LIVEBERICHT

HELL OVER HAMMABURG 2015 :: All Hail Hell!


u.a. mit MIDNIGHT, NECROS CHRISTOS, SOLSTICE, CULT OF FIRE, ROBERT PEHRSSON′S HUMBUCKER, AMBUSH
Live in der Markthalle in Hamburg am 07.03.2015
Text & Fotos © Chris

LET′S TALK ABOUT…

Als wäre es in der Hölle nicht warm genug, hat man den vorangegangenen Abend hervorragend dazu genutzt, die Fans auf dem Warm-up Gig im Rock Café St. Pauli anzuheizen und weil wir nun alle heiß wie Frittenfett sind, strömen die metal-hungringen Massen auch zur Nachmittagszeit in die Markthalle.

Kritik und Lob sind immer subjektiv und meine größte Kritik ist immer noch, dass ich nicht alle Bands sehen kann, da sie sich arg überschneiden und die Sauna (aka das Marx) permanent überfüllt ist. Lob gibt es aber für die Auswahl der Bands! Es ist eine hochgradig ansprechende Mischung der Stile, so dass man auf der großen Bühne Heavy Metal, Hard Rock, Black Metal, noch mal Heavy Metal, Doom, Death und Metalpunk nacheinander bestaunen kann und doch alles herrlich untergrundig daherkommt und keine Nuclear Blast oder Wacken-Stammband am Start ist.

WINNERS AND SINNERS…

Echte „Sinner“ gibt es beim HELL OVER HAMMABURG nicht! Keine Band war in irgendeiner Form fehl am Platze oder hat nicht alles gegeben, aber da Reviews in der Regel subjektiv sind und sein müssen, hat jeder von uns seine Gewinner am Start. Meine Highlights des diesjährigen Festivals sind (in order of appearance):

AMBUSH

Wie bereits am Freitag bei BLIZZEN geschehen, darf die erste Band des Tages vor fast vollem Haus spielen! Es ist erstaunlich und erfreulich, dass die Fans so scharf auf die Mucke sind, dass sie sich um 15.30h so zahlreich in der großen Halle einfinden, obwohl der eine oder andere sicher noch einen Kater mit sich herumschleppt. Die Band ist aber besser, als jedes Konterbier der Welt, denn die Schweden verjagen mit ihrer unbändigen Heavy Metal-Power jede Großwildkatze im Nu. Das aktuelle Album „Firestorm“ ist eh ein Bringer und wenn man dann noch so spielfreudige Musiker auf der Bühne hat, gibt es keinen vernünftigen Grund, warum man nicht die Matte (falls vorhanden) oder die Fäuste (falls diese nicht gerade ein Bierchen halten) zu schütteln. Highlight der Perfomance sind die Choreografien im Sinne früher SCORPIONS oder ACCEPT… Gitarrenballett in Reinkultur! Sänger Oskar widerlegt ganz nebenbei die These, dass ganz große Heavy Metal-Vokalisten in den späten 80ern ausgestorben sind bzw. danach nicht mehr gezeugt wurden, denn seine Leistung lässt mir auch Tage später noch eine Gänsehaut nach der anderen über die Arme gehen… das war eine Wahnsinnsleistung! Zusammen mit dem spielerischen und körperlichen Einsatz seiner Bandkumpel war das für die Tageszeit schon viel zu gut!

CULT OF FIRE

Ja, was soll ich sagen… ursprünglich will ich CULT OF FIRE nur mal ca. 10 Minuten anchecken, um mich dann in die kleine Halle zu quetschen, um meine geliebten CARONTE zu erleben, aber scheinbar haben die Mönche (oder so…) mit gefühlt 200 Räucherstäbchen, Kerzen, Schädeln und anderen Artefakten einen Zauberbann gesprochen, der es unmöglich macht, die große Halle zu verlassen. Kaum haben sie angefangen zu spielen, war ich in ihrem Bann. Viele finden es albern oder unnötig, dass sich Bands einen anderen Stil als T-Shirt und Jeans zu Eigen machen, aber ich gehe immer vom Optimalfall aus: für die Band gehören die Accessoires, genau wie die Vermummung und die spärliche Bühnenaction, zu einem Ritual mit dem sie den Auftritt und ihre Kunst zelebrieren. Wie könnte ich mich jemals darüber beschweren, dass jemand seine Musik dermaßen ernst nimmt?! Zumal die Musik es in sich hat! Wenn die Band sich darauf besinnt, im Midtempo die atmosphärischen Gegebenheiten der Halle nachhaltig zu verändern, sind sie absolut unangreifbar; das hat so viel (schwarze) Seele und Atmosphäre, dass ich von der Wärme erstaunt bin, aber wehe sie ziehen das Tempo an; die Temperatur der Halle verändert sich binnen Sekunden um 15 Grad Richtung Gefrierpunkt und lässt die Seele frieren. Ich bin noch immer völlig hin und weg von diesen hypnotischen 40 Minuten.

