LIVEBERICHT

THRASHFEST CLASSICS :: Alte Schule, wohin das Auge blickt


mit EXODUS + SEPULTURA + DESTRUCTION + HEATHEN + MORTAL SIN
Live in der Meier Music Hall in Braunschweig am 28.11.2011

Nach dem gestrigen Marathon-Tag im Weserstadion (2:0 Sieg über die Stuttgarter), steht heute nach einem Tag Arbeit wieder ein herausforderndes Event an: das THRASHFEST!
Heute wird eine Zeitspanne von gerade mal 10 Jahren abgefeiert, denn während der THRASHFEST CLASSIC-Tour spielen die Bands nur Songs ihrer allgemeinhin als Klassiker bekannten Alben. Die älteste Veröffentlichung (ohne die Demos dazuzuzählen) legen DESTRUCTION („Sentence of Death“ – 1984) vor und SEPULTURA setzen jahrgangs-technisch den Schlusspunkt mit dem 1993er-Album „Chaos A.D.“. Da kann man rückblickend mal sehen, was für geile Musik in dieser Zeit komponiert wurde! Allerdings sollte man nicht so anachronistisch sein und behaupten, dass der Thrash Metal seit 1993 tot sei, im Gegenteil! Gerade HEATHEN haben mit ihrem 2010er Album „The Evolution of Chaos“ bewiesen, wie wertvoll die Band für die aktuelle Szene ist und auch EXODUS und SEPULTURA sind mit ihren aktuellen Werken wieder auf dem richtigen Weg, einer neuen Generation das moshen beizubringen. Das BIG4-Festival mit METALLICA, SLAYER (komplett überpräsent in den letzten Jahren), MEGADETH und ANTHRAX war aufgrund seiner Größe kein Vergleich zu diesem Event (im negativen Sinne), denn heute gibt es echte Stars zum Anfassen und Bands, die keinen Deut schlechter sind, als die eben genannten.


So gemischt, wie ich mir das Publikum im Vorfeld vorgestellt habe, ist es auch: von älteren Thrashern bis hin zu jungen Hüpfern reicht die Palette und meiner Meinung nach sind ziemlich vielen Frauen anwesend und alle verstehen sich prächtig an diesem Abend. Aufgrund der Fülle der Bands fängt das Spektakel bereits um 18.15h an und natürlich ist die Halle erst halbvoll, denn die Studenten haben noch nicht ausgeschlafen und die arbeitende Bevölkerung muss sich ja auch erst durch den Feierabendverkehr schleppen. Und um einen wichtigen Punkt schon einmal vorwegzunehmen: so hundertprozentig fit sind die meisten Anwesenden auch nicht, denn ausgiebige Moshpits werden noch sehr lange auf sich warten lassen.

Bevor MORTAL SIN aber auf die Bühne steigen, ergibt sich folgende kleine Geschichte… Kathi holt Getränke und ich stehe vor der Bühne, als auf einmal David White, seines Zeichens Sänger der göttlichen HEATHEN, an mir vorbei läuft, stoppt, sich umdreht und mich darauf anspricht, dass ich im Februar auch schon dabei war (als sie mit OVERKILL hier gespielt haben), er hätte mich am Bart erkannt… anschließend plaudern wir noch kurz, bevor er hinter der Bühne verschwindet. Warum ich euch das erzähle? Na, weil es schön ist, von Leuten, die man selbst bewundert, wahrgenommen zu werden und mich das echt gefreut hat und ich diese Freude gerne mit euch teile.


Nun aber zu MORTAL SIN: die Australier haben dieser Tage ihre neue Scheibe „Psychology of Death“ veröffentlicht, aber getreu des Mottos der Tour werden wir davon heute Abend nichts hören, sondern die folgenden 30 Minuten werden ganz im Zeichen der „Mayhemic Destruction“ und „Face of Despair“-Alben stehen und was die Band abliefert ist schlichtweg erste Sahne, dabei ist es nicht weniger, als man von einer hungrigen Bay Area-Thrashband erwarten kann: Energie aus allen Ecken! Sänger Mat geht steil, ist hervorragend bei Stimme und post, dass mir das Herz aufgeht. Aber ohne seine beiden Axtmänner Ryan (Thx to Ali Zimmermann for the correct name – Anm. d. Verf.) und Nathan wäre der Speed/Thrash Metal Sound nicht denkbar und es gibt die feinsten Riffs aus der MORTAL SIN-Schmiede, natürlich inklusive des totgeilen „I am immortal“ oder „Mayhemic Destruction“. Ansonsten fällt mir die eine oder andere ANTHRAX-Parallele auf und eigentlich ist der Opener so gut, dass er schon Lust auf mehr macht, was man definitiv an den Reaktionen des Publikums ablesen kann. So kann es weitergehen.

