TWO WORDS IN JAPANESE & BIANCA STÜCKER
„Ghost kitchen“
(Genre)
Wertung: Gut+
VÖ: 27.10.2023
Label: caramel klang / AL!VE
Mastermind Nico Steckelberg ist den meisten wohl am ehesten durch ELANE bekannt. Seit 2020 hat er das Projekt TWO WORDS IN JAPANESE, welches sich der düsteren Elektronikmusik widmet. Mit Bianca Stücker hat er nun für sein erstes Full Length-Werk eine kongeniale Partnerin gefunden. Bianca ist freie Autorin, Musikerin, Tätowiererin und Tänzerin, hat Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Geschichte studiert, ein Kirchenmusikexamen abgelegt und 2012 ihre Promotion an der Folkwang Universität der Künste in Essen abgeschlossen. Als Songschreiberin, Sängerin und Instrumentalistin hat sie zahlreiche CDs mit verschiedenen Bands und Projekten veröffentlicht (u.a mit Violet, The Violet Tribe, VaNi und dem Ensemble Violetta und Benecke).
Der von tragischen, fast beklemmenden, dennoch sphärischen Klängen intonierte Opener ist schleppend und lebt zu Beginn von den Sprachsamples, welche aus irgendeiner Vorlesung von Sigmund Freund zu stammen scheinen, womit wir auch mittendrin im textlichen Geschehen sind. Geht es doch hier hauptsächlich um psychische Erkrankungen. Vorweg: die Musik ist kein Antidepressivum. Die klangliche Eleganz dient eher unterstützend, wobei der Rückzug hier in ein Gefängnis mit wattierten Gittern erfolgt.
Wabernd und versehen mit einer galanten Elegie schleicht sich „Mind set“ heran. Zwischendrin Kraftwerk’sche Larmoyanz aus den 70ern. Der Song scheint sich zu ergeben, zu verlieren und lenkt die Aufmerksamkeit auf Bianca, welche eine Einführung in den Narzissmus liefert. Die Inszenierung zwischen sphärisch und LoFi ist genial.
In „Day in, Day out“ erinnert man an frühe Phillip Boa, als man die Musik noch schön schräg inszenierte. Auch hier gibt es den galanten Refrain, hinzu gesellt sich eine romantische Passage, welche Bianca zur eigenen Tragik nutzt. Das instrumentelle Intermezzo variiert zwischen getragenen Sequenzen und verstörenden Geräuschen, welche frappierend an ein Fliegenmeer erinnern. Emotional mit tränenden Auge wird der Chorus dargeboten, während passagenweise das Laboratorium von Ernst Horn in den ’85er Keller des Voodooclubs verfrachtet wird.
Eingepackt in eine traurig-schönen Melodielinie schleicht sich „Emotional“ fast samt-poppig heran. Der getragene Sound, der in Passagen gar ein wenig Bombast auflädt, weiß voll zu überzeugen. Bianca erinnert hier ein wenig an Anastacia. Zu Beginn von „Insommnia Central“, welches sehr kühl daherkommt, meint man sich kurz Radio-hörend in einer Kiste von Wilhelm Reich zu befinden, bevor uns eine Violine kurzzeitig den Blick aus dem Fenster gönnt. Gespenstisch und mit kleinen Verzierungen versehen kommt „The Truth“ daher. Biancas Stimme im Intermezzo der klassischen Instrumente wirkt bewusst zerbrechlich, dennoch aufbäumend. Das chansoneske „An Mignon“ ist im Original von Franz Schubert aus dem frühen 19. Jahrhundert mit einem (typisch) tragischen Text von Goethe.
Fazit: Über 9 Songs bekommt der Hörer schwere Kost geboten, welche sich sowohl textlich als auch musikalisch bleischwer auf die Seele zu legen vermag. Wunderschöne Stimmen konterkarieren sich mit kalten Klängen, die sich wie eine Gänsehaut um des Hörers Seele legen. Schön wie der Hase von Dürer, aber ebenso braucht es Zeit m jedem Strich, hier jedem Ton ein Faszinosum zu entdecken. Da Variation zwischen fesselnden Melodien, Gesängen und diese Vehemenz der Schräge machen das Zuhören zu einem spannenden Ereignis. (andreas)