LIVEBERICHT

ROTORMANIA 2014 :: Entspannung pur


auf dem Feld der Weisheit an einem Wochenende, an dem die Sterne günstig stehen
Text & Fotos (c) Chris Fischer

Da ich im zunehmenden Alter dazu tendiere, Selbstgespräche zu führen, liegt nichts näher, als meine Gedanken zum ROTORMANIA 2014 in einem fiktiven Interview mit meinem Alter Ego Graf Rotz zu reflektieren…

Chris, du bist gerade vom ROTORMANIA-Festival wiedergekommen… wie war es?
Erst einmal: vielen Dank, lieber Graf Rotz, für dieses Selbstgespräch.

Es war großartig! Im Gegensatz zum letzten Jahr hat auch der Wettergott ein Einsehen gehabt und das Campinggelände mal nicht geflutet. Aufgrund der Wechselhaftigkeit war es zwar immer ein Rein und Raus, aber im Prinzip war es perfektes Festivalwetter…

Rein und Raus? Das klingt aber mächtig nach Orgie…?
Nee, nee… rein ins Zelt wenn die Husche kam, raus aussem Zelt wenn die Sonne strahlte. Nicht ganz abwegig, dass der eine oder die andere da auch was angestellt hat, aber ich meinte eigentlich das Wetter…
Leider hatten wir etwas wenig Bier dabei, aber dieser Mangel wird im nächsten Jahr nicht noch einmal vorkommen.

Du warst vom ROTORMANIA 2013 extrem begeistert und hast ständig alle Leute damit zugequatscht. Konnte die 2014er Auflage deine Erwartungen erfüllen?
Mehr als das! Was die Organisatoren dort auf die Beine gestellt haben, sucht schlicht und ergreifend seinesgleichen. Das Gelände und die Location ist perfekt, die Bands allesamt von erlesener Qualität, die Verpflegungssituation kann man am Besten mit „Futtern wie bei Muttern“ bezeichnen. Ich meine, wo findet man schon ein Festival, bei dem frische Speisen von den Bands, deren Freunden und vielen fleißigen Helfern frisch auf den nichtvorhandenen Tisch gebracht werden?! Suppe, Backkartoffeln, Bratwurst, Quarkspeisen… alles frisch und mit Liebe gemacht. Du hättest mal die Backkartoffel sehen sollen: in einem 4-Sterne-Restaurant wird sie nicht liebevoller angerichtet! Das war groß.

Jaja, Fressen läuft, aber was geht mit dem flüssigen Brot?
Die Getränke waren auch ausreichend vorhanden und wurden zu sehr fairen Preisen angeboten… mein persönlicher Höhe- und gleichzeitig Tiefpunkt war der „Mexikaner“. Ein selbst angesetztes Getränk aus u.a. Tomatensaft, Tabasco und Raketentreibstoff, welches garantiert dafür gesorgt hat, dass ich das Dixie einmal mehr aufsuchen musste, als geplant. Dieser Nektar Gottes hat die Schläuche so richtig blank gemacht.

Wo wir gerade beim Thema Ausscheidungswettkämpfe sind: Wer immer dafür gesorgt hat, dass die Latrine auch am Sonntag morgen noch geglänzt hat und immer genug Klopapier vorhanden war, wird meinerseits hiermit für den Ehrenpreis des Deutschen Latrinenverbandes vorgeschlagen! Bei der Verleihung der „Goldenen Bürste an Spülkette“ werde ich die Laudatio halten. Kein Witz, das war großartig.

