Originaltitel: Málmhaus
Produktion: Island, 2013
Blu-Ray-Veröffentlichung: 28.11.2014
Wertung: Empfehlung
Regie: Ragnar Bragason
FSK: 16
Darsteller: u.a. Thorbjörg Helga Thorgilsdóttir, Ingvar E. Sigurdsson, Halldóra Geirhardsdóttir…
Genre: Drama
Studio: Meteor Film
Inhalt:
Es ist das Jahr 1970 und als Black Sabbath ihr erstes Album aufnehmen, wird in einem tristen Dorf im isländischen Nirgendwo die kleine Hera geboren (Thorbjörg Helga Thorgilsdóttir). Als Zwölfjährige muss sie mit ansehen, wie ihr großer Bruder durch einen tragischen Unfall aus dem Leben gerissen wird. Von dem traumatischen Erlebnis schockiert, übernimmt sie seine Persona samt Lederjacke, Motörhead-Shirt und E-Gitarre. Ihre ganze Jugend trägt sie fortan nur noch seine Klamotten, hört und spielt seine Musik. Trauer und Wut werden mit Songs von bekannten Metalbands und mit eigenen Heavy-Metal-Riffs ausgedrückt. Auch nach der Schulzeit fühlt sie sich von allen missverstanden – auch von ihren Eltern. Diese versuchen durch den Kirchenchor wieder ein wenig am Leben teilzunehmen. Gerade als Heras Rebellion immer destruktivere Ausmaße annimmt, zieht ein junger Priester in den Ort. Das Schicksal scheint sich zu wenden und Hera erkennt, dass sie nicht ihr ganzes Leben lang weglaufen kann …
Meine Herrn, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll… „Metalhead“ ist mal ganz großes Kino der Gefühle.
Die Stärke des isländischen Dramas liegt in der Nachvollziehbarkeit… man muss nicht ein Familienmitglied auf dramatische Weise verlieren, um sich in diesem Film wiederzufinden. Man muss noch nicht einmal ein Metalhead sein, auch wenn ich Ragnar Bragason von Herzen dafür danken möchte, dass er in einem solchen Streifen die Metalheads so porträtiert, wie sie oftmals sind und, auch wenn das eine oder andere Klischee durchgezogen wird, wunderbar klischeefrei bleibt. Wer diesen Film sieht, darf anschließend ruhig laut hrausschreien, dass er anders ist. Das alles, was in seinem Leben passiert ist, ihn dazu gebracht hat, so zu sein, wie er ist. Trauer, Verzweiflung, Abgrenzung, Spaß und Liebe…
Dieser Film geht raus an alle Außenseiter, an alle verlorenen Seelen, die im Nirgendwo der Gesellschaft eingesperrt sind, weil es nicht genug Menschen gibt, denen man sich offenbaren kann. So ist es zwar die Geschichte der jungen Hera, die den Film trägt, aber die leisen Zwischentöne und Nebenhandlungen machen diesen Film erst rund.
Hera verliert ihren Bruder und lebt völlig in sich gekehrt in einer Heavy Metal-Welt, weil sie sich dort so wiederfindet, wie sie ist. Leider hat sie keine Mitstreiter, mit denen man sich austauschen kann und so gerät sie immer tiefer in einen nihilistischen Strudel, dem man nicht nur in einer isländischen Einöde ausgesetzt ist. „Ausgerechnet“ der neue Pfarrer weckt sie auf, in dem er ihr sein IRON MAIDEN-Tattoo zeigt… sofort fühlt sie sich verstanden, aber auch von ihm kann sie nicht bekommen, wonach sie sich sehnt und danach wird es alles noch schlimmer. Sie fackelt die Kirche ab und läuft weg… bewaffnet mit einem Gewehr auf einen Berg im Winter in Island. Das dies nicht die beste Idee aller Zeiten ist, dürfte klar sein und sie kehrt nach Hause zurück, wo allerdings gerade eine Bürgerversammlung wegen der Brandstiftung stattfindet. Sie stellt sich ihren Problemen und löst sie, wie die meisten Menschen das Problem der Andersartigkeit lösen: sie passt sich an, zieht zu ihrem besten Freund und wird Hausfrau. Ganz artig und ohne Flausen im Kopf. In diesem Moment dachte ich, dass der Film mich verarschen will! Ich bin mir im Klaren, dass es im normalen Leben genauso abläuft (ja, schaut euch mal in eurem ex-rebellischen Freundeskreis um!) und die Rebellion eingetauscht wird gegen die Anonymität der Masse, aber… das Leben stinkt, meine Freunde.
Zum Glück folgen die drei Weisen aus dem Morgenlande (eigentlich ja aus Oslo) dem Stern bzw. dem Demotape von Hera und man will es veröffentlichen und sie erkennt schlussendlich, was ihr wichtig ist.
Im Rahmen der nicht unwichtigen Nebenhandlung verändern sich auch die Eltern, die nach dem Tod ihres Sohnes nie wirklich über das Geschehene geredet haben. Der Vater bricht zusammen und spricht zum ersten Mal wirklich mit seiner Frau und seine Schuldgefühle. Die Liebe der beiden lag in den vergangenen Jahren begraben unter einem Berg von Schuld und Selbsthass, aber dieses Erlebnis bringt sie schlussendlich dazu, das Leben wieder anzunehmen. Für mich ist das ein Zeichen, dass man durch die tiefsten seelischen Abgründe reisen kann und am Ende wieder auferstehen wird, wenn man sich seinen Problemen stellt, die Angst beiseite lässt und Lösungen sucht, so schwer sie auch zu erreichen sind.
Was etwas käsig klingt, ist es aber definitiv nicht. Die Figuren werden so glaubhaft gespielt, dass ich zu keiner Zeit das Gefühl hatte, dass Thorbjörg Helga Thorgilsdóttir einen Heavy Metal-Fan spielt. Nein, von Anfang bis Ende ist sie der Metalhead. Eine von uns. Eine, die uns verstehen würde, wenn wir sie treffen.
Filmisch wird die Geschichte mit großartigen Bildern umgesetzt: die Szene, in der Hera ihrem toten Bruder an seinem Grab ein neues Riff vorspielt, ist so verdammt exzellent umgesetzt! Die Farben flachen oftmals ab in einen bläulichen Ton, in dem sich das Gefühlsleben der Personen widerspiegelt und die Verzweiflung greifbar wird und die wunderschöne, wenn auch mitunter triste Landschaft Islands wird großartig eingefangen und ist einer der Hauptdarsteller dieses Filmes.
Essentiell ist natürlich der Soundtrack und selten war die Diskrepanz zwischen einem leisen Film und lautem Heavy Metal so gekonnt in Szene gesetzt. Der Sound an sich ist einem Drama angemessen, aber an den richtigen Stellen mit ordentlich Druck versehen.
Ich könnte noch so viele Facetten aufgreifen, die der Film liefert und meine Gedanken schweifen lassen (meine Liste ist lang), aber vielleicht habt ihr schon gemerkt, dass der Film etwas Besonderes ist und definitiv zum Pflichtprogramm jedes Lesers gehören muss.
Ihr könnt euch dieses Kleinod als DVD, Blu-Ray und als 3-Disc-Mediabook mit DVD + Blu-Ray + Soundtrack-CD, auf der ihr auch den tollen Song „Svarthamar“ findet, zu Weihnachten wünschen. Es lohnt sich auf jeden Fall. Ich fühle mich durch diesen Film besser verstanden, als durch die drölftausendste Wacken-Doku auf N3. (chris)