INTERVIEW, TOP THEMA

MYSTIGMA :: Der schattenwerfende Hermes

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Erneut habe ich gemerkt, dass es doch ein großer Unterschied ist, ob ich eine Review schreibe oder ein Interview vorbereite. Das Zweite ist einfach intensiver und auf Mystigma bezogen, ich hab das Album lieben gelernt. Als Beispiel soll mal „Die Letzte Stunde“ dienen. War mir im Review keine besondere Erwähnung wert, ist aber vom Songwriting her (Einleitung/Strophe/Refrain) sehr gelungen.

Zu den Fakten: Das aktuelle Album ist das erste rein in Deutsch eingesungene Werk der Formation aus Osnabrück. 2000 erschien die erste VÖ noch unter dem Namen „Tears of Mystigma“, hernach folgten 4 weitere CD’s und zwei EP’s. Hinzu kommen reichlich Liveauftritte, welche der Band auch eine größere Fanbase bescherten. Mit „Gottlos“ gelingt der Band zudem so etwas wie eine kleine Hymne, dessen betörender Refrain durchaus Ohrwurmqualitäten besitzt. Insgesamt gesehen, ist das düster-harte Klangerlebnis sehr gelungen und die Texte sind im Kontext mit der NDH eher nachdenklich als mit Parolen gespickt. Es lohnt sich also ein tieferer Blick beim Hörgenuss. (andreas)

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Schattenboten ist euer erstes rein in Deutsch eingesungenes Werk. War es ein logischer Weg und wie liefen die Diskussionen untereinander ab?
Torsten: Das kann man so sagen. Wir haben ja bereits in der Vergangenheit, mit „Staub der Worte“ vom Album „Universal Surrender“, „In Deine Hand“ vom Album „Andagony“ und natürlich besonders mit dem Album „Unzerbrechlich“ mit der deutschen Sprache experimentiert. Auf „Unzerbrechlich“ fanden sich ja bereits satte 5 deutsche Tracks. Und gerade für diese Songs wie z.B. „Tiefes Rot“ , „Was von der Nacht noch übrig bleibt“ oder „Uhrwerk Stille“ haben wir ein besonders positives Feedback bekommen. Dazu kam der Aspekt, dass ich für die Songs von „Schattenboten“ in erster Linie Ideen in Deutsch für die Umsetzung der lyrics hatte. Von daher war es dann schon ein logischer Schritt, das Album komplett in deutscher Sprache einzusingen. Und darüber waren sich auch alle in der Band einig.

 

Gab es in der letzten Zeit neuere Einflüsse, welche euch zu diesem Schritt bewegten?
Torsten: Nicht wirklich, da wir ja wie gesagt auch schon in der Vergangenheit mit deutschen Texten gearbeitet haben. Natürlich bekommen wir schon mit, was so an Releases auf den Markt kommt und vieles ist auch gut und interessant. Aber meine Einflüsse in Bezug auf Aussage und Gestaltung der Lyrics liegen nach wie vor eher bei Nick Holmes von Paradise Lost. Ich mag einfach seine düster,-pessimistischen, mitunter zynischen Sichtweisen, die aber hoffnungsvolle Aspekte nie ganz ausschliessen. Dazu neige ich auch dazu die Hörer/Leser ganz bewusst manchmal etwas zu verwirren.

 

Wenn man bei Facebook nachschaut, habt ihr eine große Fanbase, wie pflegt ihr diese und wie wichtig sind in diesem Kontext Live-Auftritte?
Torsten: Ich würde auch sagen, dass es mittlerweile viele Fans gibt, die unseren Sound glücklicherweise mögen. Aber wirklich echte Fanbindung funktioniert nur über Live-Konzerte. Wir erleben es immer wieder, dass Leute auf uns zukommen, z.B. über die sozialen Medien und unsere Musik spannend und gut finden, aber die Band auch erst live sehen wollen, Fotos machen wollen und dann ein signiertes Album mitnehmen. Aber das ist natürlich vollkommen Okay. Die Base in den sozialen Netzwerken zu pflegen ist mittlerweile enorm wichtig. Mindestens einmal wöchentlich muss ein Posting raus und wenn es auch nur ein Gruss zum Wochenende ist.

