Live in der AWD-Halle in Hannover am 04.12.2012
(c) Fotos & Text: Chris
Oh ja, wer mich kennt, wird wissen, dass ANTHRAX meine erste richtige Liebe im Metal waren und es aus nostalgischen Gründen, aber auch weil sie überwiegend geniale Musik machen, auch heute noch sind. Als dann irgendwann feststand, dass sie mit MOTÖRHEAD nach Hannover kommen, konnte ich meine Freude kaum im Zaum halten.
ANTHRAX, so sehr ich sie musikalisch schätze, haben in den letzten Jahren viele Entscheidungen getroffen, die für Kopfschütteln in der Szene sorgten und auch die Tatsache, dass sie jetzt erstmals in Deutschland touren, nachdem „Worship Music“ bereits im September 2011 das Licht der Welt erblickte (von wenigen Festivalgigs mal abgesehen), ist eher schwer nachvollziehbar, war Deutschland doch immer ein wichtiges Standbein für die Band. Die Qualität des aktuellen Longplayers ist eher durchwachsen bis ungewohnt mittelmäßig, aber wenigstens hat man mit „Fight ′em till you can′t“, „Earth on hell“ und „The devil you know“ drei neue Klassiker geschrieben. Aufgrund all dieser Umstände hatte ich natürlich Hoffnung, dass ANTHRAX die Promomaschine mit Vollgas reiten, aber egal wie sehr ich mich um ein Interview bemühte, es hieß von der Plattenfirma nur, dass es keine Interviews für uns geben wird. Who the fuck is Amboss? Naja, muss man seinen Stolz wohl runterschlucken und dennoch werde ich euch berichten, wie die New Yorker sich heute in der AWD-Halle in Hannover schlagen.
Den Opener machen aber erstmal DIARIES OF A HERO, die musikalisch eher in die ANTHRAX-, als in die MOTÖRHEAD-Richtung tendieren und spielen Metal, mal thrashig, mal etwas traditioneller, aber immer mit dem Hang zur Melodie, was live aber nicht so stark ausgeprägt ist, wie bei den Songs, die man im Netz hören kann. Am auffälligsten ist der Drummer, der es technisch gut draufhat und bei seinem kleinen Drumsolo sehr unterhaltsam trommelt. Musikalisch kann ich mir das auf einem Gig gut geben, aber viel mehr, als ein Anheizer sind die Burschen heute für mich nicht.
Das Line-Up mit Scott Ian, Rob Caggiano, Frank Bello und Joey Belladonna betritt zum Intro die Bühne. Die Tatsache, dass die Band mal wieder mit einem Gastmusiker auftritt, in diesem Falle wird Drummer Charlie Benante von John Dette ersetzt, steigert die Vorfreude auch nicht gerade. Aber pünktlich um 19.45h ertönt das Intro und was dann in den nächsten 60 Minuten passiert, übertrifft meine kühnsten Erwartungen. Klar, dass ANTHRAX eine starke Liveband ist, ist bekannt, aber so gut habe ich sie selten gesehen. Scott Ian ist der Rhythmusklampfengott schlechthin und wäre ich ein Leadgitarrist, wäre ich gerne wie Rob Caggiano, denn seine Leads und Soli haben eine ganz besondere Klasse und er ist einer der Gitarristen, die man anhand ihrer Soli defintiv erkennen kann. Frank Bello ist der Inbegriff der Liveaction, ständig bangt und rennt er über die Bühne, animiert die gut besetzten Ränge zum Mitmachen und singt sich die Seele aus dem Leib. Und dann Joey Belladonna. Ich habe ihn früher immer für etwas arrogant gehalten, aber seine Entertainer-Qualitäten, die er heute an den Tag legt, könnten ihn kaum sympathischer machen. Ständig ist er mit seinem Markenzeichen, dem halben Mikrofonständer, in Bewegung, bringt die Fans zum Mitsingen und -klatschen und seine Ansagen sind unterhaltsam und klasse. Dass er als einziger nach dem Gig noch auf der Bühne bleibt, um a capella mit den Fans „Long live Rock’n’Roll“ anzustimmen und sich diebisch freut, wenn alle mitsingen, zeigt mir, dass er die Zeit auf der Bühne genießt. Seine Gesangsperformance ist so, wie man sie sich als alter ANTHRAX-Fan wünscht: energiegeladen, genau und gefühlvoll. Respekt, Herr Belladonna, das ist ein starker Auftritt.
