REVIEW

ERNEST „En Attendant La Suite Du Passè“ (Chanson Steampunk)

ERNEST

„En Attendant La Suite Du Passè“
(Chanson Steampunk)

Wertung: Gut

VÖ: 14.09.2018

Label: Delicious Releases

Webseite: Facebook

Das Straßbourger Quintett versteht es, außergewöhnliche Musik mit einem märchenhaften Ambiente zu versehen und eine Melange aus Gainsbourgh und H.C. Andersen zu erschaffen. Ungewöhnliche Instrumente, wie Honky-Tonk Klavier, Hammond-Orgel, Blechblas-Instrumente, Banjo usw. sind in einem nostalgisch, latent verruchten Rock-Instrumentarium integriert. Aufgrund der französischen Sprache, der atmosphärischen Dichte und der Erzählstruktur kommen als erste Vergleiche natürlich die französischen Chansonniers in den Sinn. Im Sinne des Gesamtkontextes dürften Vergleiche mit der Band „Coppelius“ nicht fehl laufen. Aufgrund der verschiedensten Gimmicks und (seltsamen) Instrumente dürfte Ernest aber auch als einzigartig durchgehen.

Der Opener „Chez l’Antiquaire“ dient quasi als erklärende Einführung ins Werk, hernach darf man dann im Antiquariat Platz nehmen und einem Album lauschen, welches irgendwo zwischen Chanson, 20er Jahre, Steampunk (kann auch als Überbegriff benutzt werden) beheimatet ist. Das folgende „Texte á Trous“ ist ein Zwiegesang zwischen der leicht heiseren Stimme von Sänger und dem sanftmütigen weiblichen Pendant, während die Duettierung gelungene melodische Eckpunkte setzt, scheint man in textlicher Hinsicht aneinander vorbeizureden.

„Frankensteinia“ ist passend zum Titel und durch die Synths etwas dunkler inszeniert, wobei hier auch eine gewisse Schräge eingebaut wird, die in einem sägenden Finale endet. Der verrückte Wissenschaftler (dem Original von Shelley soll eine schizophrene Persönlichkeitsstörung nachgesagt werden) versucht hier seine persönliche Frankensteinia aus Teilen von verschiedenen Frauen zu erschaffen. Wesentlich gelassener und verspielter erklingt die Mischung aus Eigelb, Zucker und Milch „Crème anglaise“ wobei geschickt zwischen Hookline, Breaks und einem Sammelsurium an verschiedensten Klangspektren gependelt wird. Die Melodielinie ist eingängig und teils aus puren Zuckerguss, während die Orgel als Zerstäuber funktioniert. Ob „Anatomie des Poupées“ ein harmloses Kinderspiel beschreibt oder Annabelle vs. Chucky hier integriert sind, bleibt eurer Phantasie überlassen. Der Beginn ist Dramatik pur, hernach schleicht der Song dahin, „Quand c’est arrivé“ hat im Mark etwas Variete-haftes. „Les rossignols“ überrascht mit einem Mittelteil, der durchaus an The Beatles erinnern könnte. Bei all dem Steampunk Kreationen, bleibt immer ein wenig 1960er übrig. In „Sinon Quoi“ haben dann die oben erwähnten Blechbläser ihren großen Auftritt. Interessant auch, das Stück über den Insel-Liebhaber Napoleon („Bonaparte“).

Fazit: Die Band ist schwer in übliche Kategorien einzuordnen, das macht das Album schon mal per se spannend. Das Entdecken verschiedenster Klänge und diese elegante, teilweise angeraute Erzählstimme lassen den Hörer meist staunend zurück. Insgesamt sind ERNEST kreativ wie die industrielle Revolution, verführerisch wie eine 80tägige Weltreise und ironisch wie eine Dampfmaschine bei Heinrich Spoerl. (andreas)