Fressen, saufen, kacken… ist ja wie zu Hause, aber es gab auch Musik auf die Ohren?
Die Organisatoren haben wieder einmal ein besonderes Geschick bewiesen und verschiedene Stile harmonisch zu einem großen Ganzen verwoben. Dieses Jahr konnte man sich auch auf die Running Order verlassen, denn sie musste nicht einmal verändert werden, wenn man davon absieht, dass man noch mit Edding den Auftritt von ROTOR ergänzt hat. Muss ein sehr entspanntes Festival für die Veranstalter gewesen sein, im Vergleich zum letzten Jahr…

Welche Bands waren denn nun am Start und hat die eine Band irgendwie beeindruckt?
Beeindruckt hat mich jede Band, die ich gesehen habe. Ohne die Leistungen der anderen Band in irgend einer Weise schmälern zu wollen: meine ganz persönlichen Highlights waren in order of appearance:

MANTAR: ein B.R.E.T.T.! Einfach nur monumentale Musik… MANTAR sind zwei wilde Tiere, die nur aus dem Käfig gelassen werden, wenn sie auf eine Bühne müssen. Dort fühlen sie sich wohl und fallen auch keine Menschen an, wenn sie Instrumente vor sich haben, ansonsten kann man für nichts garantieren. In freier Wildbahn wäre ich sehr vorsichtig… Gerüchten zufolge bekommen die beiden nach jedem Gig eine lebende Ziege als Gage… die haben sie sich auf dem ROTORMANIA aber redlich verdient, denn die Energie, die die beiden verströmen ist gigantisch. Ihr Black Doom Punk aus dem hohen Norden lässt die kleine Bühne erzittern und die große Leistung bestand darin, das Publikum auf seine dunkle Seite zu ziehen. Anfangs wurden sie eher etwas irritiert angeschaut, denn ihre Musik fällt schon etwas aus dem Rahmen des Festivals, aber mit zunehmender Spielzeit knackt man die Zuschauer und die „Zugabe“-Rufe nehmen kein Ende.

Erinc (d) hat seine Ziege sicher schon vor dem Gig verputzt, denn er verprügelt seine Snare so derbe, dass sie einfach platzt. MANTAR ist halt rohe Gewalt in Musik transformiert, aber da Krach machen allein noch nicht cool ist, zünden die Songs des Debüts „Death by burning“ ohne Ende. Das ist ein fetter Auftritt gewesen! FACEBOOK

Die OPERATORS gewinnen mein Herz durch Enthusiasmus. Diese Band zeigt, dass man auf der Bühne steht, um Spaß zu haben und allein Konni (k), Eggat (v), Säsh (d), Dän (b), Jacky (g) und Dirk (g) bei dem Gig zuzuschauen, sorgt sofort für gute Laune. Wer eine so wohlklingende Monsterorgel spielt, hat bei mir sowieso schon gewonnen! Ihre Musik ist ein Potpourri aus allem, was der Rock’n’Roll von den 60er Jahren bis heute zu bieten hat und zwischen straighten Rockern und psychedelischen Stücken findet jeder einen Track, den er im Ohr behält und munter vor sich hinsummt. Die aktuelle CD „Contact high“ werde ich mir auf jeden Fall mal zulegen müssen. FACEBOOK

Das dritte Mal COOGANS BLUFF, das dritte Mal eine andere Besetzung, aber der (für mich) beste Gig der Band, was irgendwie auch daran liegen mag, dass die Atmosphäre vor der kleinen Bühne, der eines verschwitzten Clubs am nächsten kommt. In „kleiner“ Besetzung mit Max (sax), Charlie (d), Willi (g) und Clemens (b, v) gibt die Band von Anfang an Vollgas. Zu meiner unbeschreiblichen Freude zockt man viele Songs des aktuellen Smash-Hits „Gettin‘ dizzy“ und auch mein absoluter Lieblingstrack „Too late“ kommt in einer grandiosen Liveversion von der Bühne heruntergeweht. Ich habe es im CD-Review bereits gesagt und wiederhole es auch hier: das ist K.U.N.S.T.! Schweinegeil! Aber auch „Beefheart“, „Why did you talk“, „Her tears“ rocken heute wie Sau und ich ziehe meinen Hut vor dem verdammt geilen Auftritt und dem armen Max, der sich bei den Backgroundvocals immer so tief bücken muss… FACEBOOK