Die Songauswahl ist gut gelungen und der Einstieg mit einem alten Klassiker („Caught in a mosh“) und einem neuen Hit („Fight ‚em till you can’t“) und dem ersten Mitsingsong des Abends („Antisocial“) perfekt gewählt. Nach dem folgenden „Indians“, welches sich seit Jahrzehnten durch Joeys Federkopfschmuck und dem monstermäßigen „Wardance“-Teil auszeichnet, käme theoretisch mein Tiefpunkt des Gigs: „In the End“ vom aktuellen Longplayer „Worship Music“. Die Nummer klingt immer noch mehr nach FAITH NO MORE, als nach ANTHRAX, aber für diesen Song werden die riesigen Pentagramm-Backdrops überhängt mit stilvollen Ronnie James Dio und Dimebag Darrel-Portraits und der Song wird ihnen gewidmet. Schwacher Song, aber starke Attitüde der Band und tolle Stimmung im Publikum! „Gänsehautfeeling pur“, wie unsere Steffi sagen würde. Mit dem „Deathrider“ geht es zur Einweisung ins „Madhouse“ (inklusive JUDAS PRIEST-Huldigung zu Beginn des Songs), wo wir dann viel Zeit haben. Bei „Got the time“ gibt es die Textzeile „tickin‘ in my head“ und irgendwie haben die Jungs von DIARIES OF A HERO da was missverstanden, denn zu jedem Refrain des Songs kommen sie mit „chicken on my head“ auf die Bühne. Sie haben Gottlieb Wendehals-Gedächtnis-Gummihühnchen auf Hüten befestigt und freuen sich wie kleine Kinder, als sie immer wieder auf die Bühne kommen. ANTHRAX machen den Spaß natürlich mit und irgendwie hat man das Gefühl, es ist Ende der 80er und die Metal-Welt voll in Ordnung! Die beiden letzten Songs „The Devil you know“ und das fett abgefeierte „I am the law“ machen nach 60 Minuten den Deckel drauf und fertig ist die Kiste.
Und ganz ehrlich: der Auftritt war ’ne runde Sache. Thrash Metal, wie er sein muss, ohne Wenn und Aber. Da ich ja seit mittlerweile 23 Jahren ’ne Fanbrille aufhabe, ist es klar, dass ich das sage, aber auch viele andere sind heute Abend der Meinung, dass der Auftritt sehr geil war. Überhaupt hat mich das Publikum sehr überrascht, denn es ist tierisch abgegangen und hat wirklich am Gig teilgenommen. Hut ab vor der Band und den Fans!
Nachdem ich 2009 den MOTÖR-Hattrick hinlegen konnte, habe ich die Band nun drei Jahre nicht mehr gesehen und entsprechend groß ist die Vorfreude, Lemmy, Phil und Mikkey wieder auf der Bühne zu sehen. Nach zahlreichen Live-CDs/DVDs ist es doch was anderes, die Band Live und in Farbe auf der Bühne zu erleben.
