Live am 14.03.2017 in der Musikkantine in Augsburg
(Text & Bilder von Stefan)
Erfreulicherweise tritt die Rocklegende NEW MODEL ARMY seit einigen Jahren regelmäßig in der Musikkantine in Augsburg auf. Am 14. März war es wieder soweit: Justin Sullivan und seine Mannen gastierten in dem Club auf dem ehemaligen Militärgelände, um mit Empathie, Weisheit und Zorn die zahlreichen Missstände der Welt anzuprangern.
Kurz nach 21 Uhr betritt NMA unter großem Jubel die Bühne. Das Konzert ist gut besucht. Die Raumkapazität von 600 Leuten scheint fast ausgeschöpft. Gestartet wird mit dem rauen Rockstampfer „R&R“. Ein guter Auftakt, der Lust auf mehr macht. Im Anschluss gibt es „Winter“ zu hören, den sehnsuchtsvoll klingenden Titelsong des neuen Albums (Review hier lesen). Es ist einfach genial, wie bei diesem Song die verschiedenen Stimmungsbilder zu einem herrlichen Gesamtwerk zusammengefasst werden. Und da NMA bekanntlich eine erstklassige Live-Band ist, überrascht es nicht, dass „Winter“ live noch besser als auf Platte klingt.
Danach wird ein besonders aggressiver NMA-Klassiker in den Raum gepeitscht: „Here Comes The War“. Die politische Botschaft des Songs ist leider noch immer höchst aktuell. Denn hier wird schonungslos beschrieben, in welch hohem Maß menschliche Dummheit dafür verantwortlich ist, dass wir in einer Welt leben, die von Ausbeutung, Hass, Hunger, Gewalt und Krieg geprägt ist. Sicher: Wer glaubt, dass der Mensch die Krone der Schöpfung ist, wird diesen wutschnaubenden Protestsong meiden wie der Teufel das Weihwasser. Doch das Publikum feiert diese klanggewordene Anklage euphorisch: Der markerschütternde Refrain wird lautstark mitgebrüllt. Und der bei NMA-Konzerten obligatorische Pogo-Knäul erhält ordentlich Zulauf.
Bald folgt „The Charge“ – ein faszinierender Mid-Tempo-Song vom grandiosen Album „Thunder And Consolation“. Beim nächsten Lied geht es wieder sehr temporeich und brutal zur Sache, denn jetzt knallt „Angry Planet“ aus den Boxen. Auch live zeigt sich, dass dies einer der besten und härtesten NMA-Songs des neuen Jahrtausends ist. Weltanschaulich schlägt „Angry Planet“ in die gleiche Kerbe wie „Here Comes The War“: Auch hier wird die Erde als ein Ort des Grauens dargestellt.
Dann ist es Zeit für den stärksten Song des neuen Albums: „Born Feral“. Sullivan kündigt das Lied mit den Worten an, dass hier die Lage eines todgeweihten Menschen beschrieben wird, der sich bereits in der Übergangswelt zwischen Leben und Tod befindet. Sullivan fügt hinzu, dass er hofft, dass keiner der Anwesenden bald in dieser Lage sein wird. Nicht nur aus der Konserve, sondern auch live begeistert „Born Feral“ gewaltig. Der atmosphärische Wechsel zwischen den Strophen und dem Refrain ist absolut fesselnd. Und die Liveversion bietet sogar einen Bonus: Hier schreit sich Sullivan auch im Schlussteil die Seele aus dem Leib. In der Studioversion ist der
Schlussteil mit der wilden Perkussion-Rhythmik rein instrumental gestaltet.
Bislang war das Konzert ein Gewaltritt, aber nun wird das Tempo deutlich gedrosselt. Die balladesk klingenden Lieder „No Pain“, „Higher Wall“ und „Did You Make It Save?“ zaubern eine melancholische Stimmung, die zutiefst berührt. Im Anschluss gibt die Band wieder ordentlich Gas: Das dramatische „Burn The Castle“ wird herrlich druckvoll in den Raum gewuchtet. Noch schwungvoller wird es beim übernächsten Song, denn jetzt kommt der Knaller „51st State“ zum Einsatz. Klar, bei diesem USA-kritischen Song ist die Begeisterung wegen der aktuellen Lage besonders groß. Schließlich versucht der Horrorclown Trump gerade mit erstaunlicher Skrupellosigkeit, den zivilisierten Teil der Menschheit in Angst und Schrecken zu versetzen. Tatsächlich passt das Lied zur derzeitigen Lage wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge.
