INTERVIEW, TOP THEMA

THIS DROWNING MAN :: Die Leiden der jungen Melancholiker


Auf ihrem zweiten Album begeistern die Hamburger mit einer durchdringen Atmosphäre der Melancholie. Dicht gewobene Soundgerüste voller Wehmut und erhabene Melodielinien weisen Reminiszenzen an The Cure/ The Smiths/ The Chameleons auf. Dazu gesellen sich literarische Texte, welche ein wenig an die Zeit der Romantik erinnern, was auch die Antwort auf die Sozialkritik in den Texten erklären würde. Man kann der Band nur wünschen, dass demnächst mehr Festival/Konzert-Veranstalter auf die Band aufmerksam werden und genügend Zeit übrigbleibt, ein drittes Album zu veröffentlichen.

Ich danke der Band nicht nur für die Beantwortung meiner Fragen, sondern auch für die Zusendung der Alben und vor allem und überhaupt für die wunderschöne Musik, welche mich tief berührt. (andreas)

 

Erstmal Glückwunsch zum grandiosen Zweitwerk. Wo seht ihr die Unterschiede (oder Verbindungen) zum Debüt und wie seid ihr bisher mit den Reaktionen zufrieden?

Veiko:
Danke für deine Rezension. Es freut, wenn sich jemand genauso liebevoll um die Bewertung kümmert, wie die Musiker sich um das Songwriting/Arrangement. Der wesentliche Unterschied zu BIG FAINT LANE besteht, darin, dass bei MELANCHOLIA MY LOVE die gesamte Band zu einem früheren Zeitpunkt in das Songwriting eingebunden war. Dadurch hat die Musik an Reife und Professionalität gewonnen. Wichtig war uns, dass diese bestimmte Stimmung von BFL erhalten bleibt und nicht tot produziert wird. Ich glaube, dass ist uns gut gelungen. Musikalisch und auch textlich schließt MML direkt an BFL an. So gibt es z.B eine textliche Fortsetzung/ Verbindung von Tribute to you zu Melancholie my Love. Die Reaktionen auf das zweite Album waren wirklich äußerst erfreulich: So wählte uns z.B. das Zillo Magazin in seiner Februar-Ausgabe auf Platz 4 der Neuerscheinungen.

Frank:
Das freut uns natürlich sehr, zumal ja bereits bei Big Faint Lane (BFL) eine gute Resonanz vorlag. Das Songwriting erfolgte bei BFL ausschließlich durch Veiko und mich und ist eher soundtrackartig angelegt. Die textliche Umsetzung erfolgt erst später und die Gesangslinien wurden durch Roland ausgestaltet. Im Zuge der Neuveröffentlichung von BFL bei Danse Macabre wurden einige Drum- und Keyboardspuren von Jürgen und Alex neu eingespielt. Bei MML haben wir dann gemeinsam als Band von der Idee bis zum fertigen Song gearbeitet, was sehr gut funktioniert hat.

Jürgen sieht sich selbst als unser rhythmischer Begleiter, der die Ideen mit dem emotional passenden Fundament ergänzt…

Roland:
Alles bestens. Die Reaktionen deuten auf ein drittes Werk hin!!!

 

Euer Album heißt „Melancholia my Love“, die Musik ist sehr melancholisch, welche Bedeutung hat Melancholie für euch und würdet ihr dieses Gefühl als Fundament für eure Kreativität sehen?

