Live im Vinyl-Reservat in Göttingen am 01.04.2015
Text & Fotos © Chris
Weblinks: HERCULES PROPAGANDA, Vinyl-Reservat
Was für ein Kuddelmuddel… einige Tage vor dem ersten April kommt die Nachricht, dass die mächtigen HERCULES PROPAGANDA mit ihrem Gigantenrock das Vinyl-Reservat heimsuchen werden. Aprilscherz?! Egal, denn das Vinyl-Reservat wäre auch so mal wieder fällig, von uns besucht zu werden, ist es doch der einzige mir bekannte Schallplattenladen, der ohne Kurzurlaub zu erreichen ist. Die Auswahl dort ist ebenfalls sehr gut und von (Classic) Rock über Metal und Bauchtanzmusik wird jeder, der noch einen Schallplattenspieler sein Eigen nennt, fündig. Beinahe hätte Niklas uns noch einen Strich durch die Rechnung gemacht, aber die Bahn trotzt dem windigen Gesellen und bringt uns ruck-zuck nach Göttingen. Ich glaube, ich bin noch nie in unserer Region mit dem Zug zum Konzert gefahren und anschließend wieder zurück… es macht sich tatsächlich so etwas wie Großstadtfeeling breit. Allerdings startet der Gig ja auch bereits um 18 Uhr und da ist es sogar auf dem Dorf nicht sooo schwierig, wieder nach Hause zu kommen.
Als wir am Vinyl-Reservat ankommen, können wir endgültig sicher sein, dass es sich nicht um einen Aprilscherz handelt, denn der Soundcheck ist in vollem Gange… feine Sache! Die Band hat ihr Equipment vor der Eingangstür aufgebaut und die Fans stehen herrlich relaxt zwischen den tausenden von Platten. Um kurz nach Sechs geht die Sause dann auch los und Fritze (v, g), Acki (b) und Andi (d, bv) betreten die Bühne… ach nee, die gibt′s ja gar nicht… ok, sie betreten halt ihren Platz. Wer noch nie HERCULES PROPAGANDA gehört hat, dem sei gesagt, dass es sich bei dem Trio um eine Band handelt, die Hard Rock / Heavy Metal mit Einflüssen aus Classic und bedingt Okkult Rock der Siebziger und Achtziger zockt, der vor Energie nur so sprüht… Gigantenrock, halt. Wenn VANDERBUYST demnächst in Rente gehen, TURBONEGRO nur noch ein Schatten ihrer selbst sind, JIMI HENDRIX wohl nicht von den Toten auferstehen wird und BLUE ÖYSTER CULT auch nicht mehr sind, was sie mal waren, haben wir HERCULES PROPAGANDA.
Vor einer Handvoll begeisterter Fans geben die drei auch komplett Vollgas und servieren auch Songs vom demnächst erscheinenden Album. „We gonna rock together“, „Like a Sandra“ (kleiner Gag)… ich meine natürlich „Like a Thunder“ heizen ein und der Sound ist sehr geil und griffig; der Mangel, dass der Gesang von Fritze etwas zu leise ist, wird schnell korrigiert. Jetzt, nach zwei Songs, ist bereits klar, dass die Jungs keine Gefangenen machen und spielen, als wäre Luzifer höchstpersönlich hinter ihnen her. Aber der soll erst später kommen…
Die ersten Headbanger erscheinen bei „Motörpriest“ auf der Bildfläche, „Hunter & Collector“ ist wie gemacht für eine Darbietung im einem Plattenladen und „Scream for Action“ ist der Bringer: sehr eingängig und räudig und geil! „Electric Diva“ ist etwas für die funky Freaks unter uns, aber diese Liveversion kommt heute so verdammt stark, weil Fritze sich an der Gitarre austobt und eine sensationelle Attitüde hinlegt, die man seit den großen 80er-Jahre-Stadion-Shows nicht erlebt hat. Andererseits waren die garantiert auch immer einstudiert und hier und heute habe ich das Gefühl zu sehen, worum es beim Musikmachen geht… Emotionen, rocken bis der Arzt kommt, alles geben, ab und zu mal schiefen Ton einschieben, drauf scheißen, ob man gerade die Wembley Arena oder das Vinyl-Reservat zum Kochen bringt… das ist die Quintessenz des Rocks! Wie versprochen kommt auch noch „Luzifer“ zu Besuch und Fritze hofft, dass wir nach diesem spirituellen Erlebnis nicht allein schlafen müssen… Erst dachte ich, „Luzifer“ sei der Nachfolger von den „Children of Satan“, aber beim Genuss der ersten EP erkenne ich, dass die Kinder die Nachfahren sind… ist ja auch irgendwie logisch. Der Vorfahr heißt auf Scheibe allerdings „Summoning the devil“… sorry, wollte mal klugscheißen.
Aber wo wir schon beim Thema sind: DEEP PURPLE spielen „Child in Time“ nicht mehr, Kathi schreit sich auf jedem MOTÖRHEAD-Gig nach „Orgasmatron“ heiser, BOB DYLAN spielt seine Songs so, dass man sie bestenfalls am Refrain erkennt (und da auch nur an den Worten und nicht der Melodie), METALLICA lassen auf Konzerten per sms-Voting für 49 Cent abstimmen, welche Zugabe gespielt wird und egal, wie oft ich für „Phantom Lord“ simse, sie spielen irgendeinen B-Track der schwarzen Scheibe und TENACIOUS D rocken den Deibel zu Grunde und bekommen nur noch einen „Tribute“ zustande… aber das Schlimmste ist,
a) wenn das Bier alle ist und
b) dass HERCULES PROPAGANDA ihren Überhit, ihr „Hotel California“, ihr „Stairway to heaven“, ihr „Free bird“ namens „Children of Satan“ nicht spielen. Dieser okkulte Metalmeilenstein, der VENOM und THE DEVIL′S BLOOD gleichermaßen zu ihrer Karriere inspiriert haben dürfte, kommt einfach nicht… so kurz vor den wichtigsten christlichen Feiertagen eigentlich eine nette Geste. Später erzählt mir Andi, dass der Song live atmosphärisch einfach nicht so gut funktioniert, wie im Studio und das akzeptiert man gerne als Entschuldigung, denn ich hätte während des Songs nicht weniger als Ziegenköpfe, Blutregen, schwarze Kerzen und ein Menschenopfer erwartet und so werde ich nicht noch mehr enttäuscht, denn an genialen Songs und ausufernden Gitarrenparts mangelt es heute Abend wahrlich nicht.
Nach dem regulären Gig fordert uns Andi noch auf nach Zugaben zu rufen und wir bekommen mit „Oh Baby Yeah“ und „Hercules Propaganda“ zwei musikalische Betthupferl spendiert, bevor wir in den Schneeregen entlassen werden.
Ich habe es schon einmal erwähnt, aber dieser flotte Abend hat gezeigt, worum es bei der Musik gehen sollte: Spaß, Energie, unkompliziert, aber enthusiastisch abrocken. Danke Vinyl-Reservat! Danke Andi, Fritze und Acki! (chris)