KLEZ.E
„Erregung“
(Post Punk / Cold Wave)
Wertung: Empfehlung!
VÖ: 23.02.2024
Label: Windig / Cargo
Webseite: Wikipedia / Facebook / Bandcamp
Wo fängt man an bei dieser Band, um nicht gleich mit dem Erstoffensichtlichen die offene Tür einzurennen. Bereits 2002 gegründet, gab es 2016 mit „Desintegration“ einen kleinen Stilwandel hin zu Post Punk und düsteren Klängen, die auch mich erstmals erreichten. Danach war es wieder 8 Jahre still. Nun kehrt man mit einen bestechenden Werk zurück, welches nicht nur die Fans des Offensichtlichen ansprechen dürfte.
Schon der Opener und Titelsong ist mit seinen 7 Minuten ein wahrer Moloch der Schwermut. Egal ob man sich auf die schwelgerische Musik mit verwaschen Saiten, gradlinigen, dennoch verspielten Keys konzentriert oder dem wahnsinnig genialen Text lauscht, der sich wie eine Melange aus Sven Regner, Blixa und TÜSN anhört – es ist ein wilder Farbenrausch, der sich Schwarz-Weiß in die Gehörgänge frisst. Ist es die Schulzeit, die einem begegnet, ist es der Toupierkamm, der vor dem geistigen Auge erscheint oder kann man sich fallen lassen, in dieses grandios gestaltete Panoptikum der Gefühle. „Ich kann die Angst nicht mehr ertragen und den Spinnenwebensud, doch die Kanonen wollen donnern und die donnern ziemlich gut“.
„Verpassen“ beginnt schleppend, eher Drum-bestimmend, bevor erneut eine erzählerische Eleganz die traurigen Klänge mit traurigen Worten begleitet. Faszinierend der Ruhe lauschend, tröpfelt Wort um Wort die Melancholie ins Meer der Sehnsucht. „Herbstherz“ sucht zu Beginn seine Heimat. Am Anfang fast ein Augenblick der Fröhlichkeit, dann erinnert man ein wenig an Richard Strange, bevor der Gesang die kristalline Musik durchbricht und dem Jahrmarkttreiben die Schwärze verleiht. „Mr. Dead and Mrs. Free“ ist ein wunderschöne Hymne an die Liebe in einer industrialisierten Welt und gegen den Determinismus der Hoffnungslosigkeit. Das Gesamtgefüge zerbrechlich und fragil wie ein Kartenhaus, dennoch besticht die Detailverliebtheit beim sanftmütigen Aufbau.
Dann kommt dieses ganz besondere Machwerk „Düster“, welches mich ein wenig an Sankt Ottens „eine kleine Traurigkeit“ erinnert. Ein durchdringender genialer Text voller kleiner Anekdoten („wir können uns das Foto leisten, bei dem Afrika ruhig bleibt“). Das Gesamtgefüge in einer klaren Gitarrennote dargeboten, wobei die Saiten leise Tränen vergießen und in ihrem Schweigen dennoch laut sind. Vielleicht eines der schönsten Stücke, wenn man Schwarz gewandete den Begriff Schönheit erklären lässt.
Nach dem Liebessong „wie schön du bist“, der sich weitab von der Beliebigkeit des Titels ein gefühlvolles Textnest sucht, folgt die „Tortur“, welches etwas schräg daherkommt und auch der Text etwas Verstörendes hat und auch die Exegese ein wenig das Gehirn verknotet. Darüber thront der verquere Charme von heimeligen Saitenarien, in denen man versinken kann. Zum Schluss gibt es mit „Nachtflug“ kleine versteckte Reminiszenzen an Joy Division, wobei hier der Trauerflor sich perfekt an die Musik schmiegt.
Fazit: Ein dystopisches Meisterwerk, welches elegant die Gehörmuscheln küsst und gleichzeitig den Bogen der Tragik bis zum Exzess treibt. PTBS mit einer Liebe zum Detail, dessen leichtgängige, pubertären Erfahrungsvariationen nicht zwangsläufig behandlungsbedürftig sind. Im Gesamtkontext ein betörendes Klangerlebnis, welches textlich die kleine Schwester der Traurigkeit mit dem großem Bruder der Gesellschaftskritik paart. Im Gesamtgefüge sind die Songs diesmal etwas schräger, evtl. gar etwas hektischer inszeniert als auf dem Vorgänger. Das Offensichtliche lugt überall hervor und ist mit jeder Pore der Gänsehaut fühlbar. Leicht wummernden Gitarrenriffs, der klagende Bass, das aggressiv-destruktive Schlagzeug, darüber Tobias Sieberts am Rand der Verzweiflung lavierende Stimme vollziehen diese Nähe zum Offensichtlichen. (andreas)