Live im Kraftwerk in Oberhausen am 12.05.2012
(Text & Fotos by Chris)
Geht heute ein Jungendtraum in Erfüllung? Kann ich in Kutte mal durch den Ruhrpott laufen? An der Stadtgrenze Essen mit Kutte herumlungern und Bier trinken? Jawoll, so isses! Auch wenn ich feststellen muss, dass Kutten nicht fest in das Alltagsbild des Ruhrpotts integriert sind, wie mir bewusst wird, während wir durch Oberhausen stiefeln oder dem Konsumtempel „CentrO“ einen (einmaligen) Pflichtbesuch abstatten. Man guckt doch etwas neugierig, dabei ist neben Kohle und dem Bayernschlächter BVB doch Thrash Metal Exportschlager Nummero Uno. Nun gut, ich schweife ab.
Heute geht’s in die Turbinenhalle in Oberhausen, genauer gesagt in das dort integrierte Kraftwerk. Das Kraftwerk ist toll aufgemacht, mit Ikonen an der Wand, der Schnitt der Halle ist für Konzerte ideal und das Licht ist genial. Was man aus den modernen Beleuchtungssystemen mittels LED an Lichtstärke, -stimmung und -farbe herauszaubern kann ist hochgradig bemerkenswert! „Leider“ erwärmen die Lichter nicht mehr den Raum, so dass es recht frisch ist und bleibt.
Lustig ist noch der Weg zur Toilette, auf dem man durch einen andere Disco muss (ich glaube, es ist der Cosmo Club?) und dort die Technophilen abzappeln sieht. Aber gleiches Recht für alle: die „Anderen“ gucken auch ganz irritiert, wenn sie am Backstagedurchgang vorbeikommen und die langhaarigen, lederbekleideten Bombenleger zu fetten Riffs abfeiern sehen.
Wenn man mich im Vorfeld gefragt hätte, wegen welcher Band wir die vier Stunden Zugfahrt auf uns nehmen, ich hätte keinen Favoriten nennen können, denn so unterschiedlich die Bands sind, gehören sie für mich doch jeweils zum Besten ihrer Art.
Ich hätte vielleicht gesagt, dass ich nicht wegen ATTIC komme, was aber daran lag, dass ich die Band bis dahin gar nicht kannte. Aber nach dem Gig der fünf Ruhrpöttler wäre ich auch wegen ihnen nach Oberhausen gekommen! Die Bühne wird geschmückt mit Kerzen und Totenschädeln und als die Band, stilecht mit engen Jeans und Turnschuhen bzw. Leder etc. bekleidet loslegt, bekomme ich eine Gänsehaut: Oldschool Heavy Metal, der sehr stark nach MERCYFUL FATE klingt, was sicherlich an dem Organ von Sänger Meister Cagliostro liegen dürfte, der dem King so nahe ist, dass ich mir beinahe umgehend erhoffe, dass man „Corpse without Soul“ im Repertoire hat. Hat man nicht, dafür als Coversong „Dying World“ von PENTAGRAM, was ja nun auch ziemlich geil ist. Aber wisst ihr, was noch geiler ist: die eigenen Songs. Authentischer, okkulter Heavy Metal in R(h)einkultur und obwohl (oder vielleicht gerade weil) die Jungs noch so jung an Jahren zu sein scheinen, hat die Performance ordentlich Druck. Zum ersten Mal zeigt sich auch, dass das die „Turbinenhalle“, bzw. das „Kraftwerk“ einen wirklich meisterlichen Sound beherbergt. Ob es an der PA, dem Mischer oder dem Teufel liegt, weiß ich nicht und es ist mir auch egal, denn die Riffs schneiden sauber aus den Boxen und man hört jede Gitarre raus und auch der Bass und die Drums ergeben keinen Brei, sondern sind für Soundfetischisten bestens herauszuhören, was den starken Songs und der geilen Performance noch das i-Tüpfelchen verleiht. Und sogar meine Frau, die ich regelmäßig mit meinen MERCYFUL FATE-Anfällen zu Hause in die Flucht schlage, meint: „Mann, sind die geil!