Live im Rock Café St. Pauli in Hamburg am 17.01.2015
Text & Fotos (c) Chris Fischer
Seit mittlerweile 26 Jahren darf ich mich als ANTHRAX-Fan bezeichnen und auch wenn die Band in den letzten Jahren manche Entscheidungen getroffen hat, die man als Fan eher mit Kopfschütteln hinnehmen musste und das letzte Album „Worship music“ für mich nicht zu 100% das war, was ich mir als Fan erhofft habe, hat sie immer noch einen hohen Stellenwert für mich.
Dank einer aufmerksamen Weihnachtsfrau ergab sich dann auch die Option, nach Hamburg zu fahren, um sich SCOTT IANs „Spoken Word-Tour“ anzuschauen. Man kann zu solchen Veranstaltungen stehen, wie man möchte, aber wenn jemand, den man bereits als 15jähriger bewundert hat, in einem kleinen Club zu sehen ist und Geschichten aus seinem Leben erzählt, nimmt man diese Chance natürlich wahr.
Im Vorfeld lief der Ticketverkauf alles andere als gut und man verlegte die Show vom Grünspan in das Rock Café St. Pauli, aber die ca. 60-70 neugierigen Fans haben einen Abend erlebt, den sie so schnell nicht wieder vergessen werden!
Scott Ian kommt pünktlich, wie ein deutscher Beamter um 19.30h auf die Bühne und legt umgehend los… Ich werde es tunlichst vermeiden, die Geschichten hier wiederzugeben, denn ich habe selten jemanden erlebt, der seine Anekdoten und Lebensgeschichten so packend erzählt, wie Sott an diesem Abend. Das Tourplakat, auf dem man Scott in Flammen sieht, passt zu seiner heutigen Performance wie die Faust auf′s Auge! Er redet sich in einen Rausch und bringt die Geschichten dabei so charismatisch, schonungslos ehrlich und vor allem witzig rüber, dass sich viele Anwesende im Café mehrfach die Lachtränen aus den Augen wischen müssen. An Scott Ian ist ein verdammt guter Stand-up-Comedian verlorengegangen, soviel steht für mich fest.
Ob es nun um die Angewohnheit (meist weiblicher) Fans geht, Musikern im Gesucht herumzufummeln, sein erstes Treffen mit Lemmy und dem daraus resultierenden Besuch eines „Nazi“-Arztes in München, vollgeschissene Hosen oder Steven Spielberg und natürlich Dimebag Darrell… es gibt bei dieser Show einfach keine Langeweile! Mitunter wird es richtig derbe, aber Scott stellt schnell klar, dass es an diesem Abend keine Milch und Kekse gibt, sondern dass auch auch mal gerne unter die Gürtellinie gehen darf.
Mein Highlight ist die Geschichte, in der Dimebag ihn per Telefon so richtig verarscht… das ist das Beste, was ich jemals erzählt bekommen habe! Ich schwör… Die Art, wie Scott diese Geschichte vorträgt, mit all den verschiedenen Rollen und Stimmen, ist so zum Schreien komisch, dass wir noch am nächsten Tag Tränen lachen. Zwischen den Zeilen erfährt man übrigens auch, dass „motherfucker“ eine durchaus freundschaftliche Bezeichnung sein kann…
Untermalt werden seine Geschichten von Dia-Einblendungen, die überwiegend aus Comics bestehen und das Erzählte mitunter schreiend komisch untermalen, aber man muss auch das legendäre Foto von Lemmy ertragen, auf dem er diese brutalen Hotpants trägt… ich denke, ihr wisst, welches ich meine.
