Das Bremer Duo lädt mit ihrem aktuellen Werk zu einer Reise ins „Niemandsland“ ein. Akustischer Reisebeegleiter ist ein in Harmonie badendes Substrat aus Synthpop, Wave und Melancholic Rock.
Über einzelne Haltepunkte und dem Entfliehen erzählen die beiden Protagonisten im folgenden Interview. Vielen Dank an Jan und Karsten für die ausführliche Beantwortung meiner Fragen. www.ephemere.de (andreas)
Eine ausführliche Review gibt es hier: http://magazin.amboss-mag.de/ephemere-niemandsland-synthpopwave/
Die Geschichte von Ephemere ist ja schon etwas länger. In der heutigen Besetzung gibt es euch seit 4 Jahren. Wie kam der Kontakt zwischen Euch zustande und wie würdet Ihr Eure Bandvita beschreiben?
Jan: Ephemere gibt es seit 2002 in wechselnder Besetzung. Ich bin dabei die Konstante. Am Anfang haben wir klassischen Synthpop gespielt – mit ein paar guten Ideen, aber keinem Plan von Technik. Mit den Jahren kam die Erfahrung, wie man Sounds tüftelt und Songs produziert, die Musik entwickelte sich zu relativ dunklem, experimentellem Wave. Durch die Dynamik zwischen Karsten und mir ist Ephemere schließlich rockiger geworden und wir nutzen mehr analoge Instrumente. Auch in der Produktion kommt mehr Analoges zum Einsatz – beispielsweise eine Leslie-Box und alte Tonbänder. Auf „Niemandsland“ haben wir Melodien mehr Raum gegeben und den Gesang in den Vordergrund gerückt.
Karsten: Kennengelernt haben wir haben uns 2008. Da arbeiteten wir bei einer Agentur. Während wir in der Küche warteten, dass die Tiefkühlpizza auftaut, entdeckten wir, dass wir Beide ungewöhnliche Musik spielen und fanden es – aus sehr unterschiedlichen Richtungen kommend – spannend, was der Andere so macht.
Jan: Kurz darauf waren wir bei einem grandiosen Konzert von Portugal.the Man. Begeistert davon betranken wir uns in einer Kneipe namens Urlaub, während die Band am Tischkicker stand, und beschlossen: Wir werden zusammen auch etwas Radikales machen. Ein Dreivierteljahr später war „Hologram II“ fertig.
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Steckt eher die Tier oder Pflanzenwelt hinter dem Bandnamen, und wie ist er auf Eure Musik umsetzbar?
Jan: Ich war in einem französischen Buch über das Wort „éphémère“ gestolpert und es hat mich in seinen Bann gezogen. Der Satz lautete „ma beauté est éphémère“ – „meine Schönheit ist vergänglich“. Das ist für mich etwas, was Musik und Leben charakterisiert: Dass Schönheit und Bedeutung daraus entstehen, dass man etwas Einzigartiges erlebt, das man weder festhalten noch wiederholen kann. Keine Kunstform kann das so gut ausdrücken wie die Musik: Man kann nicht zurücktreten und ein Lied im Ganzen betrachten wie ein Bild, sondern man muss sich die Zeit nehmen, es in seiner ganzen Länge zu hören, und die Klänge, die einem eine Gänsehaut über den Rücken jagen, sind immer schon verklungen, wenn man sich ihrer bewusst wird. Ephemere will genau dieses dauernde Unterwegssein, diese Dringlichkeit und eigene Schönheit vergänglicher Momente vermitteln.
Kommen wir nun zum aktuellen Werk „Niemandsland“. Zunächst einmal, wie seid ihr mit den Reaktionen zufrieden?
Karsten: Wir freuen uns, dass die ersten Rezensionen sehr positiv sind und dass wir begeisterte Rückmeldungen von den Käufern des Albums bekommen. Musik will ja die Menschen bewegen und eine bestimmte Stimmung und Botschaft rüberbringen. Das scheint gut zu gelingen! Bei den Verkaufszahlen ist aber noch ordentlich Luft nach oben. Als Underground-Band auf einem kleinen Vertriebslabel können wir uns keine großen Werbekampagnen, Radiopromotion und Events leisten, sondern sind darauf angewiesen, dass die Menschen, denen unsere Musik etwas bedeutet, leidenschaftlich Mundpropaganda machen. So etwas braucht Zeit und Überzeugung.
