Live in der Garage in Peine am 04.02.2012
(Fotos by Chris)
Wenn man ab und an unsere Gazette liest, ist es durchaus möglich, dass man schon einmal mitbekommen hat, wie unendlich gut CHÄIRWALK und das letzte Album „Top 10“ ist (u.a. steht es so in meinen Top 13 des Jahres 2011 und diesem Review geschrieben). Da lag es auf der Hand, mal zu gucken, wo die Hamburger Jungs so spielen und mein Straßenatlas hat mir verraten, dass Peine nur eine gute Stunde von meinem Sofa entfernt ist. Also werden die Hühner gesattelt und wir machen uns nach einer gemütlichen Runde Bundesliga auf in den Norden. Die Garage in Peine ist wieder so ein Laden, bei dem ich totärgern könnte. Nee, nicht weil wir uns dort nicht wohlfühlen würde, sondern weil er soweit von zuhause weg ist! Eine Livemusik-Kneipe mit Stil und ich ertappe mich mehrmals dabei, wie ich Kathi frage, warum wir so einen Laden nicht bei uns um die Ecke haben. Also, Daumen hoch für Location und Crew!
Im Internet stand irgendwas von 20h, also machen wir uns pünktlich auf und sind sogar schon um 19h da, um uns eine guten Platz vor der Bühne zu sichern. Wir sind da und die Bands. Und die Bedienung. Und der DJ. Naja, die nächsten Stunden verbringe ich mit bangen Blicken zur Tür und der Hoffnung, dass die Peiner bald mal zahlreich vorbeischauen. Zum Glück erbarmen sich die CHÄIRWALK-Jungs unser und wir haben spannende Gespräche über Gott und die Welt und ich darf Erik höchstpersönlich mitteilen, wie stark ich die Mucke und Texte finde und wie und warum mich so mancher Text so extrem berührt hat. Aber irgendwann hat die schönste Arschkriecherei ein Ende und es ist bedauerlich, dass ich so schlecht vorbereitet bin und das Gespräch nicht gleich als Interview mitgeschnitten habe, denn so könntet ihr auch in den Genuss des Gesprächs kommen und erleben können, wessen Geistes Kind die Band ist. Aber um das herauszufinden bedarf es nicht viel: schaut mal, wo die Jungs am Wochenende zocken, fahrt hin, nehmt möglichst viele Freunde mit und sprecht mit den Jungs. Ihr werdet es nicht bereuen. Ach ja, zieht euch möglichst abgefahrene Bandshirts an, denn heute Abend bekommen Gäste in Peine mit ausgefallenen Bandshirts ermäßigten Eintritt. Aber vielleicht sind es beim nächsten Mal nicht die Bandshirts, sondern Perücken, angeklebte Bärte oder Wiesel im Schlüpfer. Also, seid vorbereitet, wenn ihr in Strömen zu einem CHÄIRWALK-Gig pilgert.
Ich wäre aber ziemlich doof, wenn ich euch nicht gleich noch von BABY LOU erzählen würde. Die Band aus Saarbrücken („an der Seine“, Zitat Sänger Marco) legt los und der Eindruck, den ich im Vorfeld über einige YouTube-Videos gewonnen habe, manifestiert sich: noch während der Show ergreift mich Panik, wie ich die Musik der Band beschreiben soll. Aber ein Mix aus Punk, Hardcore, progressivem Irgendwas, Alternative, Emo und „false Metal“ (schon wieder ein Zitat), latenter Geisteskrankheit und Ignoranz bezüglich irgendwelcher Genregrenzen macht das Spiel. Womit die Band dich aber begeistern wird, ist die Energie. E.N.E.R.G.I.E.! Bassist Florian geht einfach nur steil und sorgt mit seinen Backingvocals für den Hardcore-touch, der mir ganz schnell Zugang zur Band verschafft. Neben den beiden trommelt sich bommelbemützt der Oliver durch den Set und unterstützt werden die drei von Lou Pod, einem nicht-humanoiden Androiden, der manche Backingtracks übernimmt. Ich könnte raten, welche Songs sie in den ca. 40 Minuten gezockt haben, aber das wäre mehr Schein, als Sein und daher beschränke ich mich bei meiner folgenden Lobhudelei auf die Nennung des abgedrehten Songs „Fresh water in a dirty glass“, der dir den Sack richtig langzieht und mir richtig gut runtergeht und den absolut grandiosen fast-Rausschmeißer „The Old Fire“: Gefühl und Energie, ruhige Flächen verbunden mit starken Vocals, sowas mag ich. Da kann auch der kleine Popsong namens „Mr. Woodworm“ nicht mehr dran ändern und somit mag ich auch den Auftritt, die Band und den Abend soweit. (Und die gekaufte Platte offenbart mir am nächsten Tag auch die anderen Tracks, die gezockt wurden, aber wie gesagt, ich will ja nicht mit später erworbenem Wissen glänzen. Aber damit angeben, dass ich Vinyl höre.).