Aufgrund seines umfangreichen Wissens flechtet er etliche deutsche Bands und Musiker mit ein und dieser Schachzug funktioniert ganz gut, denn jeder von uns kennt Rudolf Schenker, Helloween, Rammstein und Konsorten und ganz schnell stellt sich das Gefühl ein, dass man sich mit einem guten Freund über seine Lieblingsbands unterhält. In Finnland ist ihm das etwas schwerer gefallen, denn er kennt nicht so viele finnische Bands…
Mitten in der Aufführung bekommt Scott allerdings Sorgen: er kann sich nicht entscheiden, welche seiner Geschichten er uns aufgrund des Zapfenstreichs vorenthalten soll, aber nach einigen Minuten kommt die Entwarnung: der Zapfenstreich von 22.30h wird kurzerhand aufgehoben, Scott freut sich wie ein kleiner Dreikäsehoch und erzählt munter immer weiter. Im Endeffekt dauert die Show satte 165 Minute, inklusive einer Question / Answer-Sektion und einem „Akustikgig“, der aus den von S.O.D. bekannten Balladen besteht und er erzählt uns zum Abschluss einiges über diese Balladen und die mitunter verrückten Reaktionen darauf.
Aber alles hat ein Ende und auch wenn ich noch stundenlang hätte zuhören können, kommt die Zeit Abschied zu nehmen. Leider, und da muss ich als begeisterter Zuschauer und langjähriger Fan einfach mal Kritik üben, passen Anspruch und Wirklichkeit nicht immer zusammen. Während er im ersten Akt der Show davon erzählt, wie aufregend es ist, seine Helden zu treffen und wie unhöflich, wenn diese nicht ein Mindestmaß an Respekt dem Fan gegenüber haben, verschwindet er direkt nach dem Auftritt in die Katakomben und wird nicht mehr gesehen. Halt, 2 Personen dürfen ihn besuchen und zwar sind es die beiden, die sich im Vorfeld einen „VIP-Meet and Greet“-Zugang für poplige 70 Euro pro Kopf gekauft haben… dieses VIP-Ticket kostet an dem Abend allerdings nur noch 40 Euro und ich hoffe inständig, dass sie ihn erst am Abend gekauft haben oder einen Teil ihrer Kohle wiederbekommen haben. Ich kann auf der Reeperbahn an jeder Ecke 70 Euronen latzen, damit jemand „Zeit“ mit mir verbringt, aber das ist eine Unsitte, die bei Musikern immer mehr Einzug hält und ich würde mir wünschen, dass die Fans diese Prostitution nicht länger mitmachen. Wir, die echten Fans, bezahlen die Tonträger, Merchandise und Tickets, nehmen lange Fahrten auf uns, um unsere Lieblingsbands spielen zu sehen und abzufeiern und wenn man einfach mal einen höflichen Schnack halten oder um ein Autogramm bitten möchte, sollen wir einen völlig irrationalen Betrag von 70 Euro bezahlen?! Fuck that. Zumal sich nach dem Auftritt vielleicht noch 20 Leute im Club aufhalten und sicher nicht jeder tonnenweise Material mitgeschleppt hat, welches er signieren soll… Es wäre an diesem Abend nicht zu viel verlangt gewesen, wenn er sein Feierabendbier mit einigen Fans an der Theke zu sich genommen hätte. Ich sage es mit den Worten von TESTAMENT: Practice what you preach!
Nichtsdestotrotz, auch wenn ich als langjähriger Fan und Supporter von diesem Verhalten wirklich enttäuscht bin, werde ich diese Show aufgrund ihres unglaublichen Unterhaltungswertes in die Top 5 der besten Liveshows aller Zeiten eintragen. Wer heute (18.01.2015) in Bochum die Chance hat, noch an Tickets zu kommen, muss zuschlagen! Wenn ihr die gleiche Show erlebt, wie wir, werdet ihr eine unglaublich gute Zeit haben!
Ansosten checkt seine Homepage oder ordert euch sein Buch „I’m the man“ oder die DVD „Swearing Words in Glasgow“.
Ich danke Scott Ian für sein Talent, uns alle zum Lachen zu bringen und dem Veranstalter Karsten Jahnke für den Fotopass und damit die Möglichkeit, diesen Abend in Bildern festzuhalten. (chris)