LIVEBERICHT

CHÄIRWALK + DxBxSx :: Hesse trifft Bukowski


Live im Grünen Jäger in Hamburg am 27.03.2013

Treffen sich Hermann Hesse und Charles Bukowski. Sagt Hesse: „Schau nur der schöne Hain. Wie erquickend, in der Natur zu rasten und Inspirationen aufzusaugen.“ Antwortet Bukowski: „Willste auch mal ziehen?“

Meine beiden deutschen Lieblingsbands fernab des Massengeschmacks tun sich zusammen, um den Grünen Jäger in Hamburg zu rocken. Die Legende besagt, dass der Amboss indirekt als Bindeglied und unbewusster Vermittler zwischen CHÄIRWALK und DxBxSx fungiert haben soll, aber das vermag ich nur wiederzugeben und nicht zwingend zu bestätigen, wäre die Ehre doch wohl zu groß. Fakt ist aber, dass der Gig uns ohne großes nachdenken dazu nötigt, etwas Urlaub zu nehmen und nach Hamburg zu reisen, um beim Gipfeltreffen dabei zu sein.

Der Grüne Jäger ist ein kleiner Club, der ziemlich unscheinbar an einer großen Straße liegt. So unscheinbar, dass wir am Nachmittag erstmal dran vorbei schlendern, ohne ihn wahrzunehmen, was abends zu einer Spinal Tap-artigen Suchaktion führt und auch wenn wir ihn in ca. 5 Minuten vom Hotel aus erreicht hätten, sind wir unbedeutend länger in der kalten Winterluft unterwegs. Drinnen ist er allerdings urgemütlich, mit schöner Theke, kleinem Konzertraum und einer wirklich coolen Atmosphäre.

Beide Bands haben erst auf den zweiten Blick einiges gemeinsam: die Texte sind persönlich, ehrlich und intensiv, aktivieren allerdings verschiedene Areale in meinem Hirn.
Die Stärke CHÄIRWALKs liegt auf der persönlichen, selbstreflektorischen Ebene, also eher introvertiert und das eigene Gefühlsleben in den Fokus rückend. Sie versprühen dabei eine gewisse Hamburger Eleganz, die ihre „krummen Beats“ (Zitat Erik) mit lesenswerten Texten versieht.

Die Texte von DxBxSx sind eher aus den Alltagsbeobachtungen geboren, die uns täglich umgeben und sie pfeffern uns die gesellschaftlichen Klischees nur so um die Ohren. Die Berliner wählen aber gänzlich andere Waffen, denn sie teilen uns laut, hart und direkt mit, was sie beobachten und was so passiert in der Republik. Und das alles mit einer unnachahmlichen Berliner Schnauze, die nicht für Weicheier geschaffen ist und naturgemäß einen ganz anderen Ton anschlägt, wie die norddeutsche Zurückhaltung.

Wer aber ähnlich schizophren wie ich ist und nach der Lektüre eines alten Klassikers über die Kleingeistigkeit der sogenannten Gesellschaft abkotzen kann, trifft sich heute halt im Grünen Jäger. Das sind auch einige Leute, aber gerade die DxBxSx-Fanfraktion wird vielleicht durch das gleichzeitig stattfindende ST. VITUS-Konzert dezimiert. Aber dann haben die halt was verpasst.

Den Abend läuten heute CHÄIRWALK ein, die als guter Gastgeber den Gästen aus der Hauptstadt den späteren Slot der Double-Headlining-Extravaganza einräumen. Aber egal in welcher Reihenfolge, das musikalische Kontrastprogramm funktioniert in beide Richtungen. CHÄIRWALK betreten geschminkt die Bühne und mit verschmierten Gesichtern oder der Joker-Gedächtnis-Schminke legt man gleich ordentlich los. Es ist mein drittes Mal, dass ich die Band sehen kann und immer wieder kann ich mich sowohl an den Songs erfreuen, als auch an dem Spaß, den man auf der Bühne beobachten kann. Die Kommunikation klappt und gemeinsam zockt man sich durch den ca. einstündigen Gig. Nachdem man mit „Splitter“ und „Am Stück“ vom noch aktuellen Album „Top Ten“ startet, geht es mit „Kiss“ und „Duck my Sick“ zurück in die älteren Tage. Dann allerdings folgt ein neuer Track „Nein, nein, nein“, der nach dem ersten Höreneindruck sehr geil ins Ohr geht und der erste Song seit mehreren Jahren sein soll, was sie in eine Ecke mit TOOL zu rücken vermag, wie Erik meint. TOOL ist auch immer wieder ein guter Anhaltspunkt, wenn es um den Stil geht, allerdings mischt man TOOL mit einer ordentlichen Portion Alternative und Stoner Rock, um das ganze nicht so düster und abgefahren klingen zu lassen. „Elke“ ist der letzte ältere Songs, bevor es mit „Attacke“, „Schmied“ und „Nicht ich“ weitergeht. Bei „Schmied“ spielt Erik allerdings schon „Nicht ich“ an, woraufhin er zugeben muss, dass alle CHÄIRWALK-Songs eh nur aus zwei Noten bestehen. Das ist wohl das Geheimnis des Erfolges…den Hörer nicht überfordern und immer was Bekanntes bringen. Durchschaut! „Ich kotz′ gleich“ ist dann schon der letzte Song der Band und die erste Strophe übernimmt Janny Only, bevor Erik einsetzt. Die Band, die bald ihr 20jähriges Jubiläum feiern darf hat heute hervorragend gerockt, wie man an den Reaktionen der Fans deutlich ablesen kann. Feine Sache und die Reise hat sich jetzt schon für uns gelohnt.