Warum habt Ihr einen deutschen Titel für das Album gewählt? Welche Bedeutung hat für Euch dieser Titel, der durchaus unterschiedlich interpretierbar ist?
Jan: Das Album hatte verschiedene Arbeitstitel – unter anderem „Epigram“ und „underway“. Im Laufe der Zeit wurde aber klar, dass es um mehr geht als um Blicke auf die Vergangenheit oder eine Reise vom einen Ort zum Anderen. Niemandsland beschäftigt sich mit den Situationen im Leben, in denen man zwischen Vergangenheit und Zukunft, bereits Beendetem und noch nicht Begonnenen steht, nicht weiß, wohin es als Nächstes gehen wird, und sich vertraut macht mit diesem Gebiet, das keiner besiedeln möchte, doch in dem man sich manchmal ganz schön lange aufhält. „Niemandsland“ war als Titel also geradezu zwingend. Weder auf Englisch noch auf Französisch gibt es dafür ein eigenes Wort, und zusammengesetzte Begriffe wie „nether land“ oder „zone neutre“ sind nicht annähernd so schön. Außerdem sind wir ja eine deutsche Band, auch wenn wir meist auf Englisch singen.
Unabhängig von Genreschubladen beherrscht eine durchgehend melancholische Stimmung das Werk. Wie würdet Ihr die Grundstimmung in Worte fassen?
Karsten: Es ist Herbst oder Winter, die Nacht bewegt sich aufs Morgengrauen zu, Nebel hebt sich. Eine offene Landschaft, Meer oder Berge. Darin stapft ein Mensch – allein mit der Welt – entschlossen voran und verweilt immer wieder, um sich zu orientieren. Er ist nicht zu Hause, das ist klar. Aber er ruht ein Stück weit in sich und hat sich in einen warmen Mantel gehüllt.
Jan: Der Mensch sucht – kein Weg ist vorgezeichnet, die Welt geheimnisvoll, groß, ehrfurchtgebietend. Doch er ist nicht eingeschüchtert, sondern neugierig. Auch in der Verlorenheit kann man Vieles finden, Resignation oder Stillstand kommen nicht in Frage. Da ist kein Hadern mit dem Schicksal, sondern eine große Offenheit, Empfänglichkeit und Empfindsamkeit. Er will fühlen, will sich einlassen, will erleben. Auch ohne Ziel und einen klaren Weg ist er doch lebendig, gehört zu dieser Welt…also ist es ok. Vielleicht sogar schön.
Was auffällt, ist die wandlungsfähige Intonation des Gesangs. Duett, Zweierkanon, Variieren zwischen dunklem Timbre und Flüstern usw. Wie viel ist im Studio improvisiert, wie viel ist harte Arbeit?
Jan: Wie bei den Instrumenten ist es uns auch beim Gesang sehr wichtig, dass das genau zur Stimmung des Liedes passt. Der Song ist ja nicht für den Sänger da, sondern der Sänger ist Sprachrohr des Songs. Diese Stimmung entsteht im Studio, wenn wir ein Lied entwickeln und darin aufgehen – daraus ergibt sich dann die Herangehensweise an den Gesang. Wenn wir uns aber einmal sicher sind, welchen Stil wir wollen, feilen wir an der Umsetzung so lange, bis sie so gut wie möglich ist. Auf dem Album gibt es, glaube ich, nicht eine einzige Gesangspassage zu hören, die noch vom ersten Studio-Durchgang stammt. Da sind wir sehr perfektionistisch.
Karsten: Gerade den Gesang nimmt man schon häufiger neu auf als Instrumentalpassagen, weil die Stimme eben ein so vielschichtiges und prominentes „Instrument“ ist. Wir nehmen auch beide laufend Gesangsunterricht und beraten uns zu den Vocals, die aufs Album kommen, mit unseren Trainern. Mit jeder Aufnahme lernt man so weiter dazu.
Wie wichtig ist die Symbiose von Text und Musik?