Als bekennender Doomhead freute ich mich auf IRON WALRUS, von denen ich vorher nicht viel kannte, aber nun eine LP zu Hause habe. Warum? Weil der Gig geil war! IRON WALRUS bringen eine optische Komponente auf dem Festival ein, denn die Band, außer Sänger Aufi, hat ihre Walross-Sturmhauben aufgezogen und mittels Videoprojektionen laufen Szenen aus den bekanntesten, beliebtesten Horrorfilmen und andere verstörende Bilder… sehr geil! Die Mucke ist einfach nur mächtig. An manchen Stellen fühle ich mich dezent an CROWBAR oder EYEHATEGOD erinnert, aber auch traditionellere Sounds wie ST. VITUS und Konsorten wabern schön langsam (meistens) aus den Boxen. Fett. „Erdbeermund“ ist so ein Kleinod, welches sich zu hören lohnt, hat man doch die Kinski-Interpretation von Villons Gedicht (und ich glaube zwei anderen Gedichten) wunderbar dynamisch vertont. Ich freue mich, dass diese Band für das ROTORMANIA gebucht wurde, auch wenn es sicher nicht jedermanns Geschmack gewesen sein dürfte. FACEBOOK

ROTOR wurden im Vorfeld nicht angekündigt, aber ein ROTORmania ohne ROTOR ist wie Saufen ohne Kater. Die Band hatte bereits auf dem letzten ROTORMANIA während des Gigs einen zweiten Gitarristen dazu geholt und diesmal hat sich von Anfang an mit Martin an der zweiten Klampfe verstärkt, was für den druckvollen ROTOR-Sound eine absolute Bereicherung darstellt. Der Neuzugang strahlt vor sich hin, während er zusammen mit der Band den typischen ROTOR-Groove entfacht, der mich besonders anmacht, wenn man das Tempo anzieht.

Der Platz vor der Bühne ist zu nachtschlafender Zeit (ca. 0:00h) komplett gefüllt und alle haben sich auf die Band gefreut und keiner wird enttäuscht. OK, eine Extrazugabe muss leider ausfallen, da man in der Besetzung das erste mal rockt, aber der Weg ist das Ziel und dieser Weg war keinesfalls steinig, sondern gesäumt von bunten ROTORblumen. Starker Auftritt der Band und ein mehr als würdiger Abschluss dieses grandiosen Wochenendes! NICHT FACEBOOK

Irgendwie bin ich in Preisverleihungslaune und vergebe den aus Gras geflochtenen WOODSTOCK-Award an die All-Star-Combo DIE ACTION IST GO, bei der Timo und Stevie (beide u.a. DxBxSx), Milan (ROTOR), Willi (COOGANS BLUFF) und Jens Freudenberg (BELLA WRECK) einen FU MANCHU-Gedächtnisgottesdienst abhalten. Zur Freude aller Anwesenden findet der Gig am Samstag um 14 Uhr auf dem Campingplatz statt. Das ist extrem cool und das ganze Ambiente des Gigs ist an Entspanntheit nicht mehr zu überbieten. Scott Reeder wäre stolz gewesen, darf aber nicht mitspielen… Der Sound knallte zwar irgendwie etwas zerrissen aus den Boxen, aber das hat der Stimmung keinen Abbruch getan. Da kam tatsächlich etwas wie Woodstock-Feeling auf…

Was war mit den anderen Bands?
Die waren ebenfalls alle gut… kein Langweiler dabei, nur echte Musik von echten Typen… ROTORMANIA eben!

Von NEUME, HEAT, VAN URST habe ich leider zu wenig gesehen oder gehört, um ein Urteil abzugeben,

aber irgendwann muss man ja auch Chillen, Saufen und Quatschen.

Über MANDALA haben sich alle gefreut. Der Ruf ist der Band voraus geeilt und auch wenn die Band als ALA DNAM angekündigt war, machte schnell die Runde, dass MANDALA das Festival rocken werden. Und das haben sie. Ihr fetter Stoner Rock groovt und bollert und Sänger Christoph hat eine Stimme irgendwo zwischen Chris Cornell und Dave Wyndorf… sehr geil! FACEBOOK

Die SONIC BEAT EXPLOSION zelebriert 60s Garage-Rock mit ordentlich Dampf unter der Motorhaube und ist gar nicht so weit entfernt von den OPERATORS, wenngleich hier mehr Garage und britische Wurzeln durchschimmern. Im Herbst soll ein neues Album folgen, also Augen und Ohren auf! FACEBOOK

