EMPFEHLUNG, REVIEW

DAS ICH „Fanal“ (NDT / Symphonic Dark Electro)

DAS ICH

„Fanal“
(NDT / Symphonic Dark Electro)

Wertung: Empfehlung!

VÖ: 31.10.2025

Label: Danse Macabre

Webseite: Homepage / Facebook / Bandcamp

Als ich damals vor genau 35 Jahren das erste Mal mit dieser Musik Kontakt hatte, konnte ich es nicht fassen. Zu faszinierend und zu neu waren die Klänge. „Gottes Tod“ grenzte an Blasphemie (damals hatte der Atheismus den Knoten der Kirche nicht gelöst und Nietzsche war seit 90 Jahren tot). Und was sage ich 35 Jahre später: Die Band hat nichts an Faszination und Eigenständigkeit verloren. Diese Vehemenz, die sich mit einer sakralen Elegie paart und praktisch den Nebel mit Weihrauch in die Szenerie qualmt. Der Titel „Fanal“ bedeutet „Fackel“ oder „Leuchtfeuer“ und ist ein brennendes Zeugnis einer untergegangenen Zivilisation. Auf den Trümmern menschlicher Errungenschaften und zerbrochener Ideale, warnt „Fanal“ in hoffnungslosen Aphorismen vor den Geistern der Vergangenheit und Gegenwart, die durch die Ruinen unserer Welt geistern.

Gleich der Opener erinnert an alte Zeiten und kann mich voll überzeugen. Die sakral-symphonische Extravaganz zerrt an den Nerven, sie begeistert, ist in ihrer vehementen Darstellung tanzbar wie Tschaikowsky, dennoch verschworen düster wie Nietzsches Blick in den Abgrund. Wie wir wissen blickt der irgendwann zurück, evtl. schon beim betörenden „Lazarus“. Vorab veröffentlicht war dieses pulsierendes Werk zwischen elektronischer Kakophonie und klassischem Kammerorchester war das erste Lebenszeichen seit 17 Jahren („Kannibale“-EP im Jahr 2008).

Es folgt ein in Getöse vergehendes Stück Expressionismus voller Energie in wirrer Eruption gipfelnd und den Hörer fassungslos und begeistert zurücklassend. Dieses „was bin ich“ bleibt im Ohr. „Vanitas“ (lateinischer Begriff für Eitelkeit, Nichtigkeit oder Vergänglichkeit) beschreibt den menschengemachten Zerfall und die Zerstörung. Das Stück glänzt mit detaillierter Zerschneidung der Melodie, während Industrial-Flächen zwischen stampfend und phobisch-betörend durch die Szenerie schweben. Brunos warm-gefühlvoller Gesang lässt kurz romantisches Feeling aufkommen, allerdings eher in Form eines Requiems. Dann zersetzt Stefans kratzend-rauer Gesang und aus dem Keller dröhnende, krachende Eskapaden die Harmonie in ihre Einzelteile. Die Fahrt in „Dantes Hölle“ ist ein alptraumhafter Abstieg voller kristallinem Krach. Sphärische Eleganz paart sich mit durchdringender, tanzbarer Elektronik. Die symphonischen Ausuferungen sind hier eher ein dadaistisches, reduziertes Klangbild, während die Rhythmik direkt in die Körperextremitäten fährt. Erneut bestechend: Die perfekte Duellierung von Stefans wütender Sprachgewalt und dem warm-gefühlvollen Klagegesang Brunos. „Richte deinen Henker, Breche deinen Schwur, Liebe deine Feinde, erheb dich laut im Chor (Stefan), Es ist so schön an deinem Herz, Es ist so warm in deinem Blut (Bruno)“, so beginnt die etwas zarter fließende und mit flächiger Industrial-Gewalt inszenierte zweite Singleauskopplung „Brutus“. Die resolute Rhythmik und die voluminöse Energie, die voller destruktiver Anekdoten dem Text einen schwarzen Teppich („der schwer wie Blei darnieder liegt“) ausrollt. Insgesamt ein Song, der mich ein wenig an „Kannibale“ erinnert.

Das folgende, überraschende Krachepos über den Feuer bringenden „Prometheus“ klingt wie eine explosive Jam Session aus Psychobilly, Pepe Lienhard (!), Wagner und Punk. Ein wildes Intermezzo voller schräger Töne. Ebenso untypisch ist die Reise in die „Genese (Urknall)“. Ein reduziertes Kammerorchester versinkt in der schrägen Welt der Elektronik, reduziert sich, explodiert kurzzeitig und bleibt doch ein in Ruhe badendes, krachendes Experiment, dessen Ruhe im Mittelteil fast die Nerven zerfetzt. Davor und danach Trümmer der Musik zusammengefügt und ein erzählender Gesang. Das Ganze erinnert ein wenig an „Wasserturm“ von Neubauten. Hier geht es aber (auch wenn Bienenflügel irgendwie die Musik beeinflussen…. oder sind es nur die Drohnen) über die KI, die ebenso dumm der menschlichen Fehlerhaftigkeit beisteht.

Fazit: Die Propheten sind zurück. Das Ich, ein Konglomerat aus freudschen Narrativen, Philosophie und diesem exzessiven Nietzsche-Bezug, dem man die Musik an sein nihilistisches Revers heftet. Was Stefan Ackerman und Bruno Kramm hier abliefern, würden Jugendliche als den letzten genialen Scheiß bezeichnen. Im Endeffekt ist es eine einzigartige Musik, die in den frühen 90ern entstand und damals so vollkommen war, das kein Jota an Ergänzung nötig ist, um heute die gleiche Ausstrahlung zu besitzen. Angst erzeugen, Finger in Wunden legen, die dunklen Tanzflächen in abgefuckten Hinterhofdiskos zu bevölkern und immer noch den normalen Chart-Fetischisten erschrecken, obwohl man ebenso geniale Hooklines in seine Songs integriert. „Fanal“ ist ebenso ein Meilenstein, wie es damals die „Satanischen Verse“ waren. Egal ob ihr die erste VÖ oder einem indisch-britischen Schriftsteller in Erinnerung ruft. Was sagte Nietzsche über die ewige Wiederkunft des Gleichen: Dieses zyklische Zeitverständnis ist die Grundlage höchster Lebensbejahung.

Das neue Album erscheint in verschiedenen Formaten: Auf CD, Vinyl, als limitierte Sammelbox und sogar als MC – Letzteres ist stimmig, veröffentlichte doch das Label zu Beginn zunächst Musikkassetten. (andreas)