“…wer ist also irgendwie geiler als der König…? ATTIC! Ein weiterer Bonuspunkt ist die Tatsache, dass man das erste Demo noch als Tape erstehen kann, was so richtig geil kommt. Respekt!(www.facebook.com/atticfuneral)
Die Umbaupausen sind angemessen kurz und zack, schon kommen YEAR OF THE GOAT auf die Bühne. Die EP „Lucem Ferre“ ist ein echtes Highlight und die Beteiligung von Per Broddesson (g) und Thomas Eriksson (v, g) von GRIFTEGARD fügt sie schon automatisch in meine Playlist ein. Wir haben Thomas und Per vor dem Auftritt getroffen und es ist beinahe schockierend, wie liebenswürdig und bescheiden diese beiden Personen sind, die auf ihrem Gebiet, zum Besten gehören, was die Szene zu bieten hat. Wem GHOST zu poppig und THE DEVIL’S BLOOD zu gefährlich sind, muss sich unbedingt dem Ziegenbock hingeben! Siebziger Hard Rock, progressive Elemente, poppige Schlenker, Melancholie und Dunkelheit und alles mit einer wahrhaftigen Handwerkskunst dargeboten, ist das, was du bekommst, wenn diese sechs Mann die Bühne entern. In der Setlist finden sich „nur“ zwei bekannte Songs wieder, die bereits auf der EP veröffentlicht waren, aber als Thomas die erste Zeile von „Vermillion Clouds“ anstimmt, weiß ich wieder mit absoluter Sicherheit, dass er der beste Sänger ist, dem wir momentan lauschen können. Ob er lieblich singt oder energischer wird, es ist wirklich bemerkenswert, was er mit seiner Stimme leisten kann. Außerdem überrascht er uns heute mit seinen Gitarrenkünsten, denn die Band hat nicht weniger als drei Gitarristen auf der Bühne und der schale Eindruck eines Sängers, der sich eine Alibi-mäßig eine Gitarre um den Hals hängt (siehe Dieter Bohlen oder Max Cavalera) verfliegt, wenn man sieht, mit welcher Inbrunst er die Riffs schrubbt und, wenn ich mich nicht getäuscht habe, auch mal zum Solo ansetzt. Per Broddessons Gitarrenkünste sind eh‘ ganz kurz vor überirdisch, wenn er die gefühlvollen Soli von Stapel lässt und zusammen mit Don Palmroos an der dritten Klampfe haben wir ein Dreiergespann, welches phänomenal miteinander harmoniert und IRON MAIDEN oder MINISTRY (ja, „interessanter“ Vergleich, ich weiß) damit ganz klar in ihre Schranken weist. Der Bass wird vom Cloggs-tragenden Tobias Resch in der Art gespielt, bei der man endlich weiß, dass das Instrument nicht nur zum stumpfen Taktangeben gebaut wurde, sondern man damit auch Musik machen kann und an Drummer Fredrik Hellerström bewundere ich das unglaubliche Timing und den Drive, den viele Drummer in den Siebzigern ihr eigen nannten.