 

Man kennt ja den Streit unter Brüder, wie läuft bei euch die unterschiedliche Ausgangslage zwischen Songwriting und Lyrics?
Jörg: Wir haben da eine klare Aufgabenverteilung und Herangehensweise. Ich schreibe die Musik und schicke sie dann Torsten. Meistens sind die Songstrukturen immer schon recht weit und durchdacht, so dass Torsten die Musik und die entsprechende Stimmung und die Atmosphäre gut einfangen kann um hieraus seine Textideen zu entwickeln. Wenn die Lyrics halbwegs stehen, treffen wir uns in meinem Studio um an den Gesangslinien und den Details zu arbeiten. Manchmal geben die Songs schon eine gewisse Gesangsstruktur vor, die Torsten detailliert ausarbeitet, manchmal bleibt es aber offen , so dass wir beide unsere Ideen vortragen und uns gut dabei ergänzen.

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Musikalisch vollzieht ihr den Spagat zwischen dunklen Wave und straighten Dark Rock. Wo ist der stärkere Fuß zu Hause?
Jörg: Ich denke, unsere Stärken liegen in den rockigen Elementen, hier fühlen wir uns im Moment auch mehr zu Hause. Natürlich ist auch ein abwechlungsreicher Aufbau in einem Song wichtig, hier suchen wir nach Alternativen,die den Mystigma Sound erweitern können. Mal sind das ruhige Elemente wie z.B. akustische Gitarren, mal etwas elektronisches in Form von Loops oder diversen Keyboardsounds. Auf Schattenboten haben wir anstatt Samples auch endlich mal mit echter Violine und Akkordeon gearbeitet, so etwas möchten wir künftig weiter fortführen.

 

Imystigma-logohr habt vor einiger Zeit die Tränen abgelegt. In einem früheren Interview habt ihr „Tears“ im Namen mit der dunklen, schwermütigen Seite eurer Musik erklärt. Diese Seite gibt es immer noch, gibt es einen besonderen Grund für die Namenskürzung.

Torsten: Stimmt, die dunkle, schwermütige Seite in unserer Musik gibt es noch immer, sie ist sogar ein wesentlicher Bestandteil, ein Trademark unseres Sounds. Aber dies zu untermalen dazu bedarf es nicht die „Tears“ im Bandnamen. Der Name „Mystigma“ reicht da völlig aus und klingt auch viel griffiger und einprägsamer.

 

Im Vergleich zu früher klingt ihr moderner, härter und auch die versteckten Anleihen beim 80er Wave Pop von früher sind kaum erkennbar. Wie würdet ihr die Entwicklung der letzten Jahre beschreiben?
Jörg: Du hast es korrekt beschrieben. Wir haben in den letzten Jahren an Härte zugelegt, haben uns von den früher zahlreichen „seichten“ Momenten etwas gelöst. Wie bei vielen Bands eine natürliche Entwicklung, die sich vielleicht mit der individuellen Entfaltung oder auch mit dem persönlichen Musikgeschmack erklären läßt. Man durchläuft ja immer gewisse Phasen im Leben, das spiegelt sich nicht selten in Musik und Texte wieder. Ich persönlich habe neben Metal in den 1990er und 2000er Jahren sehr viel Bands aus der Gothic Wave Richtung gehört. Aktuell trifft das kaum mehr meinen Geschmack, wobei ich privat bis auf auserwählte Ausnahmen wenig neue Produktionen konsumiere. Aber um auf Wave Pop Anleihen zurückzukommen; so etwas mögen wir durchaus noch und speziell bei „Legenden“ haben wir das mit analogen Synthesizersounds bewusst eingebaut und ich würde das auch künftig nicht ausschließen.

 

Torsten, du hattest Anfang des Jahres einen Schlaganfall, wie geht es dir gesundheitlich und wie verändert ein derartiges Ereignis die Sicht aufs Leben?
Torsten: Der Schlaganfall war Anfang Juni diesen Jahres und es ging mit relativ schnell schon wieder ganz gut. Natürlich merke ich hier und da noch, dass etwas in mir oder besser in meinem Kopf passiert ist, was nicht passieren sollte. Aber alles im Rahmen. Es ist jetzt auch so, dass ich natürlich Medikamente einnehmen muss und ein wenig mehr auch mich achten sollte. Aber glaub mir, das ist auch nicht immer so einfach, wenn man Dinge gerne mit Volldampf und Energie angeht.

