EMPFEHLUNG, REVIEW

MYSTIGMA „Gebete“ (Dark Rock/NDH)

MYSTIGMA

„Gebete“
(Dark Rock/NDH)

Wertung: Sehr gut

VÖ: 22.10.2021

Label: Timezone

Webseite: Homepage / Facebook

Mit ihrem sechsten Album gelingt es der Osnabrücker Formation um die beiden Bäumer-Brüder nicht nur einen perfekten Nachfolger für „Schattenboten“ zu liefern, sondern auch ihren Sound zwischen Dark Rock, NDH und wavigen Klängen mit deutschen Texten noch mal zu justieren.

Dunkel, fast bedrohlich erhebt sich das wundervolle „Schockraum“ wie Phönix aus der Asche. Wilde Saitenattacken vollführen eine Wendung. Nur kurz herrscht die stringente Härte, nachfolgend lässt man sphärische Töne mit latent sakraler Ausrichtung regieren, um dann doch wieder der Härte zu frönen, ohne auf Eingängigkeit zu verzichten. Musikalisch im Gesamtbild der härteste Song von „Gebete“. Der Gesang ist in seiner samtenen Ausrichtung fragil, aber die Worte sind deutlich, besitzen aber diesen verzweifelten Unterton und liefert so einen perfekten Kontrastpunkt.

„Wie ein Gebet“ ist insgesamt wesentlich ruhiger inszeniert. Die Gitarren besitzen zwar eine gewisse Härte, agieren aber eher im Hintergrund und überlassen der dunklen Melodie das Regiment. Ein wunderschöner Duettgesang von Torsten und Tina ist das i-Tüpfelchen dieses, im traditionellen Dark Rock beheimateten Songs.

Das ruhig wandernde „Wenn Gewalt die Stille bricht“ ist ein, in tiefer Schwermut badender Song. Wenn die Saiten sich in den Vordergrund manövrieren, tun sie dies mit einer eher doomigen Energie. Die ganze Tragik dargestellt in einem fast monologischen Zwiegespräch. Die weibliche Stimme hier und bei anderen Songs (z.B. „Prophet“) stammt von Tina Frank, die unter anderem einem peinlichen Oli P. Cover den einzigen Lichtpunkt verpasste.

„Erlösung“ ist nicht nur aufgrund des betörenden Refrains mit Ohrwurmcharakter ein ganz besonderer Song. Ein Tanz auf der Harmonie, während mit fast zarten Melodielinien ein dunkles Klangbild erzeugt wird, welches tief berührt und der beste Untergrund für die samtene Gesangsstimme darstellt. Torsten zeigt sich nicht nur hier als perfektes Transportunternehmen für tiefe Gefühle.

Das rohe „Prophet“ glänzt erneut mit einem durchdringenden Refrain. Die Saiten agieren heftig, während die Stimme zwischen Aggression und gesungenem päpstlichen Psalm schwebt. Ein hartes Stück mit einem ruhigen, fast heimeligen Ausklang.

„Testament“ ist das letzte Papier, welches wir hinterlassen. MYSTIGMA scheinen hier vom Individuum zum Kollektiv eine Verbindung entstehen zu lassen. Der letzte Zettel, auf dem alles drauf steht, ein Vermächtnis, welches man in der ein oder anderen Form am liebsten negieren würde. Im Kollektiv wird es wahrscheinlich Nachfolger geben, die herzlich lachen. Klassische Eleganz und wildes Riffing, treibende Energie und inmitten ein Einzähler.

Das mit balladesken Klavierklängen umkleidete „Herzakkord“ ist angelehnt an Patrick Süskinds „Das Parfum“. Neben den Tasten sorgen vor allem die Drums für eine treibende Rhythmik und fordern zum passenden Moment die Saiten zum Duell. Dazwischen immer wieder sphärische Ruhepole und auch kleine Prog-Elemente werden mit einem Soli integriert. Die Geschichte von Jean-Baptiste Grenouille wird wohl im Sinne von Süskind umgesetzt, nicht (nur) Mörder, sondern ein geschundenes Genie…. eine durch und durch tragische Geschichte, hier besser inszeniert als in der bekannten Verfilmung.

Umseelt von tiefer Melancholie gelingt es dem tragischen „Unter die Haut“, ohne Effekthascherei einen feinen Wave Song zu kreieren, der in Phasen eine poppige Eleganz besitzt, vom Gesamteindruck her aber viel zu düster daherkommt, um die verdiente Radiotauglichkeit zu besitzen. Zwischendrin agiert gar ein wenig kühle Ästhetik. Die Verschmelzung von kristallinen, harten Klängen mit einer im Hintergrund heulenden Sirene sorgt für nötige Spannungsbögen. Danach begibt man sich in die griechische Mythologie und lässt Morpheus zum verführerischen Verwandler in einer (alp)traumhaften Nacht werden. Auch „Charon“ geht in die griechische Mythologie, in der Charon der düstere, greise Fährmann ist, der die Toten für einen Obolus in einem Boot über den Totenfluss bringt, damit sie ins Reich des Hades, des Herrschers der Unterwelt gelangen. Geschickt eingeflochten der Kampf gegen die letzte Reise, zur Not mit einem kleinen Spiel.

Mit dem Cover des alten Edge of Sanity Klassikers „Sacrificed“ hat das Werk einen überraschenden Abschluss.

Fazit: MYSTIGMA liefern ein in allen Belangen gelungenes und durchdachtes Album, welches nicht nur durch seine eloquenten Texte mit Ausflügen in Literatur und Mythologie zu glänzen weiß. Auch musikalisch überzeugt die Melange aus straightem Dark Rock, flächigen Synths und sehnsuchtsvollen Melodielinien. Auch die Balance zwischen erzählerischer Atmosphäre in den Strophen und betörenden Refrains (dessen Gipfelpunkt sicher der Refrain von „Erlösung“ ist) überzeugt. Amen… (andreas)