Die Songs, die CHÄIRWALK dann nach einer kleinen Pause zocken, erkenne ich aber sofort und bin sehr erfreut, dass die Band sich in während des Auftritts zum Großteil auf ihre „Top Ten“-Songs beschränkt, auch wenn das vielleicht als Unhöflichkeit bezüglich ihres jahreslangen Schaffens gewertet werden könnte. Aber mit „Elke“ (nein, keine ÄRZTE-Coverversion) und „Kiss“ (vielleicht eine Hommage an die Band?) kommen olle Kamellen als Zugaben zum Zuge und killen musikalisch ebenfalls. Aber der Weg zum Ende des Konzerts ist gespickt mit neun Songs des letzten Albums, welche auch noch in der „richtigen“ Reihenfolge der CD gespielt werden. Für sowas warten METALLICA 20 Jahre…aber naja. Lediglich „Federn“ fehlt oder ich habe es nicht mitbekommen, aber Hits wie die kritische Selbstbetrachtung „Am Stück“, das Lied über körperliche Liebe (oder den Weg dahin) „Attacke!“ oder „Laune“ führen zum starken „Schmied“, bei dem der harmonische Gesang (vielleicht lassen QUEEN hier grüßen) und die Dynamik aus leise und laut perfekt sitzen. Die Backingvocals werden von Janny (Bass) und Tim (Drums) übernommen und so verleiht man dem Bandsound, der vielleicht irgendwo zwischen TOOL, KYUSS und Hamburger Schule (Abschlussklasse) liegt, eine gewisse Tiefe.
Kommen wir nach den ersten vier Hits zu einem meiner absoluten Alltime-Faves, den Janny „nicht geschrieben hat, nachdem er stundenlang KYUSS gehört hat“, nämlich „Nicht ich“. Musik und Text machen das Ding zu einem Volltreffer und das Timing sitzt perfekt, was bei den auf den Punkt gebrachten Riffs und Beats zwingend notwendig ist.
Aber wenn man während des Gigs mal Drummer Tim etwas genauer beobachtet, wird man feststellen, dass ein einfacher Beat hier beinahe unterrepräsentiert zu sein scheint, denn für die Rhythmen, die er trommelt, benötigen andere vier Arme. Großes Tennis!
Aber wo ich schon angefangen habe, individuelle Stärken zu beschreiben, mache ich gleich bei Janny weiter, der bewegungsfreudig die Basssaiten bearbeitet und der heute zum ersten Mal „auf zehn“ spielt, dabei dachte ich dachte immer, „all men play on ten“?! Sänger und Gitarrist Erik liefert den Beleg dafür, dass er, seit dem er auf deutsch textet, auch fühlt, was er singt und singt, was er fühlt. Die Texte kommen authentisch und ehrlich und das ist bei einer Show schon die halbe Miete. Die monsterfetten Riffs und die Action, die er abliefert, sind eines guten Frontmannes würdig und die Kommunikation mit den jetzt vielleicht 30 Gästen, die er sich mit Janny teilt, ist unterhaltsam und sympathisch. Running Gag des Abends ist die Setlist, die nicht ausliegt, sich aber neben diversen Einkaufs- und Erinnerungszetteln in der Hosentasche von Janny wiederfindet, der dann gerne verliest, was als nächstes kommt. Und dass er Cervelatwurst braucht und die Steuererklärung abgeben muss.
„Splitter“, der Epic-Track „6 Richtungen“ und die Hitsingle „Ich kotz gleich“ führen zu dem herbeigesehnt und doch gefürchteten „Du fehlst“. Die „Powerballade“ gibt es heute im „Härte-Mix“, was dem Song eine neue Facette gibt, aber nichts von seiner Macht nimmt. Manchmal muss man sich den Emotionen einfach stellen. Nach den genannten Zugaben (und vielleicht noch dem einen oder anderen Stück) ist dann Feierabend und ich muss 141Records-Labelchef Tim Strybny zitieren, der mir mal folgendes sagte „…und live sind die noch geiler! Schade, dass das die wenigsten Leute sehen und sich nicht dafür interessieren.“. Tja, dieses Zitat beschließt den Bericht doch ganz würdig, oder nicht? Die beiden Bands haben jedenfalls eindrucksvoll bewiesen, dass sie keine langweiligen Dienstleister sind, sondern Rock′n′Roll-Bands mit Leib und Seele.
Den Abend beschließen wir mit Shopping und Smalltalk und einer gemütlichen Fahrt nach Hause inklusive eines klassischen John Sinclair-Hörspiels (Tonstudio Braun, natürlich).
CHÄIRWALK und BABY LOU stehen nach diesem Abend auf meiner „Muss ich mir unbedingt noch drölf Mal angucken“-Liste ganz weit oben. Bis denne!
Mein Dank geht heute an die Garagen-Crew, Tim von 141Records, CHÄIRWALK und BABY LOU und besonders an Erik für seine Zeit und alles. (chris)
P.S.: Heutzutage geht ja nichts ohne Bonusmaterial…hier habt ihr zwei Schnipsel vom Gig in garantiert doofer Qualität, schrecklicher (oder experimenteller) Kameraführung und überhaupt:
Baby Lou in der Garage in Peine