Karsten: Symbiose trifft es genau – denn beides lebt von- und miteinander, Text und Musik sind für uns nicht zu trennen. Das muss aus einem gemeinsamen Keim wachsen – wenn wir im Studio einander Ideen vorspielen, sind es immer schon Ideen für ein Zusammenspiel aus dem, was man sagen möchte, und dem Sound, mit dem man es ausdrücken will.
Jan: Warum macht man einen Song? Weil man eine Stimmung erzeugen möchte, die – wie beim Film oder Theater – verschiedene Kanäle braucht, um mehr zu sagen, als Worte vermögen…damit das Publikum etwas nicht nur versteht, sondern erlebt. Wir fühlen da wie Regisseure – in kompletten Songs, nicht in Worten oder Melodien. Wir würden nie ein fertiges Gedicht auf ein Instrumentalmotiv pappen, nur weil beide einen ähnlichen Rhythmus haben. Dementsprechend haben wir auch keine Jam-Aufnahmen, Samples, Clips oder Gedichte herumliegen, um uns daraus als Steinbruch zu bedienen. Es ist absolut ok, so etwas zu machen, aber es wäre nicht Ephemere.
Da ich denke, dass euch die Texte wichtig sind, kommt in diesem Interview nicht die typische Frage nach den musikalischen Einflüssen, sondern die nach den Einflüssen aus der Literatur…
Jan: Ich freue mich über die Frage, weil in der Tat mehrere Ephemere-Stücke von Literatur inspiriert sind. Es sind nie Lieder über Texte – aber gute Texte können spannende Bilder und Gedanken liefern, die helfen, die eigenen Ideen und Gefühle zu Songs zu verdichten. Auf diese Weise haben Friedrich Nietzsche, Albert Camus und Jack Kerouac viele Anstöße für Ephemere gegeben, aber auch zum Beispiel ein Buch von Bernard Galand oder Reportagen aus Zeitschriften. Auf Niemandsland gibt es zudem zwei Stücke, für die ein Gedicht meiner Frau Sarah und eine Kurzgeschichte meines guten Freundes Sascha den ersten Anstoß gegeben haben. Auf „Hologram II“ hatten wir einen Song „Solaris“, der eine Art Hörspiel zum grandiosen Buchs von Stanislav Lem ist.
Karsten: Oft sind bei uns die Texte aber auch schon auf einen Schlag fertig, als ob das Unterbewusste sie schreibt und wir sie dann nur noch notieren. Das ist sozusagen der literarische Einfluss der Stimmen im Kopf…
Wenn man sich die Texte betrachtet, könnte man da nicht auch von einem Konzeptalbum sprechen? Wie würdet Ihr die Reise durchs Niemandsland beschreiben?
Jan: Niemandsland ist auf jeden Fall ein Konzeptalbum. Nachdem die EPs „Hologram“ und „Hologram II“ je vier sehr unterschiedliche Lieder versammelt haben, war es uns wichtig, dem neuen Album einen eigenen Kosmos zu geben, in dem jedes Lied zwar eine andere Facette in den Mittelpunkt stellt, aber man sich stets in der gleichen Landschaft bewegt. Ausgehend von den ersten Liedern, die wir dafür aufgenommen haben, haben wir die Idee des Niemandslands entwickelt und daraus alles weitere abgeleitet – von der Tracklist bis zum Artwork. So sind auch einige wirklich interessante, fertig aufgenommene Songs nicht aufs Album gekommen, weil sie nicht ins Konzept passten.
Karsten: Ich glaube, die Reise ist ganz gut mit den Bildern beschrieben, die wir vorhin zur Frage nach der Grundstimmung in den Raum gestellt haben. Jeder muss auch seine eigene Reise durchs Niemandsland finden. Unsere Songs stellen zwar einzelne Gebiete davon vor – zum Beispiel den Zweifel, das Sehnen, oder das entschlossene, aber ziellose Vorangehen –, doch jeder Hörer wird an diesen Stationen etwas Anderes entdecken, das für ihn persönlich damit verbunden ist.
Die Texte bewegen sich philosophisch ein wenig im Bereich des Nihilismus. Wie wichtig ist in diesem Kontext der Schlußtrack (ohne Bonus) „Lunar Colony“, der doch eher positiv besetzt ist?
Jan: „Lunar Colony“ zeigt einen unerwarteten Ausgang aus dem Niemandsland, zumindest dessen Möglichkeit. Wir hatten das Album eigentlich schon fertig, als ich den Song unter dem Eindruck eines ganz neuen Anfangs im Leben geschrieben habe. Wir haben beschlossen, das Release zu verschieben und uns mit viel Leidenschaft in dieses 8-Minuten-Monstrum gestürzt, weil es eine genauso spannende Brücke aus dem Album heraus baut, wie „Grazing“ hineinführt.
„Grazing“ beginnt mit dem Zweifel, ob die Art, wie man lebt, noch haltbar ist, ob man nicht etwas festhält, das man loslassen müsste. Damit begibt man sich auf die Reise ins Niemandsland. „Lunar Colony“ hingegen endet mit dem Entschluss, ein unsicheres und noch weit entferntes Terrain zu besiedeln, um dort etwas Neues zu errichten, eine neue Art des Lebens zu schaffen. Damit packt man die Koffer, um das Niemandsland zu verlassen. So kann man „Niemandsland“ in der Tat als ein Album über den Nihilismus sehen. Denn der beginnt mit dem Zweifel an bestehenden Werten und Glaubenssätzen, kann aber nur eine Durchgangsstation sein auf dem Weg, neue Werte und Orientierung zu entwickeln. Sonst würde er ja in die Stagnation oder Beliebigkeit führen – und das zu vertonen wäre nicht besonders reizvoll.
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Als Bonus gibt es den Song „Rebel Blues“. Was für eine Aussage steckt hinter dem religionskritischen Text?
Jan: Das war ein sehr spontaner Song, binnen weniger als einer halben Stunde geschrieben und aufgenommen – insofern geht es mehr um eine Stimmung als um eine genau festgelegte Aussage. Das Ich in diesem Lied ist nicht länger bereit, im Hier und Jetzt zu Kreuze zu kriechen und sich seine Energie rauben zu lassen, nur um die Eintrittskarte zu einer besseren Welt im Jenseits zu lösen. Es hofft auf keinen Himmel und fürchtet keine Hölle, weil es dieses Leben liebt und sich an das halten möchte, was man selbst erleben kann. Darum akzeptiert es voll und ganz, hier im Diesseits zu werden und zu vergehen und stürzt sich in dieses Abenteuer.
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Wie sieht es mit Liveauftritten aus? Wie schwierig ist es für eine Independent-Band Auftrittsmöglichkeiten zu bekommen?
Karsten: Live-Auftritte von Ephemere sind selten. Das liegt zum einen daran, dass wir möglichst ganz darauf verzichten wollen, Spuren aus dem Laptop abzufeuern. Bei den aufwändigen Arrangements bedeutet das, dass wir ziemlich viele Musiker brauchen. Aktuell sind uns durch Jobwechsel und Umzüge ein Keyboarder und eine Gitarristin von der Fahne gegangen und wir suchen dementsprechend neue Mitstreiter. Zum anderen können wir bisher nicht von unserer Musik leben, sondern arbeiten in normalen Vollzeitjobs. Das macht es schwer, außerhalb von Bremen und Umgebung zu touren. Wir wollen aber auf jeden Fall Niemandsland bald auch live präsentieren.
Jan: Die Auftrittsmöglichkeiten sind dabei gar nicht so das Problem. Sicher – eine noch relativ wenig bekannte Band wird nicht in die großen Hallen geladen, aber bisher war es eher so, dass wir manche Anfragen gar nicht bedienen konnten, weil sie angesichts unserer Rahmenbedingungen zu kurzfristig kamen.
Wie weit sind die Arbeiten an einem neuen Album fortgeschritten?
Karsten: Gerade sind wir noch sehr damit beschäftigt, die Werbetrommel für „Niemandsland“ zu rühren und ein Musikvideo zum Song „Mountains of Nothing“ zu drehen. Wir haben aber schon ein erstes Lied fürs nächste Album aufgenommen und halten mindestens drei weitere starke Kandidaten in der Hinterhand, die wir weiterentwickeln.
Jan: Zurzeit überlegen wir uns intensiv, wie der Sound für das Album werden soll und was die verbindende Idee, die Stimmung dahinter ist. Fest steht bisher nur, dass wir minimalistischer werden und neue emotionale Nuancen ausprobieren wollen.
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