ROME
„Flowers From Exile – Revisited“
(Melancholic Folk)
Wertung: Empfehlung!
VÖ: 25.07.2025
Label: Trisol Music Group
Im Jahr 2009 erschien das Album „Flowers From Exile“. 16 Jahre sind seither vergangen – und dieses Werk gehört noch immer zu meinen Lieblingsalben von ROME. Das ist bemerkenswert, denn ROME hat inzwischen viele geniale Alben veröffentlicht. Im Klangkosmos von ROME ist „Flowers From Exile“ ein Werk, das in atmosphärischer Hinsicht eher licht wirkt. Zweifellos klingen viele ROME-Alben deutlich düsterer. Trotz des Verzichts auf besonders finstere Stimmungsbilder wirkt „Flowers From Exile“ auf das Seelenleben des Hörers besonders intensiv. Das Album verzaubert durch eine außergewöhnlich starke, herzergreifende Emotionalität. Diese tiefe Emotionalität ist der entscheidende Grund, warum das Album ein wahres Meisterwerk ist.
Jetzt gibt es in Gestalt von „Flowers From Exile – Revisited“ eine Neufassung des Werks, das sich bekanntlich mit dem Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) beschäftigt. Worin bestehen die Unterschiede zwischen der neuen Version und dem Original?
Die starke Emotionalität ist bei der Neugestaltung komplett erhalten geblieben. Das liegt vor allem daran, dass Jerome Reuters Stimme so leidenschaftlich klingt wie bei der Erstversion. Die neue Version bietet ein paar kleine Veränderungen in der Gewichtung der einzelnen Klangelemente, wirklich neue Elemente sind mir nicht aufgefallen. In der Neufassung sind alle Sprachsamples enthalten. Die Spielzeiten der Songs weisen fast keine Veränderungen auf. Die Lautstärke wurde tendenziell erhöht, jedoch hat sich das Klangbild auch dadurch nicht stark verändert. Die wenigen Wandlungsprozesse wurden alle sehr behutsam vollzogen.
Im Allgemeinen befindet sich die Produktionstechnik heute zweifellos auf einem höheren Niveau als vor 16 Jahren. Insofern überrascht es nicht, dass das neue Werk häufig klarer und differenzierter klingt als die Urversion. Sicher, ein „verwaschen“ wirkendes Klangbild kann auch seinen Reiz haben. Doch bei diesem Album begrüße ich die Veränderung hin zu einem klareren und differenzierteren Klangcharakter. Wobei es sich bei „Flowers From Exile – Revisited“ nicht um eine Neuaufnahme handelt. Vielmehr sind die Tonspuren von 2009 mithilfe der heutigen Technik neu aufbereitet worden.
Zu den einzelnen Stücken: Beim Ambient-Opener „To A Generation Of Destroyers“ ist vor allem am Anfang das Meeresrauschen deutlich stärker ausgeprägt. Am Ende versteht man das spanische Sprachsample besser, denn die Nebengeräusche sind nicht mehr so laut wie früher. Die Neufassung dauert 13 Sekunden länger.
Die großzügigen Klanglandschaften des Lieds „The Accidents Of Gesture“ klingen druckvoller und dynamischer als beim Original. Das Bassspiel wirkt markanter, die Percussion ist wuchtiger. Die famose Singstimme Reuters prägt noch stärker das Geschehen, vor allem in der Schlussphase. Bei den spanischen und deutschen Sprachsamples gibt es keine nennenswerten Veränderungen.
Bei der besonders sehnsuchtsvoll klingenden Folkballade „Odessa“ scheint mir die markanteste Umgestaltung zu sein, dass am Ende des wunderschönen Lieds der hochgradig emotionale Gesang Reuters mehr in den Vordergrund gerückt wurde.
Auch beim treibenden Folksong „The Secret Sons Of Europe“ offenbart sich die wichtigste Neuakzentuierung in der Schlussphase: Während die Percussion druckvoller und wilder gestaltet ist, tritt der folkloristische spanische Chorgesang dezenter in Erscheinung.
Bei der Klangcollage „The Hollow Self“ ist mir keine relevante Veränderung aufgefallen. Beim mitreißenden Lied „A Legacy Of Unrest“ wurde fast nichts verändert. Nur im Percussion-Bereich gibt es eine erwähnenswerte Neuerung: Die Lautstärke des Klangelements, das wie ein Peitschenknall klingt, wurde deutlich erhöht.
Der anschließende Folksong „To Die Among Strangers“ wirkt wuchtiger und dynamischer als früher. Zum Glück wurde an der Bedeutung der wehmütig klingenden Geige nichts verändert: Ihre kunstvoll umherschweifenden Klänge sind noch immer charakteristisch für das gesamte Lied. Gleichgeblieben ist auch, dass eine angedeutete Generalpause in der Schlussphase des Songs für einen dramaturgisch wirkungsvollen Effekt sorgt.
