EMPFEHLUNG, REVIEW

WHISPERS IN THE SHADOW „Yesterday is forever“ (Wave Rock)

WHISPERS IN THE SHADOW

„Yesterday is forever“
(Wave Rock)

Wertung: Empfehlung!

VÖ: 06.11.2020

Label: Solar Lodge

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Die Schattenflüsterer klingen 2020 so anders, so überraschend erfrischend. Es ist nicht unbedingt eine 180 Grad Wendung, es ist eher ein sehr reifes Album, welches mit einer fast kindlichen Neugier auf neue Soundstrukturen blickt. Eine Neuerfindung, ohne mühsam aufgebaute Grundgerüste einzureißen. Wunderschöne Songs wechseln mit Experimentierfreudigkeit. Melancholie trifft auf wütende Ausbrüche. Orchestrale Facetten treffen auf verzwickte Melodielinien. Hinzu kommt, dass die Stimme (incl. Verzerrer, Hall, Phonetik, Sprache) sich noch wandelbarer präsentiert als auf vergangenen Alben.

„Forever 85“ als Opener ist gleichzeitig ein prägender und richtungsweisender Song für das Album. Ashley beschäftigt sich mit dem „früher war alles besser“, welches besonders der Schwarzen Szene immanent zu sein scheint. Zwischen Zynismus, Realität und eigener Spiegelbetrachtung pendelt sich der Text ein. Aufgrund dessen, dass man sich hier auch mit der eigenem Gedankenwelt auseinandersetzt, ein mutiger Song. Der Aufbau des Songs ist gelinde gesagt genial. Das Intro beherbergt eine Dramatik, wie in einem Tatort Trailer. Dann diese krafstrotzende Energie, welche eingebettet in einer harmonischen Melodie die Ambivalenz zwischen betörend und durchdringend zum Shake Hands einlädt. Sollten irgendwie die Clubs wieder öffnen, wird ein DJ nicht an diesem Song vorbei kommen.

„Adrift“ variiert zwischen gefühlvollen Passagen und klaren Eruptionen. Dazwischen legt sich die Melodie auf das gemachte Bett des Wave Pops. Auf dem ersten Ohr ein perfekter Pop Song, mit der Galanz von überraschenden, choralen Backings. Dann diese sich steigernde Melodielinie, welche sich fast sanftmütig erhebt und die Melange aus OMD und Human League, mit charmanten Blick gen Cure heraufbeschwört. Ja…, mh… dieser Song würde auch perfekt auf einem 80er Sampler funktionieren.

Das gefühlvoll schleichende „Walk on the mirror“ ist mit seiner durchdringen Melancholie und der Gänsehautatmosphäre ein in sich verschlossenes Kleinod voller Romantik. Die Melange aus Sanftheit, Ruhe und kristalinen „Wohlfühl-Arrangements“ macht es zu einem ganz besonderen Song. Ein audiovisuelles Schmankerl liefert das, voller Symbole und/oder Botschaften steckende Video.

Das Tempo wird dann mit „Passion Projekt“ wieder angezogen. Der Hörer, eben noch verträumt sinnierend wird schlagartig, dennoch sanft von Akustikgitarren geweckt und befindet sich hernach in einem Kosmos, dessen Effekte wie letztmals aufleuchtende Sterne dem Treiben einem markanten Stempel aufsetzen. Geschickt spielt die Band mit Tempowechsel und versteht auch die Zusammenfügung von Laut und Leise.

Experimentell, fast soundtrackartig beginnt „The Horror“, hernach wird es wild und ungezügelt. Ein puristischer Kraftakt mit galanter Punkrock-Attitüde voller kleiner, leicht versteckter Wendungen. Die Stimme hat einen wütenden Grundton. Die Saiten sind sägend, das Schlagzeug treibt unwirsch voran. Dann wieder der Break, kurzes Atemholen und dann geht es weiter. Krachig, ungezügelt, wild, hart.

Dann existiert in The Futurist“ dieses betörende, orchestrale Intermezzo und der Gesang kommt mit dezentem Bowie Charme daher. Im Mark ruhig mit kleinen Auswüchsen, welche im fast gegrowlten deutschsprachigen Einsprengsel „Vorsprung durch Technik“ ihren verstörenden Gipfelpunkt erreichen. Mittendrin wunderschöne Harmonien, verzwicktes Songwriting und auch hier legt man eine Atmosphäre in die Gehörgänge, welche sämtliche Gefühlswelten bestätigen oder negieren können.

„Toxic Express“ hat zu Beginn kleine orientalische Versatzstücke. In Verbindung mit der Akustikgitarre gibt es ein paar Parallelen zu The Mission“, dieses „hoho“ im Mittelteil könnte dann zudem von Graig Adams stammen („Naked and Savage“)…aber ich schweife ab.

„A War that never was“ beinhaltet eine wunderschöne Geschichte: Zwei Armeen ziehen aus, um Krieg zu spielen, treffen sich aber aus irgendwelchen Gründen nie, kehren wieder nach Hause zurück und sind ohne Krieg glücklicher.

Wie schon bei „The Futurist“ gibt es auch bei „Straight&Narrow“ ein deutschsprachiges Element, diesmal ist es „was für ein Spaß“. Passend zur Zeile scheint auch hier ein gewisser Humor nicht fehlen. Der Song gehört mit seinen vielen Verschnörkelungen zu den beiden experimentellen Songs des Werkes.

Und zum Schluss gibt es mit dem ruhig fließenden und mit latent traurigen Unterton dargebotenen „The I in the Void“ erneut einen wunderschönen Track, der berührt und voller gefühlvoller Momente steckt. Ein sphärischer, mit schmückenden Trauerflor beflaggter Ausklang.

Fazit: Ein grandioses Werk, welches nicht nur für die Band zu einem Meilenstein werden könnte. Ein Album, so facettenreich wie ein Diamant, der mit Bedacht und Hingabe geschliffen wurde. Der Hörer wird zum Rollenspieler, bei dem er mal Hermeneutiker, mal Archäologe, mal Träumer oder mal Genießer sein darf. Gewinner ist er allemal. Aufgrund dessen, dass ich gleichzeitig ein Interview mit der Band plane, hab ich dieses Album mehrmals und über einen längeren Zeitraum gehört. Geneigte Hörerschaft, dies ist ein Juwel, es ist spannend, es ist abwechslungsreich. Jeder Durchlauf wurde für mich zu einem Erlebnis. Ab jetzt würde ich in sprachlichen Kitsch abdriften, deshalb ist meine Review hier zu Ende. Kaufen, hören, genießen. „Yesterday is forever“ und ich hab die gleichen Gefühle wie 1986, als ich monatelang mit Gottes eigener Medizin experimentierte… und doch, dass hier und jetzt ist ebenso reizvoll. Danke! (andreas)