Live am 27.10.2016 im Backstage in München
(Text & Bilder von Stefan)
Vor 30 Jahren wurde die Gothic-Rock-Legende THE MISSION gegründet. Anlässlich des Jubiläums absolviert die Band gerade eine große Tournee. Sogar München, das viele Jahre ausgespart wurde, taucht in der Konzertliste auf. Also, auf ins Backstage nach München, um die Band live zu erleben, deren Fan ich seit dem grandiosen Debüt „Gods Own Medicine“ bin.
Gegen 20 Uhr komme ich im Backstage an. Nach wenigen Minuten betritt die Vorband THE AWAKENING die Bühne. Die Gruppe wurde 1995 gegründet. Ashton Nyte steht in seiner Funktion als Sänger, Gitarrist und kreativer Kopf für die personelle Kontinuität der Band. Seit einigen Jahren ist THE AWAKENING in den USA beheimatet, stammt aber ursprünglich aus Südafrika. Gespielt wird traditioneller Gothic Rock, wobei vor allem mit kompakten und eingängigen Klangstrukturen gearbeitet wird. Auch scheint ein Hang zur Elektronik ein Kennzeichen der Band zu sein.
Das Publikum bekommt ältere und neuere Songs zu hören. Die sympathische Band agiert professionell, glücklicherweise mangelt es ihr auch nicht an Herzblut. Nytes sonore Stimme bewegt sich zumeist in mitteltiefen Tonlagen, wenn er gelegentlich etwas höher singt, neigt er zu einer sehr leidenschaftlichen Intonation. Die Lieder klingen sehr melodisch und rocken ordentlich. Auch die Soundqualität ist bestens. Kein Wunder, dass die Gruppe reichlich Applaus erhält.
Mich überzeugt vor allem das hypnotisch und geradlinig rockende „Upon The Water“. Auch das dramatisch klingende „Martyr“ ist ein toller Song, wobei mir hier besonders die markanten Klavierklänge gefallen. Originell finde ich auch das rockige Cover von „The Sound Of Silence“ von Simon & Garfunkel. Mit dem druckvollen Ohrwurm „The Dark Romantics“ beendet die Gruppe nach etwa 40 Minuten ihren gelungenen Auftritt. Bislang waren mir nur sehr wenige Lieder der Band bekannt. Zweifellos hat es sich gelohnt, das umfangreiche Werk von THE AWAKENING besser kennenzulernen.
Um 21.15 Uhr ist es endlich soweit: THE MISSION betritt unter viel Applaus die Bühne. Langsam schälen sich aus dem diffusen Licht Craig Adams, Simon Hinkler und Wayne Hussey heraus. Seit einigen Jahren tritt die Band wieder in Originalbesetzung auf, mit einer Ausnahme: dem Schlagzeuger Mike Kelly. Den weiblichen Hintergrundgesang übernimmt Evi Vine. Ein echter Bonus, denn dieser schöne Gesang, der bei den Studioversionen zumeist von Julianne Regan geleistet wird, fiel bislang bei Konzerten fast immer unter den Tisch.
Gestartet wird mit dem unverwüstlichen Klassiker „Beyond The Pale“. Wuchtig und in bester Soundqualität peitscht der hochdramatische Song aus den Boxen. Auch nach so vielen Jahren hat dieses packende Stück Musik nichts von seiner Faszination verloren. Das Publikum reagiert angemessen, denn die Stimmung ist famos! Beim hymnischen Refrain wird lautstark mitgesungen und es regnet reichlich Konfettis. Mit dem anschließenden „Serpents Kiss“ gelingt es der Band mühelos, die Partystimmung aufrechtzuerhalten. Kein Wunder, auch „Serpents Kiss“ ist ein bewährter Klassiker.
Mit der Wahl des nächsten Stücks agiert THE MISSION etwas mutiger. Denn nach den beiden kernigen Rocknummern folgt mit „Swoon“ ein eher süßlicher Popsong. Der Song steht für eine Seite der Band, mit der einige Fans ein Problem haben. Mir hat das Lied schon immer sehr gut gefallen. Auch heute Abend ist es wunderschön, zu erleben, wie Wayne voller Inbrunst diesen herrlich rührseligen Schmachtfetzen zum Besten gibt. Auch beim restlichen Publikum kommt das Lied gut an, zumindest die anwesenden Fans scheinen kein Problem mit der poppigen Seite der Band zu haben.
Dann folgt ein Song des neuen Albums „Another Fall From Grace“: „Tyranny Of Secrets“. Dass dieser düstere und aggressive Song Begeisterung erzeugt, ist nicht überraschend, denn er erinnert stark an das allseits beliebte Frühwerk der Band. Trotzdem besitzt „Tyranny Of Secrets“ eine eigene Identität, die äußerst packend ist. Anschließend überzeugt THE MISSION mit dem wundervoll psychedelisch rockenden „Garden Of Delight“, einem weiteren Klassiker, der noch immer zu meinen absoluten Lieblingssongs gehört.