TURBINE STOLLPRONA ist der erste Band am Samstag und die erste Band, die Logengäste hat. Zwei Fans, die die Band unbedingt sehen wollen, nehmen sich zwei Stühle und setzen sich in die dritte Reihe, meckern aber nicht wie Waldorf und Stattler, sondern genießen… der Stoner Rock wird mit atmosphärischen Vocals veredelt, die über den Kompositionen schweben und man hinterlässt einen sehr guten Eindruck! Introvertiert und doch aussagekräftig. FACEBOOK

ATOMIC PEAT sorgen für eine akkurate Stoner Metal-Vollbedienung und gingen uns so richtig geil ins Ohr, vor allem die geilen Soli und der gute Gesang sorgen für einen ordentlichen Wohlfühlfaktor… da müssen unbedingt mal dranbleiben! FACEBOOK

OBELYSKKH waren eine weitere Doomband, die irgendwo zwischen dreckigem Doom, psychedelischen Trips und bleierner Schwere agieren. Ich steh drauf und das ist gut so, aber alle BLACK SABBATH-Jünger werden sich mit dem Material der Band ziemlich problemlos vertraut machen können. Als Premiere hat man heute Cosmic Martin mit ins Boot geholt, der für die Synthesizer zuständig ist und die Synthesizer-Sounds sorgen für eine spannende Tiefe, inklusive Vogelgezwitscher! FACEBOOK

Ich will gar nicht wissen, wobei Timo Tolkmitt (v, g) und Till Trenkel (d) sich BLUTIGE KNIE geholt haben, aber so heißt die 2-Mann-Band… gepflegter Krach, mitunter englische Texte und viel Energie, die an alte Garagenpunkbands erinnert. Timo überzeugt an der Gitarre und Gesang und Till ist eine Augenweide an den Drums: voller Energie verdrischt er die Felle, langt ab und zu mal ordentlich daneben, aber die Attitüde stimmt und ich sollte mal das Demotape (!!!) anchecken. Wie sagt die Band so schön: „Live im Proberaum schön Mono und schön dreckig!“ Da kann ich nichts mehr ergänzen… FACEBOOK

Die Festivals werden immer größer, bunter und müssen neben der Musik auch Attraktionen bieten, die das Fußvolk bei Laune hält… was hatte das ROTORMANIA in diesem Bereich auf der Pfanne?
Das ROTORMANIA hatte neben der guten Musik, Verpflegung, Location vor allem eines zu bieten: coole Menschen. Wenn Festivals meinen, dass sie die Leute mit Kettenkarussell oder Bungeeturm oder ähnlichen Firlefanz unterhalten müssen, ist das traurig. Beim ROTORMANIA unterhält man sich selbst. Nämlich miteinander! Verrückt, oder?! Da ich das Wochenende keinen Handyempfang hätte, dürfte dieses Wochenende als eines der entspannendsten Wochenenden seit dem ROTORMANIA 2013 in meine Lebensgeschichte eingehen.

Ich bin auch wirklich happy, einige bekannte Gesichter wieder getroffen zu haben: hiermit gehen meine herzlichen Grüße u.a. an Sebi, Timo, Angel, Stevie, Missu…! Dazu kommen die neuen Bekanntschaften: Olli, Paule, Martin und Anna… fühlt euch geherzt… es war eine Ehre, eure Nachbarn zu sein bzw. euch die Zeit zu stehlen! Meldet euch mal, falls es euch in den Sinn kommt!

Es muss doch was geben, was dich am ROTORMANIA 2014 enttäuscht hat?
Ja, ich bin mächtig enttäuscht, dass das Wochenende den Weg alles Irdischen gegangen ist. Sonntag morgen war ich so enttäuscht, dass es vorbei ist, dass man mich beinahe operativ vom Campingplatz entfernen musste. Es fällt nach so einem grandiosen Wochenende extrem schwer, sich wieder in den Alltag zu integrieren… aber nach dem ROTORMANIA ist ja auch vor dem ROTORMANIA und wir freuen uns schon auf das nächste Jahr.