Dann folgt ein weiterer Höhepunkt: Das magische „Between Dog And Wolf“ ertönt, der Titelsong des wundervollen Albums von 2013. Und wieder gelingt NMA das Kunststück, dass die Liveversion noch packender als die Studioversion klingt. Unter anderem liegt das daran, dass live der Refrain von einer wild aufheulenden Gitarre begleitet wird. Dieses dramatische Klangelement fehlt bei der Studioversion.
Zum Abschluss des regulären Sets darf man sich an der Urgewalt von „Get Me Out“ erfreuen. Der Song ist ein großartiger Energie- und Wutausbruch. Wahrscheinlich ist dies der wildeste und temporeichste NMA-Song. Der zügellose klangliche Charakter entspricht perfekt der textlichen Aussage, denn diese lautet: Die Welt ist ein Irrenhaus. Und verantwortlich dafür sind die vielen geldgierigen Horrorclowns. Ständig sind sie bemüht, anderen Menschen das Leben zur Hölle zu machen. Am Ende dieser Klangoffenbarung gibt es tosenden Applaus, trotzdem verschwindet NMA für eine Verschnaufpause hinter der Bühne. Natürlich verlangen die Fans vehement eine Zugabe. Zum Glück dauert es nicht lange, bis NMA wieder die Bühne entert. Der Nachschlag besteht aus den Krachern „Stormclouds“ und „Poison Street“. Es wird also weitergeknüppelt, allerdings etwas weniger heftig.
Dann verschwindet NMA erneut hinter der Bühne. Wieder fordern die Fans voller Inbrunst eine Zugabe. Auch diese Zugabe wird freudig gewährt, und zwar indem das hochdramatische „I Love The World“ gespielt wird. Der Song wird leidenschaftlich gefeiert. Kein Wunder, denn „I Love The World“ strotzt vor Genialität. Jeder einzelne Ton ist eine Offenbarung. Tatsächlich ist das Lied eine überwältigende künstlerische Machtdemonstration: Stets hat man das Gefühl, dass sich hier eine Kraft und Weisheit entfaltet, die den ganzen Wahnsinn unserer Welt vortrefflich beschreibt. Und dann geschieht es – das Wunder: Trotz des apokalyptischen Stimmungsbildes zeigt sich auch eine Haltung des Widerstands. Diese Widerstandshaltung ist im Werk von NMA immer wieder erkennbar. Nicht zuletzt diese Haltung ist es, die die Musik von NMA so wertvoll macht. Es ist die Haltung, dass es trotz des ganzen Irrsinns Ideale gibt, für die es sich zu leben und zu kämpfen lohnt. Und wer das Werk von NMA kennt, der weiß, dass dies humanistische und ökologische Ideale sind.
Das grandiose Konzert endet gegen 22.45 Uhr. Songauswahl, Klangqualität, Publikum – alles war wunderbar. Selten habe ich Musiker erlebt, deren Spiel so präzise aufeinander abgestimmt war. Es ist höchst eindrucksvoll, was für tolle Künstler Sullivan, der ja bekanntlich das einzig verbliebene Gründungsmitglied der Band ist, zurzeit um sich geschart hat. Seit den 1980er Jahren habe ich NMA unzählige Male live erlebt – und mir scheint, dass sich die Band gerade auf einem Höhepunkt ihres Schaffens befindet. Tatsächlich strahlt das spirituelle Feuer dieser Ausnahmeband seit ein paar Jahren wieder besonders stark.
Heute Abend hat sich wieder gezeigt: NMA-Konzerte sind Kraftorte höchster Intensität. Diese Konzerte gleichen einer rituellen Feier. Es ist ein tragisches und kämpferisches Lebensgefühl, das bei diesen Feiern gewürdigt wird. Die Würdigung und das Ausleben dieses Gefühls führen zu einer seelischen Befreiung. Durch die Musik von NMA wird machtvoll offenbart, wie die Welt wirklich ist. Da diese Offenbarung bei Konzerten gemeinsam zelebriert wird, entsteht ein faszinierendes Gemeinschaftsgefühl.
Es sind viele schöne Details, die zum Identifikationsrahmen von NMA gehören: Etwa das Gegen-Rechts-Banner auf der Bühne. Oder der Umstand, dass am Merchandising-Stand regelmäßig Geld für hilfsbedürftige Menschen gesammelt wird. Auch ist es erfreulich, dass NMA mittlerweile ein generationsübergreifendes Phänomen geworden ist. Neben den altgedienten Fans gibt es auch viele junge Leute, die die Band großartig finden. Das alles bildet ein mächtiges Bollwerk gegen die bösen Geister dieser Welt. In diese Bastion kann das ignorante Heile-Welt-Geschwafel der dekadenten Konsumgesellschaft nicht eindringen. Hoffentlich bietet NEW MODEL ARMY noch viele Jahre Schutz vor dem Wahnsinn der Welt.