Beim Ambient-Track „A Culture Of Fragments“ sind die unheimlich wirkenden Geräusche stärker akzentuiert als im Original. Trotzdem kann man die Worte der Erzählstimme noch immer deutlich hören.
Die Neugestaltung der wunderschönen Folkballade „We Who Fell In Love With The Sea“ besteht vor allem darin, dass das elegische Geigenspiel in den Vordergrund gerückt wurde – besonders am Ende des Lieds. Der bedächtige Gesang Reuters ist durchgängig stärker gewichtet. Hingegen wurde das filigrane Gitarrenspiel eher in den Hintergrund geschoben. Ganz im Hintergrund ist noch immer nur sehr schwach ein gleichförmiges Gemurmel von Sprechstimmen zu hören.
Beim melodramatischen Folksong „Swords To Rust – Hearts To Dust“ wurde das Schlagzeugspiel in zwei Punkten leicht verändert: Es ist kräftiger und hat mehr Hall. Die herzerwärmende Folkballade „Flowers From Exile“ klingt so versöhnlich und beschwingt wie im Original. Die markanteste Neuerung ist, dass die perlenden Klavierklänge stärker ausgeprägt sind.
Am Ende des Albums verbreitet die Klangcollage „Flight In Formation“ eine sehr feierliche Atmosphäre. Die orchestralen Töne wirken noch bombastischer als früher. Jerome Reuters besonnene Erzählstimme wurde etwas mehr in den Vordergrund des Geschehens gerückt. Die CD endet so wie sie begonnen hat: mit Meeresrauschen.
Zum Cover und Booklet: Die Hintergrundfarbe ist beim Original weiß, jetzt ist sie grau. Auf dem Cover sind noch immer drei stehende Männer abgebildet. Das Coverbild sah früher wie ein Fotonegativ aus. Jetzt sind die drei Männer viel besser zu erkennen, das Bild sieht wie ein normales Foto aus. Wie bei der Erstveröffentlichung befinden sich im Booklet alle Songtexte und fünf Fotos. Vom fünften Foto abgesehen, sind es die gleichen Bilder. Das frühere fünfte Foto befindet sich nun auf der Rückseite des Covers. Und das Foto, das früher schemenhaft auf der CD zu sehen war, ist nun das fünfte Bild im Booklet. Früher war die Grundfarbe der CD weiß, heute ist sie rot. Nur sehr schemenhaft kann man trotz der roten Farbe die Konturen einiger Männer erkennen.
An der relativ guten Qualität der alten Fotos im Booklet hat sich nichts geändert. Auf den Bildern sieht man auch Reuters Großonkel, der im Spanischen Bürgerkrieg gegen die faschistischen Truppen des Generals Francisco Franco (1892-1975) gekämpft hat. Die Fotos von Reuters Großonkel und seinen Weggefährten sind im französischen Exil entstanden. Reuters Verwandter ist am besten auf dem Coverbild zu erkennen. Von den drei Männern ist er der links stehende.
Gut, dass durch die Neuveröffentlichung des Albums der Kampf gegen die faschistischen Truppen Francos erneut gewürdigt wird. Das Album passt in unsere Zeit, denn auch heute tobt in Europa ein Krieg zwischen der Demokratie und dem Faschismus. Jedoch findet heute dieser Krieg bekanntlich nicht in Spanien, sondern in der Ukraine statt. In seiner Klangkunst hat Jerome Reuter den Widerstand der Ukraine gegen den imperialistischen russischen Faschismus vielfach gewürdigt. Die Würdigung des Kampfs gegen den Faschismus ist für Reuter offensichtlich eine wahre Herzenssache.
Fazit: Die Neufassung des Meisterwerks „Flowers From Exile“ ist rundum gelungen! Wer das Original liebt, wird auch die neue Version lieben! „Flowers From Exile – Revisited“ bietet im Vergleich zur Urversion kleine, aber feine Veränderungen. Das Klangbild präsentiert sich tendenziell kräftiger, dynamischer, klarer und differenzierter als früher. Die Veränderung im Percussion-Bereich ist am auffälligsten. Hier wird mit deutlich mehr Energie agiert. Eine andere markante Veränderung betrifft Reuters großartige Stimme: Ihre Gewichtung ist stärker als zuvor. Die anderen Neuerungen sind ebenfalls faszinierend. Und, besonders wichtig: Die Neuauflage verzaubert mit der gleichen emotionalen Tiefe wie das Original! (stefan)
Der Song „A Legacy Of Unrest (Revisited)“ bei YouTube: