INTERVIEW, TOP THEMA

DIORAMA :: Das gesellschaftliche Schmiermittel


Ich hatte die Einleitung zum Interview bereits im Vorfeld mehr oder weniger fertig (Zwanzig Jahre, so alt wie unser Magazin, fast erste CD, welche ich rezensiert habe, blablabla usw.). Angesichts der Antwort zur vorletzten Frage überlege ich hin und her, wie ich diese Antwort würdigen kann. Ich setze diese einfach als Anfang. Hier die Worte von Torben:
Ich würde mir ganz generell zwei Dinge wünschen. Zum einen, dass die Funktion, die Konzerte, Theater, Oper, Kino, sonstige Events erfüllen, nicht auf die wirtschaftliche Ebene reduziert wird. Diese Dinge sind ein ganz wesentliches gesellschaftliches Schmiermittel, um Emotionen und Gedanken zu katalysieren, um zusammenzukommen, um sich geistig weiterzuentwickeln, um innerlich nicht zu verkümmern. Anders ausgedrückt: Sie sind systemrelevant. Und dürfen deswegen keine Sonderstellung als Bauernopfer verliehen bekommen, sobald der Wind rauer wird. Zum anderen ist ein ernsthaftes Annähern an das Thema Bedingungsloses Grundeinkommen überfällig.

ALLES GESAGT, DANKE TORBEN!! (andreas)
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Amboss: Im Gegensatz zu früher, ist das Album ohne Produzenten komplett in Eigenregie entstanden. Gab es trotzdem eine Arbeitsteilung zwischen dir und Felix Marc?

TWN: In der Vergangenheit haben wir mal mehr, mal weniger Unterstützung seitens Produzenten in Anspruch genommen. Alben wie „Pale“ und „Even the devil“ sind unter deutlicherer Einflussnahme, hier von Adrian Hates bzw. Achim Welsch, entstanden. Andere wie „HLA“ und „A different life“ waren auch früher schon auf unserem eigenen Mix gewachsen. Bei „TMF“ waren die Arrangements nach jahrelanger Arbeit irgendwann so filigran abgestimmt und überladen mit Details, dass dieses Kartenhaus keinem vernünftigen Externen zu erklären gewesen wäre. Was die Arbeitsteilung angeht, haben wir den überwiegenden Teil des Albums in gemeinsamen Sessions entwickelt. Von den ersten Layouts über die Recordings bis zum Erstellen der finalen Mixe. Geteiltes Leid ist ja halbes Leid. Und geteilte Freude doppelt so wohltuend (gilt auch für Glühwein).

 

Amboss: Hatte Corona auch Auswirkungen auf die Arbeitsweise?

TWN: Nein, wir waren auch vorher schon gewohnt, im Bandkontext über Distanzen hinweg digital zu arbeiten. Das hat sich allgemein ja schon lange eingebürgert, auch bei der Zusammenarbeit mit anderen Künstlern und Tontechnikern. Durch Corona kam eine zeitliche Verzögerung rein, die ich auf ein halbes Jahr schätzen würde, da sich auf einmal viele private, familiäre Baustellen aufgetan haben und da natürlich auch Unsicherheit eine Rolle spielte, ob man in diese Schockstarre-Gemengelage hinein überhaupt eine Veröffentlichung auf die Schiene setzen sollte.

 

Amboss: Stimmt es, dass der Albumtitel eher zufällig und aus phonetischen Gründen entstand?

TWN: Zufällig jein, eher „beiläufig“. Und ausschlaggebend war eine Phrasierungsfrage, stimmt.

 

Amboss: Die einzelnen Songs glänzen auch durch viele Details. Würdest du dich eher als Detailverliebt oder Detailversessen bezeichnen?

TWN: 80% verliebt, 20% versessen. Es steht immer im Vordergrund, etwas Schönes zu schaffen, Ideen möglichst viel Raum zu geben, sich von kreativer Energie mitreißen zu lassen. Gleichwohl kann daraus auch eine Sucht nach immer mehr entstehen, die manische Züge annimmt.

Amboss: War die Zusammenarbeit mit Adrian Hates bei „Coma Alliance“ eher Abwechslung oder auch Inspirationsquelle?

TWN: Ganz klar beides. Ich glaube auch, dass das wichtige Faktoren für das Debut Album waren. Da wir auf einer grünen Wiese standen, war alles fresh und kurzweilig. Die Ergänzung unserer doch mittlerweile recht unterschiedlichen Herangehensweisen und Vorstellungen oder Vorlieben war für beide eine wertvolle Erfahrung.

 

Amboss: Wenn man den Text von „Horizons“ betrachtet, könnte man dann sagen, die Realität hat die düsteren Zukunftsprognosen eingeholt?

TWN: Mir kommt es schon manchmal so vor, als ob die Menschheit nicht zur Ruhe kommt, ehe sämtliche Fatalismen nicht nur gedacht, sondern auch in die Tat umgesetzt sind. Zerstörung und Zersetzung scheinen genauso unvermeidbar dazu zu gehören, wie Bewahrung und Neuaufbau. Jedenfalls bis irgendwann die wirklich düsteren Prognosen einsetzen. Jetzt mal unabhängig vom konkreten Horizons-Songtext, der einen kleineren, persönlicheren Fokus hat.