Veiko:
Das scheint wirklich eine prägende Haltung aller Bandmitglieder zu sein. Diese Eigenschaft prägt sich vor allem als Ausdruck in der Musik aus. Im „normalen“ Umgang erscheinen die einzelnen Mitglieder sehr locker und wenig in sich gekehrt. So sind die Proben auch immer sehr lustig. Aber wenn’s ans Musik machen geht, kommt eine ganz andere Seite aus uns heraus. Auffällig ist dabei auch, dass die Songs in den einzelnen Entwicklungsstufen immer „düsterer“ werden. Ich habe mich manchmal schon gewundert, was aus einer Songidee von mir als fertiges Stück herauskam. Die Seele der Band kommt sehr gut in der Doppelbedeutung von Big Fait Lane zum Ausdruck: Auf der einen Seite die „große Ohnmachtsstraße“ und auf der anderen Seite die „große Schlappschwanzstraße“. Die tiefe innere Melancholie hat bei uns auch immer eine selbstironische Seite.

Frank:
Ja, durchaus…FAINT hat diese Doppeldeutigkeit. Bei der Verbindung mit LANE bleibt nur die Bedeutung Ohnmachtstraße stehen…mutloser Schwermut, Melancholie ist aber auch die Triebfeder kreativen Schaffens und dient damit auch der Verarbeitung und Überwindung dieses Seelenzustandes.

Roland:
…jedenfalls stehen die Chancen ziemlich schlecht, daß wir mal einen Ballermann-Hit landen

 


Eure Songs handeln von Hoffnungslosigkeit, Leiden an Verhältnissen, Verlusten usw. Wie wichtig ist es, diese Gefühlswelten zu personifizieren?

Veiko:
Das ist für mich schon die große narrative Herausforderung beim Texten, persönliche Erfahrungen und Gefühle auf künstliche Personen/Geschichten zu übertragen. Das schafft, glaube ich, auch erst den Rahmen sein eigenes Innenleben relativ schonungslos nach außen bringen zu können. Die Figuren können aber nur dann authentisch sein, wenn man ihre Grundmotive selbst durchlebt oder emotional begleitet hat.

Frank:
Da stimme ich Veiko zu, sonst wären die Texte auch unglaubwürdig.

Roland:
…man muss schon einiges erlebt haben, um diese Gefühle echt rüberzubringen. Das passt schon zu uns.

 

Wie sozialkritisch sind eure Songs?

Veiko:
Ich habe für MML den Song Under a bright copper skies geschrieben, eigentlich der erste richtige politische Songtext über eine sich selbst abschaffende Gesellschaft der asozialen Marktwirtschaft, die sich ausschließlich über die Kategorie „Produktivität“ definiert. Ich fand ihn (natürlich) super, andere Bandmitglieder finden politische Songs generell superscheiße. Aber dieser Song hat es (leider) nicht nur aus textlichen Gründen auf das Album geschafft. Ich hoffe, dass er es auf ein drittes Album schafft.

Frank:
Der politische Songtext passt nun mal nicht zur Stimmung dieses Albums…

Roland:
…und ich bin ein anderes Bandmitglied 😉

 

In Reviews eurer Alben ist oft von „Pathos“ die Rede. Umgangssprachlich ist er eher kritisch besetzt, bei Aristoteles beschreibt er alle emotionalen Handlungen einer Tragödie, würde also perfekt passen. Wie steht ihr zu diesem Begriff?

Veiko:
Also, das Pathetische ist völlig ungeplant. Auch da tritt ähnlich wie bei der Melancholie wohl etwas beim Musik machen aus uns heraus. Ansonsten bin ich nah bei Aristoteles 🙂

Roland:
Pathos ist für mich was Positives in einer Welt die durch Mainstream und Langeweile bestimmt wird.

 

Was steckt hinter „just buried“ und wie ist die Zeile „You’re just married I’m just buried“ zu verstehen?

Veiko:
Just buried lehnt sich sprachlich natürlich an den feststehenden Ausdruck Just married an. In dem Text geht es um die Erfahrung, dass der/die Partner/in nach einer Trennung scheinbar aufblüht, während man sich selbst im tiefsten emotionalen Loch vergräbt. Ich hatte für das Cover ein schönes Bild im Kopf, das leider nicht realisiert wurde. Ein Leichenwagen mit obligatorischer Hochzeitsaufmachung (angebundenen Dosen usw.) und der Aufschrift JUST BURIED. Wäre auch ein geiles T-Shirt, oder?

