratlos zurück. So wirklich habe ich den Zugang nicht gefunden… vielleicht macht ihr was draus…!
„Die Straße der Vier Winde“ („The Street of the Four Winds“)
Wieder eine Geschichte über Schicksal und eine Katze als Botschafter. Sehr im Stile Poes weckt Chambers eine gewisse Neugier, die mit einem grausigen Ende belohnt wird.
Missing Links / Bonus
Wie bereits erwähnt, scheinen noch drei weitere Geschichten in der Originalveröffentlichung enthalten gewesen zu sein: „The Street of the First Shell“, „The Street of Our Lady of the Fields“ und „Rue Barrée“.
Andererseits spendiert man uns ein ausführliches und interessantes Nachwort zum Leben und Werk von Robert W. Chambers, in dem man nach Herzenslust nach weiteren Inspirationen graben darf.
Die Übersetzung
Andreas Diesel hat die Geschichten sehr schön übersetzt. Ich persönlich liebe die Übersetzungen alter Meister aus den 60er oder 70er Jahren, weil damals eine ganz andere Sprachkultur herrschte, aber Andreas Diesel findet eine wohlige Mischung, um die alten Texte in die Moderne transportieren und für uns wunderbar lesbar zu machen, ohne das alte Flair zu verlieren.
Bekannt ist Andreas Diesel den Lesern der Festa-Bücher durch seine zahlreichen Übersetzungen für den Verlag. Aber auch die Übersetzungen musikrelevanter Bücher wie „Das Kompendium der schwarzen Künste“ oder „Schwedischer Death Metal“ und der demnächst erscheinenden „Akte Ministry: Die offizielle Autobiograpie“ gehen auf sein Konto. Als Autor ist er u.a. mit „Looking for Europe: Neo-Folk und Hintergünde“ in Erscheinung getreten.
Fazit
Abschließend bleibt mir zu sagen, dass „Der König in Gelb“ einige meiner Fragen beantwortet hat, aber gleichzeitig so neugierig auf viele andere Autoren und Geschichten macht, dass ich dieses Buch ruhigen Gewissens als Inspirationsquelle für weitere Leseabenteuer bezeichnen darf.
Freunde von Lovecraft und Poe, des Grauens und der Romantik sind sehr gut beraten, sich dieses Buch zu besorgen, denn es ist kurzweilig, spannend und wunderbar (antiquiert) gruselig. (chris)