Was die Show allerdings auf visueller Ebene aus dem Untergrund hinaussprengt, ist die wahrlich große, beinah überdimensionierte Lichtshow von Hanno, der mit seinen LEDs für eine starke Lichtstimmung sorgt und die Songs ziemlich gut untermalt. Ich muss sagen, dass ich für so ein kleines Konzert noch nie so eine professionelle Lichtshow gesehen habe. Dafür haben für die Strahler ein Leuchten auf die Netzhaut gebeamt, von dem ich heute noch was habe. Aber das war im Vorfeld nicht zu erwarten und in diesem Rahmen was Besonderes.

Noch während wir draußen einen Plausch mit alten und neuen Bekannten halten, fangen drinnen nach kurzer Zeit die Gitarren zu schreien an und es wird Zeit für Hauptstadt-Schweinerock a la DxBxSx. Der Einstieg mit „Wir sind DxBxSx aus Berlin“ ist Motörhead-typisch gut gewählt, aber einer muss natürlich fragen „Aus welcher Stadt?“…das aktiviert ruckzuck Angels „Alfred Tetzlaff-Gen“ und im Online-Duden kann man neben dem Begriff „Motzen“ sicherlich einen Videomitschnitt von der Szene sehen. Sehr geil! Aber was in dem leider nur einstündigen Gig folgt, ist die absolute Vollbedienung. Ist die Band auf Tape, Platte oder CD eine absolute Granate, liefern sie live so richtig amtlich ab. Die Musik braucht die brachiale Liveenergie, um auch die letzte Ebene zu erschließen. Drummer Steven zieht nach wenigen Songs das Hemd aus und Bassist Timo ist einfach nicht zu halten. Ständig ist er in Bewegung, bangt, post und ballert mit dem Bass eventuelle Soundlöcher hammerhart zu. Es ist wieder so eine Band, die den Bass als vollwertiges Instrument nutzt und ab und an bekomme ich den Eindruck, dass neben den STOOGES und RAMONES auch BLACK SABBATH Einzug halten. Außerdem fällt mir manchmal auf, dass er auf der Bühne abgeht wie Anno Dunnemal Cliff Burton. Ob′s an den Haaren oder der Action liegt, keine Ahnung, aber geil ist es auf jeden Fall. Angel ist gut drauf und neben dem Gesang meistert er die geilen Riffs und Soli in bester Manier.

Auf dem Bergfest der kleinen Tour ist man gut eingespielt und schafft es, die Leute noch mehr aus der Reserve zu locken, als es bei CHÄIRWALK der Fall war. Neben den „Zugriff“-Klassikern „Liebesgrüße aus Neukölln“ und „Die Ex von Otto“ konzentriert man sich auf die neue Scheibe „Ihr! Alle! Immer!“ und kann mit „Ihr! Alle! Immer!“, „Tick, Tick, Tack“, „Panik schieben“, „Action Monika“, „Sie werden sagen“, „It′s so Berghain“ voll und ganz punkten. Mein heimlicher Lieblingssong „120 Ruhepuls“ darf auch nicht fehlen und macht einfach nur glücklich. Bei „Hartz IV oder Superstar“ wird sogar das Glücksrad des Lebens auf die Bühne geholt und während Timo und Steven weiterzocken, fordert Angel die Leute auf ihr Glück zu versuchen. Als Belohnung winken lecker Getränkedosen DxBxSx-Style.

Beim letzten Song „Fressen, schlafen, Glotze an“ werden am Schluss Gitarre und Bass abgestellt und nach und nach Stevens Drumkit abgebaut, während er den Beat immer weiterhämmert, bis alles weg ist. Geile Sache, macht Spaß und aufgeräumt hat man auch schon.

Leider ist, wie bereits gesagt, bereits nach ca. 60 Minuten Feierabend und die Hobby-Ökonomen unter unseren Lesern werden wohl bestreiten, dass 6 Stunden Zugfahrt für 2 Stunden Konzert wirtschaftlich erscheinen, aber der Abend ist ja noch nicht rum. Der restliche Abend gleicht eigentlich einer Wiedersehensfeier mit alten (und neuen) Freunden und die Bands hängen solange im Club mit den Leuten ab, bis der Wirt uns rausschmeißt. Es werden wirklich nette Gespräche geführt und nach anfänglichem herantasten, habe ich den Eindruck, dass man noch viel mehr zu bequatschen hätte, wenn der Wirt uns nicht vor die Tür setzen würde.

Uns wird der Abend besonders im Gedächtnis bleiben, da wir einige Freunde wiedersehen konnten, tolle, aber bisher unpersönliche E-Mail-Kontakte endlich mal in Fleisch und Blut treffen durften und spannende Leute kennengelernt haben. Daher geht unser innigster Gruß an Erik, Janny, Tim, Merchandise-Tim, 141-Tim, Timo, Angel, Stevie, Nico und Morton und Kristi. Es war uns ein echtes Fest, euch wiedersehen und kennenlernen zu dürfen.

Treffen sich Hermann Hesse und Charles Bukowski ein zweites Mal. Sagt Bukowski: „Geile Feier“. Antwortet Hesse: „Jo. Haste noch was zu rauchen?“

Nicht schlecht gestaunt habe ich, als ich am nächsten Morgen die Hamburger Morgenpost gesehenhabe: (chris)

(chris)

Webtipps:
www.chaeirwalk.de
www.dxbxsx.de
www.gruener-jaeger-stpauli.de
www.141records.de
www.elektrohasch.de