 

In „the copycat Thing“ verarbeitet ihr eine Häufung von Suiziden im walisischen Bridgend. Wie seid ihr auf diese Thematik gestoßen und wie gestaltete sich die musikalische und textliche Umsetzung?

Frank:
Die musikalische Idee entstand bereits 2007 unmittelbar nach der Erstveröffentlichung von BFL. Wunderbar wie Veiko dann dieses Thema textlich umgesetzt hat. Live einer meiner Lieblingssongs…

Veiko:
Ich bin relativ zufällig über einen Zeitungsbericht gestolpert und fand diesen modernen Transfer des Werther-Motivs spannend. Ich habe dann mehr journalistisch die britische Presse durchforstet und mir Notizen gemacht. Aus diesem Gerüst bastelte ich dann den Text zu CCT.

 

Wo seht ihr die Gründe für diese Selbstmordserie?

Veiko:
Das ist sehr hypothetisch. Ich glaube, man darf sich aus der Entfernung keine allzu bewertende Meinung anmaßen, dass würde der Tragödie nicht gerecht. Man ist dort schnell bei der „Schuldfrage“ und die ist als Außenstehender in diesem Fall Tabu. Als Lehrer kann ich nur mutmaßen, dass die betreffenden Jugendlichen wohl leider nicht den Werther gelesen haben.

Roland:
Keine Ahnung, unsere Werke gab es da ja noch nicht.

 

Von welchen „November Guests“ verabschiedet ihr euch im gleichnamigen Song?

Veiko:
Die November Guests sind ein Sammelsurium von allen trübseligen Gedanken/Gefühlen, die einem im Herbst anfallen, durchschütteln und wieder ausspucken. Für mich persönlich wahrscheinlich eine Hommage an meinen Vater, der, als ich Jugendlicher war, an einem verregneten Novemberabend überraschend starb und das auf den Monat November bis heute nachwirkt.

 

Gibt es literarische Inspirationsquellen, welche ihr in die Texte einfließen lasst?

Veiko:
My November Guests ist im Ursprung ein Gedicht von Robert Frost, den ich sehr schätze. Zu CCT hab ich mich ja schon geäußert. Ansonsten haben natürlich Romane, Filme etc. Einfluss auf das Schreiben. Ein konkretes Beispiel: Nach dem Studium der Biographie von Mark Burgess (A view from a hill) entstand der oben genannte, nicht erschienene Song Under a bricht copper skies. Der Lektüre entstammen wesentliche Vokabeln und Gedanken, auch die musikalische Umsetzung geriet erfreulicherweise sehr chameleonslastig.

Roland:
…geiles Buch, hab ich auch gerade durch

 

Wie entstand die Idee im Song „Hope machine shop,“ einen Kinderchor zu integrieren und woher kamen die Stimmen?

Veiko:
Die Stimmen gehören zu allen Kindern der Bandmitglieder. Roland´s „Kelly Family“ hat dabei den Schwerpunkt ausgemacht. Einerseits fanden wir die Idee nett, die Kinder miteinzubeziehen, andererseits bekommt die Zeile ‚and there is no tomorrow‘ noch eine ganz andere Schärfe, wenn sie von Kindern gesungen wird.

Roland:
pa, KellyFamily…Fischer-Chöre

 


Wie wichtig ist euch das Cover-Artwork? Bei „Melancholia my Love“ kontrastiert ihr eure schwarz-weiß Fotos mit dezenten Farbvariationen, was steckt dahinter?

Veiko:
Ich bin so mehr der SW-Foto-Typ. Auf meinen Reisen fotografiere ich gern schon unter dem Blickwinkel der Verwertbarkeit für die Band. SW ist für mich die emotionale Reduktion und Verdichtung innerhalb der Fotografie. Das gemalte Frontcover ist von einer befreundeten Berliner Künstlerin. Mit Front/Back -Seite des Covers bin ich nicht so ganz glücklich, die Gestaltung des Booklets ist mehr mein Ding!