 
Was es nach einer kurzen Umbaupause auch tut, und zwar mit HEATHEN, die heute ihre Alben „Breaking the Silence“ und das Jahrhundertalbum „Victim of Deception“ bemühen werden. 45 Minuten feinster Thrash ist das Ergebnis der harten Arbeit der Band um David White, der die ganze Zeit Punches austeilt, stimmlich aber einwandfrei ist, auch, wenn der Gesang teilweise etwas leise rüberkommt. Aber es ist schon ein schönes Bild, wie die Fans der Band aus der Hand fressen und Davids Bitte nach „Hände hoch“ gehorsam Folge geleistet wird. Die Stimmung ist hervorragend und eines der besten Gitarrenduos, das ich jemals gesehen habe, ist heute bei der Arbeit: Lee Altus und Kragen Lum. Leute, ihr müsst euch mal anschauen (und anhören, natürlich), wie die beiden Simultan-Riffing betreiben! Und dann diese Twinleads! Ich schwöre, das ist ein der geilsten Sachen, die ich je gesehen habe, perfect synchonicity. Ich freu mir immer noch einen ab, wenn ich daran denke.

Ebenfalls Grund zur Freude ist die Tatsache, dass David bereits für das nächste Jahr einige Shows in Deutschland in Aussicht stellt und auch der Begriff „neues Album“ ist gefallen, aber das warten wir mal dezent ab. Heute Abend punktet die Bande mit Hits wie „Pray for Death“, „Open the Grave“, „Hypnotized“, „Mercy is no virtue“ und „Death by Hanging“, inklusive Mitsingteil. Die Show war jetzt schon meine zweite von HEATHEN dieses Jahr und es war wieder geil.


Schnell sind auch DESTRUCTION, haben sie in den Jahren 1984 und 1987 wenig bis keine Midtemposongs geschrieben. Und Schmier, Mike und Vaaver treten an, uns aus den legendären ersten Alben zu zitieren: „Total Desaster“, „Mad Butcher“, „Invincible Force“ sind echte Killer. Cool ist, dass die Band drei totenkopfbehangene Mikrofonständer aufbauen lassen, zwischen denen Schmier dann auch sehr bewegungsfreudig hin und her pendelt, so dass jeder Fan vor der Bühne in den Genuss seiner Anwesenheit kommen kann. Im Gegensatz zu den anderen Bands des Abends sind DESTRUCTION ja ein Trio, doch dafür ist der Sound mit einer Gitarre wirklich fett und man spürt definitiv keine Soundlöcher. Mike an der Gitarre ist einfach geil drauf und hier sitzt jedes Monster-Riff und jedes geile Solo. Der Unterschied zwischen Bay Area und Ruhrpott-Thrash ist dann auch schnell ausgemacht: die Deutschen sind einfach räudiger und direkter, während die Amis filigraner, melodischer und technischer zu Werke gehen. Aber zur Auflockerung des Bay Area-Thrash-Trios ist das perfekt gewählt.
Schmier ist ja ganz Kumpel und möchte dem Publikum ein (!!!) Becks ausgeben und wirft das Fläschchen vorsichtig den Fans zu und…es knallt natürlich auf den Boden. Na super! Wegen sowas gibt′s Bier ja nur noch aus lecker Plastikbechern…;o)))
Genial wird′s, als er „Bestial Invasion“ mit den Worten ankündigt: „Jetzt kommt unser „Smoke on the Water“…“ Göttlich! Da macht es auch fast nichts, dass vor der Bühne zwar begeistert zugeschaut und gebangt wird, aber echte Moshpit-Atmosphäre nicht aufkommen will. Schmier rätselt noch, ob es an der räumlichen Enge liegt oder einfach zu viele alte Leute im Publikum sind, was ihm allerdings nicht krummgenommen wird, denn schließlich sind wir alle etwas älter geworden in den letzten 25 Jahren. Mir gefällt der Gig mal wieder, wie eigentlich jeder DESTRUCTION-Auftritt, denn gelernt ist gelernt. Daumen hoch.