Heute haben sich fast 5000 Fans versammelt, um die Legende abzufeiern, aber der Soundmischer von MOTÖRHEAD hat heute allerdings einen verdammt miesen Tag. Für den Fall, dass Lemmy und Co. den Ruf als lauteste Band der Welt erneuern wollen, haben sie vergessen, dass laut nicht gleich gut ist. Laut kann auch beschissen sein. So wie heute Abend. Die tiefen Frequenzen ballern dir einen Soundmatsch um die Ohren, dass die manchen Song nur erraten kannst und inklusive Lemmys Gesang ist das völlig übersteuert. Muss das sein? Hört der Herr am Mischpult sowas nicht? Viele von uns haben es gehört und beklagen sich wegen des schlechten Sounds. Bei ANTHRAX und sogar DIARIES OF A HERO war der Sound doch vollkommen in Ordnung…
Phils Gitarre sticht vielleicht ein wenig heraus, aber wenn Mikkey Dee die Doublebass-Triggermaschine anwirft und Lemmy dazu knarzt, machen sogar Lieblingssongs wie „Going to Brazil“ keinen Spaß. Ganz gut kommt „You better run“, denn bei dem langsamen Song wird nicht so geballert. Und wenn sogar das in „The One to sing the blues“ eingebaute, obligatorische Drumsolo Erholung für die Ohren bedeutet und man beim wiedereinsetzen des Stücken merkt, wie fies der Sound ist, stimmt definitiv was nicht.
Geil anzusehen ist (vor allem beim Drumsolo) die Lichtshow, die Akzente setzt, allerdings auch keine Neuerungen bietet und wer die Band schon mal leibhaftig auf der Bühne oder via DVD vom Sofa aus bewundert hat, weiß, was ihn erwartet. Showeinlagen hat man seit Jahren oder vielleicht auch noch nie bei MOTÖRHEAD gesehen, wenn man von dem Bomber-Modell mal absieht, also gibt es auch aus dieser Perspektive heute nicht viel neues zu berichten.
Die Bierbecher, die heute fleißig auf die Bühne geworfen werden (!!!), können aber ursprünglich nichts mit dem Sound zu tun gehabt haben, denn die ersten Becher Richtung Lemmy fliegen bereits bei den ersten Tönen des Openers „I know how to die“! Im Laufe der ersten drei Songs fliegen dann mehrere Wurfgeschosse Richtung Bühne und Lemmy findet das gar nicht lustig. Am Ende des Gigs gibt es eine längere Gesprächspause, in der Lemmy ziemlich deutlich macht, was er von den becherwerfenden Sissies hält und ziemlich früh wird der letzte Song angekündigt. Schönen Dank auch. Vielleicht hätten die umstehenden Leute dem Werfer ganz dezent auf die Fresse hauen sollen, geschadet hätte es dem respektlosen Hirni auf jeden Fall nicht.
Als Besonderheit hat man eine Coverversion in die Setlist aufgenommen, nämlich „Are you ready“ von THIN LIZZY, aber ob er in der MOTÖRHEADschen Version auch rockt, geht etwas unter. Ansonsten gibt es natürlich die üblichen Verdächtigen „Ace of Spades“, „Overkill“, „Stay clean“, „Over the Top“, „Metropolis“, „The chase is better than the catch“ und „Killed by Death“. Besonders geil ist allerdings der Track „Rock it“ vom „Another perfect day“-Album, vielleicht, weil er mir nicht sehr gegenwärtig war.
Was bleibt ist ein MOTÖRHEAD-Gig, der leider nicht in die Annalen der Konzerthighlights der Menschheitsgeschichte eingehen wird. Mit besserem Sound hätte er für ein Licht an dunklen Dezember-Tagen gesorgt, aber so können wir uns noch länger an den genialen ANTHRAX-Auftritt erinnern!
Meine Grüße gehen an Mark von Netinfect (Danke für deine Unterstützung), Carsten von Hannover Concerts (auch wenn ich nicht glücklich darüber bin, nach dem Gig meine geliebte und vom Munde abgesparte Kamera in der Asservatenkammer parken zu müssen) und Lars von Music-Pics (schön, dich wiedergesehen zu haben und danke für die Aufnahme in den Club der Grabenluder….den Pin trage ich mit stolz an meiner Kutte). (chris)
Weblinks:
Motörhead
Anthrax
Diaries of a Hero
AWD Halle Hannover