 

Ihr habt ein wunderschönes Coverartwork, gibt es einen Grund, warum die Texte teilweise „auf dem Kopf stehend“ abgedruckt wurden? Die Verschwörungstheorien blühen!
Torsten: Auf unsere Artworks legen wir immer großen Wert und auf den Graphiker unseres Vertrauens können wir uns auch immer verlassen. Es hat aber keinen speziellen Grund, warum die Texte z.T. auf dem Kopf stehen. Das war eine Idee unseres Graphikers Phil, die uns ziemlich gut gefiel. So ist man geneigt das Artwork beim Lesen der Texte zu drehen und alle Details der Inlayillustrationen zu erfassen. Also keine besonderen Verschwörungstheorien, ha, ha.

 

Auf Tombstone gab es eine ganz spezielle Review, wie geht man als Musiker/Sänger damit um?
Jörg: Wenn eine Band Alben veröffentlicht, live spielt, Videos postet etc., gerät sie logischerweise mehr oder weniger in den Fokus der Öffentlichkeit. Dass es dann unter Hörern und Rezensenten Leute gibt, die einen nicht mögen und mal eine kleine Breitseite ablassen, dabei aber einigermaßen fair und sachlich bleiben, ist normal und gehört ein Stück weit dazu. Wenn ich das als Musiker nicht vertrage, ist es besser ich widme mich einer anderen Tätigkeit oder musiziere nur für mich alleine und lasse keinen anderen daran teilhaben. Was wir jedoch bedenklich finden und immer beobachten ist, dass es scheinbar mehr und mehr Menschen gibt, die mit sich und ihrem Leben unzufrieden sind und offensichtlich ihren ganzen Hass an andere auslassen. Elementare Werte wie der Respekt und die Würde gegenüber den Bands/ Musikern aber auch allgemein gegenüber Sportlern, Prominenten etc. geht mittlerweile vielen völlig ab. Die genannten Werte werden mal subtil und mal ganz offensichtlich mit Füßen getreten . In Kombination mit völlig niveaulosen und selbstdarstellerischen Profilierungsgehabe eine zwar bemitleidenswerte aber auch gefährliche Kombination, die im Intenet mehr und mehr zur Unsitte geworden ist, leider und insb. auch in der selbsternannten „Musikfachpresse“. Prominentere „Opfer“ als uns gibt es zur Genüge. Zum Glück bilden sich aber die meisten Hörer sowieso ihr eigenes Urteil und ordnen so manche Schwachsinnsergüsse auch entsprechend ein. Und um auf den Kern der Frage zurückzukommen: Wir sind lange genug im Geschäft und auch entsprechend vernetzt, so dass wir wissen wie und warum so etwas initiiert und geschrieben wird. Wir nehmen so etwas dann mit Humor zur Kenntnis, denn am Ende kräht kein Hahn danach, denn weder Mystigma noch das „T…Mag“sind der Nabel der Musikwelt.

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Kommen wir zu den Texten. Der Opener „Weltenbrand“ lässt Assoziationen aufkommen, zur aktuellen Weltlage, ihr hebt es eher auf eine persönliche Ebene. Ist es ein Spiel zwischen Makro- und Mikrokosmos?
Torsten: Das hast Du ziemlich gut erkannt, denn es ist in der Tat so, dass ich im Text sozusagen zwischen globaler und persönlicher Ebene pendele. Das ist etwas, was ich ganz gern mache, ein Spiel zwischen Makro- und Mikrokosmos, das drückt es schon perfekt aus. Wie gehe ich damit um, wenn auch meine innere Welt aus dem Gleichgewicht gerät und in Flammen steht? Was passiert mit meinen Träumen und Sehnsüchten? Macht es überhaupt Sinn, diese heute noch zu haben?