Frank:
Das Booklet basiert auf Fotografien von Veiko, die von Alex und mir bearbeitet wurden. Schwarz-Weiß die Reinheit und die Abkehr vom farbenfrohen…wie Veiko sagt eine emotionale Reduktion…die Farben sollen die Fotos verbinden und entsprechen ihren üblichen Bedeutungen unserer christlich-abendländischen Kultur. Das Frontcover steht eher für sich. Ich hatte etwas anderes geplant…

Roland:
Wir sind alle Kinder der 80er… da hatten Cover eine viel größere Bedeutung als heute. Es steckt sehr viel Liebe in unseren Booklets.

 

Live covert ihr „Decades“ von Joy Division. Spielt die Band (der Song) eine besondere Rolle für euch?

Veiko:
Für mich persönlich habe ich Joy Division erst relativ spät entdeckt. In den 80ern fand ich die zu schräg und düster. Geprägt wurde ich in dieser Zeit mehr von anderen Bands, was man meinem Gitarrenspiel glaube ich anmerkt. Bei Decades finde ich es
spannend, dass wir aus dem Song wirklich etwas Eigenes gemacht haben, die Adaption wird dem Original gerecht, hat aber einen typischen TDM-Anstrich bekommen. Das ist uns auch bei Anne Clarks Sleeper in Metropolis gelungen. Leider hat es das Cover auch nicht auf MML geschafft.

Frank:
Unbedingt…das war ein besonderes Anliegen von Roland diesen Song zu covern. Für mich ist Joy Division die beste Band der späten Siebziger und frühen achtziger Jahre und Closer ist unter den TOP-Ten meiner persönlichen Album Charts. ‚Decades‘ passt zu TDM und die Umsetzung macht Live einfach auch Spaß. Der Text ist für mich der Höhepunkt im lyrischen Schaffen von Ian Curtis und ich interpretiere ihn als Hymne der No-Future-Generation.

Roland:
Eine von 5 Scheiben für die einsame Insel (mit Strom und Stereo-Anlage)

 


Welche Bedeutung haben Konzerte für euch und wie schwer ist es, Auftrittsmöglichkeiten zu bekommen?

Veiko:
Natürlich ist neben dem Songwriting das Livespielen das Wichtigste in einer Band. Unsere schönsten Auftritte waren mit Sad Lovers and Giants und A Flock of seagulls. Leider ist es heutzutage wirklich ein Problem geworden, ansprechende Liveauftritte zu bekommen. Da wir alle beruflich und familiär eingespannt sind, sind wir auch nicht so flexibel. Außerdem ist die Club- und Festivalszene relativ geschlossen. Kaum noch jemand geht das wirtschaftliche Risiko ein, eine weniger bekannte Band auf die Bühne zu stellen. Auch die Musikwirtschaft zerbricht unter dem Diktat des reinen Produktivitätsdenkens.

Frank:
Stimmt!

Roland:
Genau!

 

Wie sehen eure musikalischen Pläne für die Zukunft aus?

Veiko:
Wir erhoffen uns in Zukunft eine möglichst regelmäßige Bühnenpräsenz mit Auftritten auf Festivals und im Zusammenschluss mit alten 80er Ikonen. Und die Herausforderung eines dritten Albums ist natürlich auch groß. Spannendes neues Songmaterial ist auf jeden Fall schon wieder vorhanden.

Roland:
mehr Pathos, mehr Gitarrensolos 😉
… mal im Ernst, ich hoffe, dass dieses Projekt noch sehr lange in dieser Konstellation zusammenarbeitet, weil es einfach harmoniert.

Frank:
Noch mehr Delay;)…