LIVEBERICHT

PADDY’S FUNERAL + MERRY-GO-ROUND :: Paddy’s Mummenschanz


Live im Exil in Göttingen am 25.02.2017

Text & Fotos © Chris
Fotogalerie: a Face in the Crowd

Wie das heutzutage so ist, kann man seine Freizeit mit vielen Betätigungen verbringen und die Vorfreude auf das Konzert war seit Wochen groß; dann kommt einiges dazwischen und eigentlich will ich mich nur auf meiner Couch verkriechen und überlege ernsthaft, ob ich wirklich die Energie habe, heute Abend länger als bis 21 Uhr die Augen offen zu halten. Aber dann geben wir uns einen Ruck und machen uns auf den Weg in das neue Exil in Göttingen und allein der erste Eindruck der Location entschädigt und bestätigt die Entscheidung.

Ohne Frage, das „alte“ Exil in der Stadt war Kult, aber das „neue“ Exil knüpft nahtlos an. Ein gemütlich eingerichtetes Raucherzimmer mit Bar lädt zum Verweilen ein und der Konzertsaal ist einfach klasse: die Bühne ist breit, dafür ist die Tanzfläche eher klein, aber nach hinten raus gibt es zwei weitere, höhere Ebenen, durch die man immer einen tollen Blick auf die Bühne hat. Diese ist mit feinster LED-Lichttechnik ausgestattet, damit man auch visuell nichts verpasst. Akustisch ist heute Abend auch alles erste Sahne, denn bei beiden Gigs kann man alle Instrumente heraushören, was besonders bei PADDY’S FUNERAL ein Wonne ist, denn die Geige ist ein Instrument, welches auf der Bühne gerne mal untergeht. Somit geht der erste Applaus des Abends eindeutig an das EXIL.

Den Anfang machen die sympathischen Jungs von MERRY-GO-ROUND aus Göttingen. Die stylisch in schwarz-orange gekleidete Band spielt feinen Ska; da ich in diesem Metier beinahe ausschließlich von THE MIGHTY MIGHTY BOSSTONES erzogen wurde, freut es mich, dass einige Songs tatsächlich dezent nach der kommerzielleren Phase der Band klingen, vor allen, wenn man das Tempo erhöht. Die anderen Songs haben einen deutlichen Popappeal, was mich persönlich nicht zwingend zum Tanzen animiert; wobei das auch schon ein echtes Wunder wäre, wenn ich mal den Tanzbären gebe. Das überlasse ich aus Sicherheitsgründen lieber den anderen, die mal mehr, mal weniger im Takt zahlreich auf der Tanzfläche abzappeln.

Die Band ist aber in einer guten Verfassung, auch wenn man erzählt, dass man eigentlich momentan ein neues Album aufnimmt und lediglich auf Einladung von PADDY’S FUNERAL die Bühne entert. Es macht Spaß der gut eingespielten Formation zuzuschauen, denn jeder Bläsereinsatz sitzt, die Gitarren klingen geil und der Rhythmus geht tatsächlich in die Beine. Auch wenn es meinen persönlichen Geschmack nicht 100%ig trifft, freue ich mich über die Bläserfraktion, die deutlich mehr als Ein-Ton-Getröte draufhat und ordentlich abrockt.

Nach einem Getränk und einer Kippe (es könnten allerdings auch von beiden zwei oder drei gewesen sein) wird bald ausgiebig das neue Album von PADDY’S FUNERAL namens „We don’t serve Clowns“ gefeiert. Stilecht im Sinne des Albumtitels hat man sich clownesk geschminkt und auch sonst sind die Auftritte von PADDY’S FUNERAL wie gewohnt mit allerlei Schabernack durchzogen. Ich war schon bei meinem Review zur neuen Scheibe mit Lob nicht geizig und das mehrfache Hören, nachdem das Review online war, hat mich bestätigt, dass das Album in seinem Facettenreichtum ein extrem gelungenes ist. Daher ist es mir auch eine Freude, dass die Band einen Großteil der Songs heute zelebriert und bevor ich alle Songs einzeln aufzähle, gibt es hier mal die amüsante Setlist:

Wie für den geneigten Fan zu erkennen ist, sind die ersten neun Songs auch auf dem neuen Album dabei und das schöne ist, dass sie live ihren Drive und Groove nicht verlieren, sondern verdammt geil klingen. Bei „Farbfilm“ lässt es sich das ehemalige Bandmitglied Grischa (jetzt bei ÜBERGANG) nicht nehmen, sich den Gesang mit Lisa zu teilen, was richtig Spaß macht. Spaß hat auch Lisa, die höchstschwanger (wenn es nur noch etwas mehr als zwei Wochen bis zur Entbindung dauert und man noch ordentlich rockt, reicht „hochschwanger“ nicht mehr aus) vor allem mit ihrer Geige und ihrer Stimme Akzente zu setzen vermag.

Großen Respekt für diesen Einsatz und daher sind auch die Schwangerschaftspinkelpausen entschuldigt, hahaha. Die Darbietung von „Dirty old town“ ist, wie auch auf der neuen Scheibe, wirklich gelungen; tolle Version.

Besonders fällt mir heute Levent an den Drums auf, der so hart drischt, dass es eine Freude ist; vielleicht ist es mir früher nicht aufgefallen, aber sein Schlagzeugspiel degradiert andere Irish-Folk-Punk-Drummer heute nahezu. Die Energie, die Fills, der Groove… das hat mich heute sehr beeindruckt. Bassisten sind ja meistens die stillen Personen, aber Sebastian, der immer vor sich hinlächelt, pumpt mitunter wirklich geile Basslinien raus und Jan ist der geborene Frontmann und ein wirklich guter Gitarrist, wie die Fans vor der Bühne heute mehrfach erleben dürfen und da nimmt man ihm auch den missglückten Gag nicht krumm, der mehr Geld für die Kanarienvögel fordert. Missglückt ist der Gag allerdings nur, weil das „Refugees welcome“-Banner dem Druck der Musik nicht gewachsen war und von der Wand fiel.

Heute ist so ein Tag, da lässt man auch mal Freunde ran und neben dem bereits erwähnten Grischa kommen Sille und Mikey (beide ebenfalls ÜBERGANG) an der Gitarre für einige Songs auf die Bühne und verleihen den Songs noch eine Portion Bums. Bei der extended Version vom „Drunken Sailor“ werden Nackedeis auf die Bühne gebeten, aber vielleicht hätte es bei „Whiskey“ zwei Schnäpse pro Kopf geben müssen, damit die Hemmungen fallen, aber schlussendlich finden sich halbnackte und auch einige völlig unnackte auch der Bühne ein, um den strammen Matrosen zu wecken. Bei der „Polka“ lässt es sich Jan nicht nehmen, gitarrespielend durch das Publikum zu spazieren, um sich einer alten Göttinger Tradition folgend auf die Bar zu stellen und weiterzuspielen; allerdings offenbart das einen groben baulichen Mangel am neuen Exil, denn der arme Jan muss sich arg kleinmachen, um sich nicht die Rübe zu stoßen.

Geile Musik, eine großartige Location inklusive großartigem Licht und Sound, eine überaus spielfreudige Truppe, Gastmusiker, Schabernack… dieser Gig hat so richtig Spaß gemacht und das ist es doch, worauf es ankommt. Dafür ist PADDY’S FUNERAL immer ein Garant und auch an diesem Abend wurde die Entscheidung, nicht auf dem Sofa zu verschimmeln, durch diesen unterhaltsamen Auftritt belohnt. Das Schimmeln wird jetzt nachgeholt… (chris)