 

Amboss: Bezüglich der Texte: Eine gewisse Interpretationsfreiheit liegt immer beim Hörer. Ein Musiker will aber auch irgendwas ausdrücken, wie sehr bedienst du dieses „freie Feld“?

TWN: Ich versuche das freie Feld zu bedienen, so wie ich mich auch bedienen lasse von anderen Künstlern und Bands, die mir nahe gehen. Klar ist es interessant zu erfahren, vor welchem Hintergrund und mit welcher Idee der ein oder andere Song zustande kam. Andererseits sind es doch oft Stimmungen oder einzelne Passagen/Zeilen, die hängen bleiben, auf das eigene Leben übertragen werden können und hier einen Sinn bekommen, ohne dass es eine große Rolle spielt, ob dies den eigentlichen Intentionen entspricht.

Amboss: Man spürt förmlich, dass viel Tüftelei nötig ist, bis zum perfekten Song. Setzt ihr euch eine Deadline oder wird solange probiert, bis es passt?

TWN: Ich habe mir vorgenommen, uns für neues diorama-Zeug keine Deadlines mehr zu setzen. Es ist fertig, wenn es fertig ist.

 

Amboss: Die Gitarren sind präsent, spielen sich aber nicht in den Vordergrund. Wie ist die Zusammenarbeit mit Zura zu definieren?

TWN: Gar nicht. Wir machen einfach. 🙂 Zura liefert unglaublich wichtige Elemente für die Tracks. Nicht nur durch seine Gitarrenarbeit, sondern auch durch analoge Spielereien und alles mögliche Gefrickel. Nicht selten bringt er z. B. so überzeugende Melodiebögen hinein, dass wir daraufhin das Ausgangsmaterial nochmal anpassen. Aber er kann auch rein songdienlich „anfetten“. Je nach dem, was passt oder auch nicht passt.

 

Amboss: Es scheint, als würdet ihr euch immer wieder neu erfinden, trotzdem euch selbst immer irgendwie treu bleiben. Wie gelingt dieser Spagat?

TWN: Es freut mich, dass Du das so siehst. Aber so ein richtiger Spagat ist das eigentlich gar nicht für uns. Eher ein dreifacher Rittberger mit gelegentlicher Gesäßlandung. Wir machen, was wir machen, und das kommt am Ende heraus. Als Künstler wollte ich nie einer sein, der auf der Stelle tritt oder in gewisser Weise ein vorhersehbares Programm verfolgt. Aber die Gefühlswelt, die philosophischen Fragen, die den Antrieb für diorama bilden, weisen heute noch immer große Parallelen auf mit den damaligen Ursprüngen. Halt anders. 🙂

 

Amboss: Wenn man manche Harmoniebögen betrachtet, kommt ihr dem perfekten Popsong des Öfteren sehr nahe. Wie wichtig ist es euch, den Hörer mit überraschenden Disharmonien auch mal zu verstören?

TWN: Die epischen, melodiösen Refrains sind im wahrsten Sinne des Wortes ein tragendes Element für TMF. Und ermöglichen es den verstörenderen Teilen, sich ungehindert auszubreiten, ohne dass es am Ende insgesamt zu anstrengend oder nicht mehr nachvollziehbar wird. Die Mischung macht es. Persönlich stehe ich auf verstörende Musik, Filme, Kunst etc. und finde es immer gut, wenn man als Zuschauer und Zuhörer nicht in Watte gepackt wird.

Amboss: Wenn man einzelne Songs betrachtet (z.B. The Minimum“), werden Erinnerungen an die ersten Alben wach. Ist dies eher Zufall, oder gibt es diesen hörenden Blick zurück in Liebe?

TWN: Nein, wie gesagt, das ist weder Absicht noch Zufall. Es ist immer noch der gleiche Songschreiber. 🙂

 

Amboss: Wir kommen noch mal zu Corona und den Maßnahmen. Ihr hättet unter speziellen Hygienebedingungen im November in Gelsenkirchen gespielt. Versteht ihr die aktuellen Einschränkungen der Regierung?

TWN: Ja, verstehe ich. Sonderlich kohärent, konsequent und langfristig gedacht finde ich die Maßnahmen trotzdem nicht. Aber dieses unentwegte gegenseitige Bestätigen, wie beknackt das doch alles ist, langweilt mich mittlerweile auch. Ich würde mir ganz generell zwei Dinge wünschen. Zum einen, dass die Funktion, die Konzerte, Theater, Oper, Kino, sonstige Events erfüllen, nicht auf die wirtschaftliche Ebene reduziert wird. Diese Dinge sind ein ganz wesentliches gesellschaftliches Schmiermittel, um Emotionen und Gedanken zu katalysieren, um zusammenzukommen, um sich geistig weiterzuentwickeln, um innerlich nicht zu verkümmern. Anders ausgedrückt: Sie sind systemrelevant. Und dürfen deswegen keine Sonderstellung als Bauernopfer verliehen bekommen, sobald der Wind rauer wird. Zum anderen ist ein ernsthaftes Annähern an das Thema Bedingungsloses Grundeinkommen überfällig.

 

Amboss: Wie sieht es denn aufgrund der aktuellen Lage mit den Planungen für 2021 aus?

TWN: Ich freue mich darauf, viel Zeit im Studio verbringen zu können. Projekte (und Allianzen), die warten, gibt es mehr als genug.