 

Auf welcher Ebene spielt „in meinen Schatten“ und wer hält das letzte Streichholz?
Torsten: „In meinem Schatten“ ist in erster Linie persönlich. Im Laufe der Jahre begegnet man halt auch immer Menschen, die es eben nicht so gut mit einem meinen. Ich hasse Ungerechtigkeit. Es ist schon eine kleine Abrechnung mit diversen Personen. Das Bild mit dem „Streichholz“ ist eindeutig zweideutig. Entweder ziehst du den Kürzeren oder ich das „letzte Streichholz“, um dich zu vernichten, ha, ha, ha.

 

Wie sehr spiegelt sich Religionskritik in „Gottlos“, ist es im Mark eher ein Angriff auf die Kreationisten?
Torsten: Weniger ein Angriff auf die Kreationisten, sondern eher eine kristische Auseinandersetzung mit religiösem Fanatismus und welchen Schaden er letztendlich anrichten kann, bei einem selbst, sofern man denn einer Religion in ausgeprägtem Maße erlegen oder verfallen ist, sowie bei seinen Mitmenschen, die tagtäglich damit konfrontiert werden. Ich glaube die Menschheit würde um einiges friedlicher miteinander leben, wenn es keine Götter oder solche die sich dafür halten gäbe. „Gottlos“ ist übrigens der älteste Song auf dem Album und vielleicht auch aufgrund der Thematik einer der beliebtesten.

In welche Rolle springst du bei „das stärkste Leid“?
Torsten: In die Rolle des Mut machenden, Mut zusprechenden in schweren Zeiten der Trauer. Auch das gibt es in unseren Texten, ha, ha. Auch auf die schwersten Krise, das stärkste Leid folgt irgendwann Licht am Ende des Tunnels. Das setzt natürlich schon auch eine gewissen innere Haltung und Stärke voraus. Auch darin geht es in dem Song. Sofern ist der Titel dann auch ein gewisses Wortspiel. Auch aus dem stärksten Leid kann man gestärkt hervorgehen.

 

Könntet ihr uns näher in den Kontext Legenden/Revolution einbinden?
Torsten: Mystigma sind eigentlich eine gänzlich unpolitische Band, aber dieser Song ist damals im Kern unter dem Eindruck des Arabischen Frühlings entstanden. Es geht ganz simpel darum Aufzustehen, für seine Ideale und Vorstellungen und gegen Unterdrückung zu kämpfen. Der Titel deutet dies ja auch schon ein bisschen an. Eher ein etwas untypischer Text für uns.
Was ist für die Zukunft geplant, bleibt es deutsch? Headliner auf’m Mera? Charts?
Jörg: Natürlich sind wir immer bestrebt auf großen Events aufzutreten, um noch mehr Leute von unserer Musik zu überzeugen. Daran arbeiten wir aktuell und in naher Zukunft. Was das neue Material angeht, kann ich sagen, dass wir uns schon mitten im Songwriting für ein nächstes Album befinden. Es ist sicher noch etwas früh, aber gewisse Konturen und Tendenzen in Bezug auf Musik und Texte sind schon gut erkennbar. Wir müssen sehen was daraus wird, denn wir wollen uns mit jeder Veröffentlichung weiter verbessern und nicht einfach „Schattenboten Teil 2“ herausbringen. Die Ansprüche von außen, aber auch an uns selbst werden nicht weniger, deshalb nehmen wir uns die Zeit, die wir benötigen und setzen uns nicht übertrieben unter Druck. Was die Texte betrifft so denke ich, dass es wieder komplett in deutsch sein wird.

 

Discography:
2000 CD „Reflect Project:Colder Side“ (Eigenvertrieb unter dem Namen „Tears of Mystigma“)
2002 MCD „Higher Circumstance“ (Eigenvertrieb unter dem Namen „Tears of Mystigma“)
2005 CD „Universal Surrender“ (Equinoxe Records/Alive)
2010 CD „Andagony“ (Echozone/Sony)
2013 CD „Unzerbrechlich“ (Echozone/Soulfood)
2014 EP „Gottlos“ (Echozone/Soulfood)
2016 CD „Schattenboten“ ( Timezone/Timezone Distribution)

LINEUP:
Torsten Bäumer – vocals
Jörg Bäumer – guitars, keybords & programming
Stephan Richter – bass
Malte Hagedorn- drums