VLIMMER
„Nebenkörper“
(Elektro Wave/Industrial/Klangkunst)
Wertung: Gut
VÖ: 25.09.2021
Label: Blackjack Illuminist Records
VLIMMER ist das Ein-Mann-Projekt von Alexander Leonard Donat, der seit 2015 regelmäßig EP’s herausbringt. Nach nun 18 (!) EP’s verlässt VLIMMER diese Pfade und veröffentlicht erstmals ein komplettes Album. Irgendwie ist das Projekt bis jetzt an mir vorbeigeschlittert und das Aufholen würde 90 Songs beherbergen. So widme ich mich also ohne Vorkenntnisse dem Werk. Es wurde eine spannende, mal verwirrende, dennoch genussvolle Reise mit reichlich überraschenden Haltepunkten.
Nachdem man die kühle Ästhetik des, als Intro dienenden „Farbenmüde“ in sich ruhend genießen konnte, folgt hernach mit „Fensteraus“ ein kräftiger Wall of Sound, der zunächst schwer greifbar, irgendwo zwischen Post Punk, Shoegaze, EBM, Dark Ambient und Pop ein eigenes Zuhause besitzt. Während der Sound in seiner Opulenz kraftvoll daherkommt, besitzt die Stimme eine klagende Note.
„Mutem“ wartet erneut mit verschiedenen Klangexperimenten auf. Percussion, atmosphärische Elektronik und zwischendrin die Stimme, die sich leidend in die Manege wirft und dem wilden Treiben den Samthauch der schwarzen Galle einflüstert. „Restfall“ variiert zwischen Eingängigkeit, Tragik und soundtrackartiger Vehemenz. Die Stimme als getragener Ruhepol, verführerisch, hingebungsvoll -> Verloren im Dickicht der Klänge. Zwischendrin lancieren die Saiten den Dark Wave.
„Minusgesicht“ hat wieder diese kühle Industrial Note. Ein bisschen Neubauten, ein bisschen NDT ein wenig 84er Depeche Mode und dann ein verwegenes Intermezzo voller Dramatik. Das Ganze aufgebaut auf einer sphärischen Fläche, deren Charakter eher die Hoffnungslosigkeit ist. Druckvoller Beginn, krachige Elemente und dazwischen Harmoniebögen, dann puristische Wildheit, so in etwa erklingt „I.P.A“. Aggressivität, welche sich mit den Fesseln der Harmonie auseinandersetzt. Die wilde Rohheit wird im folgenden „Ad Astra“ nochmals gesteigert. Wilde Percussions, kompromisslose Sounds, Tempo und mittendrin die Stimme, die sich den Leib aus der Seele schreit, während die Backings Liebreiz verströmen und das Bad in einer eindringlichen Hookline genießen.
Pure Melancholie verströmt das ruhig fließende, traurig klingende „Kartenwarten“. „Kron“ ist ein wilder, lauter Schrei des Industrials. Zerstörerische Soundkulissen, kompromisslose, krachige Wildheit. Hör mit Schmerzen.
Fazit: VLIMMER perfekt zu beschreiben, ist ungefähr so einfach wie die Paradoxien von Zenon von Elea zu entschlüsseln. Ein insgesamt wilder Mix aus Post Punk, Elektronik, Cyperpunk, Cold Industrial, Krach, Shoegaze, Filmmusik und sequenzierter Harmonie. VLIMMER ist Chaos und Ordnung zugleich. Die gefühlvolle Seite öffnet sich durch den klagenden Gesang, wobei ich manchmal versucht bin, die Art und das Timbre von Leonard mit Sopor Aeternus zu vergleichen. Das Album in seiner Gesamtheit ist gelungen, dürfte aber aufgrund der zunächst etwas verwirrend anmutenden Vielfalt und des Sprengens jeglicher Genregrenzen nicht zu den einfach zu konsumierbaren VÖs gehören. (andreas)