BOY GEORGE & CULTURE CLUB
„Life“
(Reggae/Pop/80er)
Wertung: Sehr gut
VÖ: 26.10.2018
Label: BMG Rights/Warner
Webseite: Facebook / Homepage / Wikipedia
Eine der schillerndsten Persönlichkeiten der 80er meldet sich zurück und gibt die zweite Reunion (nach 1998) des Culture Club (mit Roy Hay (Gitarre, Keyboard), Mikey Craig (Bass) und Schlagzeuger Jon Moss) bekannt. Allerdings mit Verzögerung: Zunächst wurde 2014 sowohl eine neue Tour als auch ein neues Album angekündigt, wobei die Band 18 Tracks aufnahm. Dieses Album (es sollte „Tribes“ heißen) wurde nicht realisiert, und auch die Tour wurde zunächst abgesagt. Mit „Life“ gibt es somit etwas verspätet das sechste Werk der legendären Band. Wie in früheren Jahren vermischt man auf „Life“ eine einzigartige Melange aus Reggae, Soul, karibischen Klängen und einer großen Spur 80er Jahre Pop.
Auch wenn Titel des Albums und Schlussstück eine positive Botschaft übermitteln, gibt sich Boy George in vielen Stücken sehr kritisch. So beschäftigt er sich im sozialkritischen „Human Zoo“ mit menschlichen Verhaltensmustern. In „What does sorry mean“ geht es um Beleidigung (auch in sozialen Medien) und die folgende Entschuldigung und den Umgang mit Beidem.
Im langsam brennenden Opener „God & Love“ scheint zunächst die jüngste Vergangenheit Boy Georges als DJ Einzug in die musikalische Landschaft genommen zu haben. Erst im folgenden „Bad blood“ kommen die typischen Culture Club Klangwelten zum Tragen. Eine schmeichelnde Melodielinie ergibt sich in einer verführerischen Hookline. Die Stimme wird hier von reichlich weiblichen Backings unterstützt. Insgesamt ist der Gesang anders als früher. Das Timbre ist souliger und besitzt im Mark einen raueren Unterton. Ein weiterer Unterschied ist, dass der Gesang nicht so spielerisch bzw. unbeschwert klingt. Man könnte jetzt meinem, ihm wäre die Leichtigkeit abhanden gekommen, diese Leichtigkeit überträgt sich diesmal hauptsächlich über die Musik, wie z.B. im sanftmütigen Reggae-Pop von „let somebody love you“, verziert mit satten Hörnern und flirrenden Gitarren. Eine passende Singleauskopplung, kommt der Song doch den 80er Hits wie „do you really want to hurt me“ oder „karma chameleon“ am nächsten. „Love is revolution/War and famine too/If you’ve the hunger in your heart/Let somebody love you“.
Bei „Human Zoo“ gibt es zusätzlich zum üblichen Instrumentarium auch den Einsatz von Trompete und Saxophon, was dem Gesamten eine jazzige Atmosphäre verleiht. Der Bläsereinsatz (Flöte oder Klarinette kommen teilweise dazu) ist auch in vielen anderen Stücken mal mehr, mal weniger für orchestrale Strukturen verantwortlich. Opulent ausstaffiert kommt das mit Streicher Arrangement verzierte „Runnaway Train“ daher. „Resting bitch face“ besitzt nicht nur den giftigsten Text, sondern ist, abgesehen vom eingängigen Refrain, auch reichlich experimentell verschnörkelt.
Nach dem Motto, das Beste kommt zum Schluss, folgen am Ende meine 3 Favoriten des Werkes.
Mit reichlich Melancholie behaftet erklingt das balladeske, von Klavier begleitete „Oil and Water“. Ein sentimentaler Hörgenuss erster Güte, ohne je auch nur den Anschein von Kitsch zu erwecken. Mit wem sich Boy George hier ein Zwiegespräch liefert wird nicht ganz deutlich, von Gott über imaginäre Person bis Alter Ego ist alles möglich. Das elegante, von der New Romantic der 80er beeinflusste, retrospektive „More than Silence“ zeigt einen wehmütigen aber hoffnungsfrohen Boy George. Ein wundervoller Pop-Rock-Song, hier gibt es die später im Review erwähnte (90er Jahre) Brit-Pop-Attitüde.
Schließlich fasst der offensichtlich neu gestaltete Culture Club seine Arbeit treffend mit dem langsamen, schwelgerischen und sanften Groove des Gospel-inspirierten Titelstücks zusammen.
Fazit: Natürlich ist man zunächst skeptisch, wenn eine erfolgreiche Formation aus den 80ern ein Comeback ankündigt. Insgesamt gesehen, ist dieses Comeback gelungen, sowohl was dieses Album betrifft, als auch die ersten Konzerte. Culture Club begehen nicht den Fehler, ihre Wiederkehr mit einem Best Of Album inklusive zweier neuer Stück zu veröffentlichen, nein sie gehen den schwierigeren Weg, wohl auch weil es keine einmalige Sache sein soll, sondern durchaus längerfristig angelegt ist. Die Band um den charismatischen Boy George macht eigentlich da weiter, wo sie nach dem ersten Split (1986) aufhörten. Allerdings wirkt das Gesamtkonstrukt reifer, ernster und teilweise mit stärkerer Rock (Britpop) Attitüde behaftet. Zwei Jahrzehnte nach ihrer letzten VÖ feiert das Quintett ihren dritten Frühling mit einem Album, dessen zeitlose Musik in jeder Hinsicht überzeugen kann. Im Dezember geben Boy George and Culture Club zwei exklusive Konzerte in Deutschland (04.12. in Köln, 05.12. in Berlin). (andreas)