NECROS CHRISTOS

Für mich ganz persönlich ist NECROS CHRISTOS zur Zeit die beste Death Metal-Band aus deutschen Landen. Die Art, wie sie Songs schreiben, das Konzept der „Temple“ und „Gates“, ihre urtypische Melodik und der mitunter unwiderstehliche Groove ist einfach nicht von dieser Welt. Ich bin gleich zu Beginn der Show mehr als erfreut, dass man diesmal keine Sonnenbrillen trägt, denn das passt einfach nicht zum Konzept… ja, ich finde immer was zum Nörgeln, wenn ich mich anstrenge. Aber heute kann ich suchen und suchen… alles geil! Mit „Black Bone Crucifix“ und „Necromantique Nun“ hat man meine Lieblingstracks am Start und legt mit „Tormented Flesh on the Mount of Crucifixion“, „Curse of the Necromantical Sabbath“, „Red Wine runs out of the White Skull of Jesus“, „Black Mass Desecration“, „Baal of Ekron“, „Va Koram Do Rexs Satan“, „Baptized by the Black Urine of the Deceased“ und „Nine Graves“ noch ein Paket oben drauf, dass jeden in der Halle erkennen lassen muss, dass man es mit der absoluten Speerspitze zu tun hat. Die Band gibt sich absolut fehlerfrei und spielt intensiv zusammen, dass man sich auch hier dieser fleischgewordenen Maschine nicht entziehen kann.

Es ist ja fast unmöglich, dass man alle Bands nach allen Regeln der Kunst abfeiern kann; auch wenn ich glaube, dass ich ein Fall für die Hobbypsychologen unter euch bin, denn ich kann mich an 80er-Jahre-Heavy Metal genauso erfreuen, wie an dem schmerzhaftesten Black Metal, aber diese Bands haben mich gut unterhalten, wenngleich auch nicht mehr:

ROBERT PEHRSSON′S HUMBUCKER

Die Musik klingt für mich durchaus nach den großen Zeiten von THIN LIZZY, aber da ich nicht unbedingt ein Die Hard-Fans der Iren bin, läuft dieser Vergleich, der anderen die Tränen in die Augen schießen lässt, bei mir etwas ins Leere. Unbestritten ist Robert Pehrsson ein Meister, wenn es darum geht unglaublich gute Melodien zu schreiben und zu spielen, aber der Reiz nutzt sich in meinen Ohren bereits nach ca. der Hälfte des Gigs etwas ab. ABER: einen magischen Moment der Livemusik hat er uns allen geschenkt, als er sich bei „Wasted time“ (wenn ich mich recht erinnere) zum Ende hin mit seinen Mitmusikern in einen wahren Jamrausch hineinsteigert und ein so grandioses Solo abliefert, dass mir vor Wonne bald der Becher aus der Hand fällt. Das ist Kunst. Für den Lacher des Tages wird auch gesorgt: Robert sagt zwischen zwei Songs, dass es „echt anstrengend ist, gleichzeitig Gitarre zu spielen und zu singen“. Reaktion des Publikums: „Heul doch“… Hamburger Humor.

SOLSTICE

Auf SOLSTICE war ich sehr gespannt, aber manchmal kommt es anders, als man denkt. Nichts gegen epischen Power Doom, aber auf Dauer kann ich mit der Stimme von Paul Kearns wenig anfangen. Zu eintönig singt er die Songs und tappt damit in eine typische Power Doom-Falle: guter Sänger, der allerdings zu wenig Abwechslung in seine Stimme bekommt. Natürlich ist die Art, wie er hier singt absolut passend, aber, wie gesagt, mir fehlt es etwas an Variation. Sonst solider Auftritt und die Tatsache, dass die Band den Song „White Horse Hill“ Sven von Ván Records widmet, zeugt von Geschmack.