SEPULTURA
kommen als Nächstes und fallen wieder etwas aus dem Rahmen, ist ihr Thrash Metal der „Beneath the Remains“, „Arise“ und „Chaos A.D.“-Alben doch weitaus abwechslungsreicher, teilweise vom Tempo her gedrosselter und durch die Tribal-Elemente weitaus multikultureller, als der der anderen Bands. Genau das macht SEPULTURA zur willkommenen Abwechslung, auch wenn Songs wie „Beneath the remains“, „Infected Voice“, „Arise“ eigentlich eine andere Sprache sprechen. Tracks wie „Amen“ oder „We who are not as others“ bremsen da deutlich runter und für meine durchgeprügelten Ohren ist es eine schöne Abwechslung. Auch wenn es für Kathi sehr schwer ist: heute gibt′s kein „Roots bloody Roots“. Aber Kathi ist nicht allein, denn andere fordern den Hit ebenfalls, bis Andreas erklärt, dass es den Song heute Abend nicht geben kann. Schade, dennoch bei der Menge an Thrash-Klassikern zu verschmerzen.
Andreas Kisser ist einfach eine coole Sau, wenn er mit Kutte bekleidet die Riffs aus seinem Instrument abfeuert und die Leute folgen seinen Anweisungen blind. Frontmann Derrick hingegen hat ein Variabilitätsproblem. Hast du ihn einmal gesehen (egal ob Clubshow oder riesiges Open Air), kennst du alle seine Bewegungen. Laufen, tänzeln, böse gucken, imposant aussehen und die Drumbeats mithämmern. Oder vielleicht schüttelt er auch ’ne Dose Sprühsahne, ich weiß es nicht. Aber was ihn dennoch zu einem super Frontmann macht, ist seine Zugänglichkeit auf der Bühne. Er spricht deutsch und besonders sein „Alles gut?“ ist ziemlich niedlich. Sofern man niedlich zu einem 2m großen Muskelberg sagen darf…aber wenn man ihn mal trifft, strahlt er alle Ängste weg und ist ein unglaublich freundlicher Riese.

Aber ganz ehrlich, einer stiehlt den alten Hasen die Show: der neue Drummer Eloy Casagrande. Ganze 20 Jahre alt ist das Bübchen mit den dicken Oberarmen und ein echter Hingucker hinter dem Drumkit. Nicht, weil er so niedlich ist, sondern weil er einen Bums hat, den man echt selten erlebt. Ich habe lange keinen Drummer gesehen, der so energiegeladen auf sein Drumkit eindrischt, die fiesen Drumfiguren perfekt draufhat und sich nebenbei noch einen ablacht, als er das eine Becken nicht schlagen konnte, weil der Roadie dranrumschrauben musste. Das kennt man von einem seiner Vorgänger nämlich ganz anders. Als wir ihn nach der Show kurz ansprechen ist er ziemlich aufgeregt aber sehr freundlich und erfreut, dass wir ihn erkannt haben und sein Schlagzeugspiel einfach unglaublich finden. Sehr sympathischer Junge, der seinen Weg hoffentlich machen wird, denn Talent hat er ohne Ende. Siebzig Minuten Tribal Thrash sind dann aber auch schnell vorbei und weiter geht′s mit einer längeren Umbaupause.


EXODUS
sind die Headliner des Abends und ich hatte noch nie die Gelegenheit, die Band zu sehen. Sänger Rob Dukes ist ein Berg von einem Mann, mit dem ich mich mal nicht anlegen werde, soviel ist sicher. Er ist auch deutlich angepisst, als niemand seiner Aufforderung Folge leistet und einen monstermäßigen Moshpit abliefert, was sich aber im Laufe des Gigs deutlich bessert, auch wenn viele nach SEPULTURA nicht mehr in die Halle zurückkehren. Zum Schluss bekommt er es aber hin, sogar eine Wall of Death zu organisieren und angefeuert von Songs wie „Last Act of Defiance“, „Fabulous Desaster“, dem mächtigen „Piranha“ geht die Crowd dann auch mächtig ab. Das Abschlusstrio sollte dann aber mal ganz schnell in die Hall of Thrashfame aufgenommen werden: „Bonded by Blood“, „Toxic Waltz“ (einer der besten Thrash-Songs ever) und „Strike of the Beast“…Leute, Leute, das sind Thrash-Songs der edelsten Sorte.

Edel ist auch das Gitarrenspiel von Gary Holt und Lee Altus. Moment mal… Lee Altus spielt doch bei HEATHEN. Ach ja, seit 2005 auch bei EXODUS! Damit legt der Mann eine Doppelschicht ein und wieder begeistert er zusammen mit Gary Holt die Fans mit unglaublichen Riffs und den fettesten Soli. Bassist Jack Gibson und Drummer Tom Hunting hingegen haben alle Hände voll zu tun, die schnellen Riffs mit ihrem Rhythmusgerüst im Zaum zu halten, was aber logischer Weise problemlos bewerkstelligt wird. Rob Dukes spukt währenddessen wie ein Lama, was Lee lapidar mit „If you spit at me, I′ll puke on you“ kommentiert wird.

Wer auf schnellen Metal steht, muss dieses THRASHFEST besuchen, denn soviele Riffs, wie an diesem Abend, habt ihr noch nie am Stück. Jede Band ist auf seine Weise einzigartig und auch wenn die Grundrichtung die gleiche ist, gibt es bei jeder Band genug zu entdecken. Vor allem die Tatsache, dass Thrash nicht tot ist, niemals war und niemals sein wird. Wer was anderes behauptet ist ein Honk.

Mein Dank an diesem Abend geht an Kathi und an Mario, der als örtlicher Veranstalter dieses Konzert (wie bereits viele zuvor und hoffentlich noch viele in der Zukunft) in Braunschweig möglich gemacht hat. Raise your beer! (chris)

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