LEO HÖRT RAUSCHEN
„Modern Modern“
(Post Punk / Neo Wave / Indie)
Wertung: Empfehlung!
VÖ: 24.04.2015
Label: Chateau Lala
Die Dresdener Formation gründete sich 2011, veröffentlichte zwei Jahre später mit „100 Jahre Freizeit“ eine erste EP. Seit Mai gibt es nun das Debütalbum (als LP (!), CD und download). Ein Sound, der alte Semester zurückführt in die 80er und Erinnerungen wach werden lassen, an Bands wie Fehlfarben, Scherben, EA 80, DAF. Ein aus Minimalistik geborener Kraftakt, dessen Spiel mit Dunkelheit ebenso gelungen ist wie die Texte (bzw. Textfragmente). Poesie trifft auf Propaganda, Lyrik umarmt die Parole.
Der Opener „Hinterlassenschaften“ überzeugt mit puristischem, rohen Post Punk. Wörter und Halbsätze werden von Sänger in die Gehirnwindungen der geneigten Hörer geschrien. Ein leerblasen sozusagen, ein freimachen zur Aufnahme. Der Refrain als monotonierte Wiederholungsmaschinerie mit passendem Wortspiel. Das folgende „Angst“ ist von seiner Darbietung her, ein wenig lakonischer und wirkt irgendwie introvertiert. Flirrende Saiten, scheppernde Drums, verspielter Bass legen den Teppich für die gesungene Wunschliste.
Dann muß man es einfach wirken lassen: „an der Wand das Gesicht, der Denunziant ist der Verstand“. Ein kurzer Liebreiz der Romantik beherbergt das Intro von „Komplimente“, man geht über in melodische Eleganz mit inkludierter Hookline. Ein kleines Schlagzeugsolo als Break, bevor Curesker Charme aus der Three imaginary Boys Zeit aufblitzt und in einem jamigen Finale stürzen die Harmonien übereinander. „Muster“ erklingt mit schleppenden Drums, während der Bass an Simon Gallup erinnert. Das Gesamtkonstrukt ist von einer sterilen Kühle unterwandert, welche auch textlich an die Oberfläche dringt. Der Refrain nötigt sich zu punkigen Ausbrüchen, während die Strophen von eine bedrückten Stimmung leben. Hier erinnert man am stärksten an die glorreichen EA 80.
Großstadtpoesie, gepflückt auf den Industrieplantagen dieser Welt beherbergt „Kunst“ („Die Kunst ist Tod“, Nietzsche hätte hier ein „und wir haben sie getötet“ folgen lassen. Leo formiert die Maschinen als des Kaisers neue Kleider). Erneut ein reduziertes Juwel, dessen gedämpfte Brachialität einem krachigen Intermezzo gleicht. Die Atmosphäre ergötzt sich ihrer kühlen Stringenz. Ein klangspektrales Farbenspiel aus Grau und Schwarz voller percussionierter Rhythmik stellt „Ostsee“ dar. Der beschwörende Gesang ist geprägt von abwesender Tagträumerei.
Ein ganz besonderes Kleinod ist „Salz“, ein Song der mit seinen über 12 Minuten eine fast phobische Stimmung erzeugt und in Phasen an frühe Neubauten erinnert.
Fazit: Die Zeitreise wird zur Zeitschleife, die Moderne trifft auf Tradition bzw. Modernes bleibt in Bewegung und reißt die Traditionen ein („Glassplitter“). Leo hört Rauschen besitzt dieses Faible für die frühen 80er und verschmelzen dabei Bands wie Fehlfarben und Joy Division. Hinzu kommen dezente Shoegaze-Anteile und eine Lyrik, deren begrenzte, dadaistische Eleganz zum verbalen Kopfkino inthronisiert wird. (andreas)