MIDNIGHT

Alter! Ich wette, die Jungs von MIDNIGHT heißen mit Nachnamen Asikowski und sind als Geschwister alle miteinander verheiratet. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: sowohl Musik (oldschooliger Rumpelblackthrash / Metalpunk), als auch Auftreten der Band (mit gesichtsverdeckenden Kapuzen) und Verhalten (Frontmann reibt sein Gemächt am Kameraobjektiv eines Kollegen im Graben) passt perfekt zusammen. Das ist so rotziger Asimetal, dass mein Asizentrum die Ampel auf grün springen lässt und ich mir erstmal eine Kippe anmache und mich völlig ungeniert am Sack kratzen lasse. MIDNIGHT sind so, wie VENOM vor hundert Jahren gerne gewesen wären. Die Fans gehen allerdings mal so richtig steil und vom Bühnenrand bis zum Mischpult werden die Matten geschüttelt und die lyrischen Ergüsse abgefeiert… geil!

Leider gibt es aber zwei Gründe, warum die Band es nicht in die „Winner“-Kategorie geschafft hat: zum Einen rumpelt und pumpelt man man sich relativ abwechslungsarm durch das Repertoire und zum Anderen wird die Spielzeit von 70 Minuten (23:00h bis 00:10h) mal so eben um satte 25 Minuten gekürzt. Moment… kürzere Gigs bei wenig Abwechslung sind ja generell wünschenswert, allerdings hätten NECROS CHRISTOS dann ja noch einen Song spielen können… All hail hell!

LOSER IN THE GAME…

Der Loser in diesem Spiel bin ich, denn ich habe es trotz ausgiebigen Trainings nicht geschafft, meinen Geist in zwei Teile zu splitten und jede Band zu sehen. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie habe ich die These aufgestellt, dass wenn man genug Zwei-Komponenten-Getränke zu sich nimmt (in diesem Falle eine als unanständig-unnötig anzusehende Überdosis Jacky/Cola), es möglich sein müsste, sich am nächsten Tag an Dinge zu erinnern, die man gar nicht gesehen hat. Leider hat sich diese Hypothese als falsch herausgestellt, aber ich werde trotzdem weiter an der Formel arbeiten und nicht aufgeben mit den Selbstversuchen. Meiner Unfähigkeit zur transzendenten antikosmischen Levitation, wie ich es nenne, zum Opfer gefallen sind allerdings die Bands auf der kleinen Bühne: TRIUMPHANT, THE TOWER, CARONTE, DROWNED, NIGHT und CHAPEL OF DISEASE. Besonders CARONTE waren auf meinem Bandfahrplan eine fest eingeplante Haltestelle, aber CULT OF FIRE waren so faszinierend, dass ich es nicht geschafft habe, mich dem Ritual zu entziehen; beim ACHERONTIC ARTS FESTIVAL am 01. und 02.05.2015 in Oberhausen werde ich meine Chance wahrnehmen und mir CARONTE besonders gründlich anhören!

FAZIT…

HELL OVER HAMMABURG rockt. Und zwar ohne Ende. Dieses Jahr konnte man bereits recht frühzeitig „Ausverkauft!“ rufen, aber wo wird das noch hinführen?! Wahrscheinlich dahin, dass man bald im August das „Ausverkauft“-Schild hochhalten muss, denn den Gier nach echten Bands, echtem Metal und einer guten Zeit wird so schnell nicht zu befriedigen sein. Und das hat das Team um Wolf-Rüdiger Mühlmann auch verdient, denn die Bandauswahl war dieses Jahr wieder exquisit und die Organisation vom Allerfeinsten. Wir sehen uns nächstes Jahr!

Meine herzlichsten Grüße gehen heute an Sven, Arne, Karo, Wolf, Malte (ich hoffe, du hast von Sven noch eine Tasche bekommen!) und „Dr. J & the Crazy Bunch“!!! It was a pleasure to meet you guys!

P.S.

Jaja, manchmal passieren Dinge sehr schnell… Mein Bericht war gestern schon fertig, als sich die Verantwortlichen bereits zu Wort gemeldet haben… es stehen und einige Änderungen für das 4. HELL OVER HAMMABURG ins Haus! In aller Kürze: die Warm-up Show im Rock Café St. Pauli wird es nicht mehr geben (Pfui!), dafür wird die 2016er Auflage des Kurzurlaubes bereits Freitag in der Markthalle starten (Hui!)! Und zum kurzen Gig von MIDNIGHT gibt man auch einige erklärende Worte ab! Checkt einfach den Link und sehet und staunet! HELL OVER HAMMABURG-Facebook!

Nun ist aber wirklich Schluss… wir sehen uns nächstes Jahr! (chris)