DEAR DEER
„Oh My…“
(Cold Industrial/Dark Noise/ Post Punk)
Wertung: Gut
VÖ: 01.10.2016
Label: Swiss Dark Nights/ Manic Depression
Webseite: Facebook / Soundcloud / Bandcamp
Das Duo aus dem französischen Lille besteht es seit kurzer Zeit, ihre Mitglieder sind aber seit längeren in der französischen Underground Szene unterwegs. Federico Iovino (Vocals, Guitar, Keys, Electronics) spielte vorher in der Goth Rock/ Batcave Formation „Popoï Sdioh“ und Sängerin Sabatel (auch Bass und Keys) veröffentlichte unter dem Namen „Cheshire Cat (the bouncing)“ einen Stilmix aus Batcave/Punkrock/Wave. So ist man nicht verwundert, dass man hier ein reifes Debüt vor sich hat.
Verworrene Soundstrukturen, welche mal schleppend,mal exzessiv die dunkle Zeremonie beleuchten. Immer luken Anleihen beim Batcave der 80er hervor, während die durchdringende Elektronik in ihrer experimentellen Vehemenz an Alien Sex Fiend erinnert. Das man auch punkigen Extravaganzen nicht abgeneigt gegenübersteht, beweisen Songs wie der Opener „snail“ oder das wilde, von knallbunten und aggressiven Female Voices intonierte „Dear Deer“. Ruhige Elektronik mit der nötigen Substanz Düsternis erklingt in „Arnolfini“ durch. Die Elektronik hier knarzend und latent minimalistisch. Tempiwechsel und energische Steigerungen sorgen für Abwechslung. Während die weibliche Stimme ein wenig an Masquerade erinnert, bleibt der männliche Partner bei seiner sonoren Düsterstimme. Im Kontext ergibt das einen dialektischen Schub. Wobei die Synthese im Auge des Betrachters liegt. Federico kann aber seine Stimmbänder auch Lydon-like vibrieren lassen. „Statement“ setzt eher auf verzerrte und flirrende Saiten, während „TVD“ neben den Goth Rock Anleihen, erneut mit dieser schrägen Elektro Komponente aufwartet und durchaus als moderne Variante von Sex Pistols durchgehen könnte. Sängerin Sabatel erinnert manchmal an die rohe Seite von Björk, das Schräge der Stimmbänder wird in der Mischung mit unkontrollierten Charme in den Saiten und am Keyboard zur Einheit. Ein bißchen Sisters‘ Dr. Avalanche scheint beim druckvollen „Claudine in Berlin“ durch. Typisch französisch mutet hingegen die unterkühlte Atmosphäre an, welche durchaus Reminiszenzen beim Cold Wave findet.
https://www.youtube.com/watch?v=tES1QQnJVXE
Hernach scheppernd und krachend die Musik, die Stimmen tummeln sich in wilder Ekstase und doch bleibt ein verführerischer Unterton. Das, scheinbar zwischen Industriemaschinen aufgenommene Schlussepos Clinical/physical überrascht mit einer human integrierten Trompete, die sich in ein wildes Durcheinander drängt und dem Treiben zwischen Killing Joke, Neubauten und Sugarcubes eine ganz eigene Atmosphäre verleiht.
Fazit: Die Franzosen scheinen sich gesucht und gefunden zu haben. Das Gesamtbild ist surreal wie ein Dali Gemälde. Der Gesamtkontext nicht greifbar. Das chaotische wird auf den Alter der Harmonie gehieft und im nächsten Moment wieder runter gestoßen. Insgesamt nicht einfach konsumierbar, aber wer auf auf wilden Elektro Dark mit kühler Varianz steht, dessen Samen in den 80er Düsterschuppen gepflanzt wurden, wird auch diese moderne Variante lieben. (andreas)