FILM+HÖRSPIEL

FILM „Es ist schwer, ein Gott zu sein“ (Experimental-Kino)

eisegzsOriginaltitel: Trudno byt bogom

Produktion: Russland, 2013

Blu-Ray-Veröffentlichung: 27.11.2015

Wertung: nach normalen Maßstäben nicht zu bewerten

Regie: Aleksei German

FSK: 16

Darsteller: u.a. Leonid Yarmolnik, Aleksandr Chutko, Natalia Moteva, Yuriy Tsurilo

Genre: Endzeit-Experiment

Studio: Bildstörung

Inhalt:
Eine Gruppe Historiker wurde auf einen fremden Planeten entsandt, der in seiner Entwicklung 800 Jahre hinter der Erde zurückliegt. In der Hoffnung, in dieser mittelalterlichen Zivilisation die Geburt einer Renaissance hautnah miterleben zu können, mischen sich die Forscher unbemerkt als adlige Nachkommen lokaler Gottheiten unters Volk, um die dortigen Ereignisse aufzuzeichnen und zur Erde zu übertragen. Ihre oberste Direktive dabei lautet: Bleibe unerkannt und neutral, greife niemals in das Geschehen ein und töte unter keinen Umständen einen Planetenbewohner. So weit, so gut. Doch als in der Stadt Arkanar graue Truppen plötzlich ein blutiges Pogrom gegen Gelehrte und Bücherfreunde starten, nimmt die Geschichte unvermittelt einen völlig anderen Verlauf. Don Rumata, der vor Ort das Treiben hilflos mit ansehen muss, fällt es dabei zunehmend schwerer, dem brutalen Gemetzel einfach tatenlos zuzuschauen. Doch was tun als ein Gott, dem die Hände gebunden sind?

Dreck, Hühnerscheiße, Gedärme, Schlamm und andauernder Regen. Degeneriertes Volk, asozial und aggressiv, vulgär und obszön. Rotzen, kotzen, spucken und sabbern. Ein Film mit genialer Grundidee und rudimentärer Handlung. Wer bei diesen Wörtern interessiert aufhorcht, darf sich den letzten Film von Aleksei German ruhigen Gewissens kaufen und anschauen.

Aleksei Germans Mammutwerk, er drehte an diesem Film 6 Jahre und verbrachte weitere sieben in der Postproduktion, ist gleichermaßen faszinierend und abstoßend, interessant und eine Qual zugleich. Mitten im Film empfinde ich beinahe körperliche Schmerzen, beim Ansehen der Szenen voller Dreck und Unrat und möchte duschen gehen.

Die Handlung ist meistens nicht anwesend, vielmehr fließen die Ereignisse ineinander und wer nicht aufpasst, verpasst nichts. Menschen tauchen auf, verschwinden und ich habe den Eindruck, dass man die gleiche Sache in den 177 Minuten niemals zweimal sehen wird. Die russische Sprache in Verbindung mit den Untertiteln sorgen auch nicht gerade für ein entspanntes Kunsterlebnis, wenn man mich fragt.

Die Kameraarbeit ist dabei sehr faszinierend: sie hält immer voll drauf, ist detailverliebt bis in die verdreckten Poren und sorgt dafür, dass der Zuschauer die Scheiße und die Ausdünstungen der Porträtierten riechen kann. Viele Protagonisten glotzen, starren oder grinsen auch hemmungslos in die Kamera und verstören den Zuschauer. Meinen sie mich? Mitunter entsteht der Eindruck, dass es gar keine Kamera ist, sondern dass wir mit dem Film verschmolzen sind und passiv an ihm teilhaben und so den Grundgedanken der Geschichte, ein Beobachter zu sein, der nicht eingreifen darf. Es ist nicht leicht, ein Zuschauer zu sein. Vor allem ist es nicht leicht, die Fernbedienung in Ruhe zu lassen. Das schwarz-weiße Bild ist mit wenig Kontrast gesegnet und daher erscheint alles grau; da der Erzähler allerdings zu Anfang mitteilt, dass alle Personen grau sind und sich grau kleiden, macht das Sinn.

Mitunter schafft es der Film aus den ekligen, asozialen Dialogen auszubrechen und dem grauen Geschehen eine poetische Nuance zu schenken, was ich hie und da dankend annehme. In all seiner Hässlichkeit blitzt ab und zu die Schönheit der Sprache durch, die die Bewohner dieses Planeten aktiv vernichten und so eine Entwicklung und das Entstehen der Renaissance verhindern, was mich jetzt dazu bringt, alle Leser aufzufordern, mal wieder ein gutes, altes Buch zur Hand zu nehmen, um die Sprache nicht zu verlernen.

Ist das Kunst oder kann das weg? Diese Frage kann schlichtweg von mir nicht beantwortet werden. Einerseits ist der Film faszinierend und aufgrund der Bildsprache ein Gegenentwurf zu den heutigen Fast-Food-Sehgewohnheiten, andererseits bringt er mich an die Grenzen des Ertragbaren mit seiner stoischen Erzählweise. Freunde des experimentellen Kinos sind aufgefordert, sich den Bildern hinzugeben! Wer lieber „normale“ Filme schaut, kann ruhigen Gewissens einen Bogen um den Film machen.

Bildstörung spendiert diesem Ungetüm neben dem dicken Booklet noch eine umfangreiche Bonusdisc, die sich anzuschauen lohnt:
– Interview mit Aleksei German Jr., dem Sohn des Regisseurs
– Interview mit Drehbuchautorin und Aleksei Germans Witwe Svetlana Karmalita
– „Aleskei German“ – Ron Holloways Langinterview mit Aleksei German
– „Jenseits der Kamera“ – Dokumentafilm von Aleksandr Pozdnjakov
– „Germans Blutdruck ist heute 122/85“
– Dokumentafilm von Peter Shepotinnik
– „Die Geschichte des Arkanar-Massakers“ – eine Würdigung von Daniel Bird

Ein Film, wie ein Sludge-Album… nicht jedermanns Geschmack. (chris)