Und die Songs? Es ist schwer, eine Prognose abzugeben, wenn man die meisten Songs erst einmal gehört hat und dann noch live, aber alles andere unter der Kategorie „Granate“ ist nur schwer vorstellbar, dafür ist der Drive zu unglaublich, die Melodien zu hypnotisch und die warme Ausstrahlung der Band einfach zu echt. Den versierten Spagat zwischen okkulten, bisweilen traurigen Themen und der Musik, die manchmal das komplette Gegenteil widerzuspiegeln scheint, hat man sicherlich mit GHOST oder THE DEVIL’S BLOOD gemein, doch sind YEAR OF THE GOAT die Bodenständigsten dieses Triumvirats. (www.facebook.com/yearofthegoat)
CASTLE sind, und man möge mir dieses Urteil bitte tunlichst verzeihen, die Enttäuschung des Abends. Dieser Umstand ist aber weniger dem Auftritt, sondern ausnahmsweise mal dem Sound geschuldet, der bei den ersten beiden Bands einfach überragend war. Wir kennen das ja zur Genüge, dass bei Bands, bei denen der Bassist (oder hier Bassisitin) das Aushängeschild ist, der Bass ordentlich im Vordergrund tönt und dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden. Aber heute Abend schluckt der Bass ganz einfach die Gitarre. Somit bleiben die wirklich guten Riffs, die vor allem das zweite Album „Blacklands“ veredeln, heute leider auf der Strecke und die Soli gehen unter. Auch kommen die Gesangsmelodien der hübschen Elizabeth Blackwell heute nicht so zur Geltung, wie sie eigentlich müssten, um dich vollends zu verzaubern. Der meinerseits durchgeführte Stellungswechsel während des Gigs brachte keine Besserung der klanglichen Situation und somit war’s das auch schon. An der Performance als solcher liegt es aber sicherlich nicht. Ob Mat Davis (g, v) deswegen am Ende des (ziemlich kurzen) Gigs seine Gitarre auf den Boden pfeffert, weiß ich nicht. (www.facebook.com/heavycastle)
VERDUNKELN kommen auf die dunkle Bühne, Nebel gibt der Szene einen gespenstischen Ausdruck und während des ersten Songs besteht die Lichtshow darin, dass es allmählich immer heller wird. Das kommt wirklich klasse rüber und visualisiert die Intensität, die ich mir heimlich erhofft habe und heute Abend bekommen werde. In VERDUNKELN vereinigen sich einige der wichtigsten Musiker des deutschen Black Metals, aber der große Pluspunkt ist die Verschmelzung der Individuen zur einem Kollektiv. Wie eine Walze überrollt dich der Sound, der nach dem CASTLE-Ausrutscher wieder erstklassig ist. Der typische VERDUNKELN-Gitarrensound lockt dann auch erstmalig die Leute direkt vor die Bühne, auch wenn sich das Kraftwerk (eigentlich nach YEAR OF THE GOAT) leider schon merklich geleert hat. Doomige Atmosphäre, Black Metal-Wahnsinn, verzaubernde Melodien und mit Melancholie gepaarte Aggression verwirrt deinen Kopf, nimmt dich aber mit auf eine Reise, die ihresgleichen sucht. Neue Songs (ich denke, es war „Weder Licht noch Schatten“) und Songs vom „Einblick in den Qualenfall“ (u.a. „In die Irre“ und „Die Saat der Klinge“ sind feinste Ware in Sachen Kopfkino. VERDUNKELN sind sowohl Live, als auch auf CD eine der besten atmosphärischen Bands, die Deutschland zu bieten hat. Ansagen oder anderen Firlefanz findet man bei der Show überhaupt nicht, aber das hat auch nicht wirklich jemand erwartet. Ich denke dieses reservierte Verhalten auf der Bühne sorgt dafür, dass man nicht aus dem Fluss kommt, sondern den Auftritt als ganzes genießen kann. Starker Gig! Das neue Album „Weder Licht noch Schatten“ kommt dieser Tage auf Van Records raus und ist dort (www.van-records.de) bereits bestellbar.
Da ich mich in meiner spätjugendlichen Naivität weiterhin weigere, Musik als Produkt zu begreifen, sondern mich von der Magie der Klänge entführen lassen will und immer wieder über Kleinigkeiten staunen möchte, war dieser Gig definitiv eine Reise wert und der Genuss, einige Leute wiederzusehen, die man gerne sieht, unbezahlbar. Unser Dank geht raus an ATTIC, Per, Thomas und YEAR OF THE GOAT, CASTLE, VERDUNKELN und ganz besonders Sven und Karo! (chris)