Dann eine echte Überraschung: Eine dumpf wummernde, schleppende Schlagzeugrhythmik ertönt. Die Töne sind mir bestens vertraut, nur live habe ich sie noch nie gehört. Tatsächlich wird jetzt ein musikalisches Prachtstück präsentiert, das bei Konzerten kaum zum Einsatz kommt: „Dance On Glass“! Ich habe nicht mehr damit gerechnet, diese tragisch klingende Gänsehaut-Ballade live zu hören. Und nun das – welch ein Erlebnis! Da dieses schaurig-schöne Lied wenig Gitarrenarbeit erfordert, kann sich Wayne seiner Klampfe entledigen und sich vollständig auf den Gesang konzentrieren. Vor allem wenn er gegen Ende des Songs seine Stimmbänder besonders stark beansprucht, klingt das unglaublich ergreifend.
Auch im weiteren Verlauf des Konzerts punktet die Band mit einer sehr abwechslungsreichen Liedauswahl. Fast alle Stilarten des herrlich vielgestaltigen Werks werden berücksichtigt. Bei seinen Plaudereien mit den Fans kommt Wayne irgendwann darauf zu sprechen, dass man seit langer Zeit nicht mehr in München gespielt hat. Wayne räumt ein, dass dies wahrscheinlich ein Fehler war. Es wirkt so, als ob er regelrecht überrascht ist, dass hier eine so gute Stimmung herrscht.
Die Zeit vergeht wie im Flug. Den Schlussteil des regulären Sets bilden die beiden Megaknaller „Tower Of Strength“ und „Wasteland“. Bei diesen grandiosen Songs ist die Begeisterung natürlich grenzenlos. Die Fangesänge steigern sich gewaltig und die Konfettiwolken am Konzerthimmel werden dichter und dichter. Als THE MISSION unter großem Jubel die Bühne verlässt, ist klar, dass die Band bald zurückkommen wird.
Die Zugabe wird mit der wundervollen Akustikballade „Island In A Stream“ eröffnet. Während die Studioversion auf weiblichen Gesang verzichtet, erhält das faszinierende Lied dank Evis Stimme eine weitere magische Facette. Einfach herrlich, was sich bei diesem Konzert alles ereignet. Dann wird „Butterfly On A Wheel“ in den Raum gezaubert – die vielleicht großartigste Schnulze der Welt. Ein Lied so kitschig wie ein Sonnenuntergang – und so schön! Mächtige Fangesänge erschallen, dichte Konfettiwolken wirbeln durch die Luft, eine der besten Bands der Welt strotzt vor Spielfreude, die Soundqualität ist bestens – alles ist wunderbar! Natürlich wird beim folgenden „Severina“ frenetisch weitergefeiert. Dann verlässt die Gruppe erneut die Bühne, aber es gibt noch eine zweite Zugabe.
Auch diese Zugabe bietet drei Songs. Gestartet wird mit dem entspannt klingenden „Never’s Longer Than Forever“ vom neuen Album. Im Anschluss folgt ein besonders energiegeladener Doppelschlag. Zunächst die wahrscheinlich beste Coverversion der Welt: „Like A Hurricane“ (Original: Neil Young). Dann „Deliverance“, der absolute Megakracher der Band. Zum krönenden Abschluss wird nochmal alles gegeben: THE MISSION spielt äußerst druckvoll. Die Fans werfen die letzten Konfettis in die Luft und strapazieren ihre Stimmbänder ohne Rücksicht auf Verluste. Als die Band kurz nach 23 Uhr endgültig die Bühne verlässt, steht unumstößlich fest, dass dies wirklich ein Spitzenkonzert war. Ich schätze, dass 400 bis 500 Leute bei dieser tollen Jubiläumsfeier dabei waren. Dass ein Konzert dieser Gruppe nicht mehr Menschen anlockt, ist wenig überraschend. In einer Welt, die vor allem von Kaltherzigkeit und Ignoranz beherrscht wird, haben Bands wie THE MISSION naturgemäß einen schweren Stand.
Heute Abend ist mir wieder einmal bewusst geworden, was für eine großartige Band THE MISSION ist: Durch Musik das Spektrum menschlicher Emotionen differenziert und treffsicher widerspiegeln – dieses Kunststück beherrscht kaum eine andere Band so gut wie THE MISSION. Abscheu, Angst, Ekel, Freude, Freundschaft, Hoffnung, Liebe, Trauer, Verbitterung, Verzweiflung – die Liste der musikalisch dargestellten Gefühle ließe sich fortführen. Unzählige psychische Zustände werden klanglich erfasst – und dadurch beherrschbarer gemacht. So ist THE MISSION vor allem eines: Ein therapeutisches Wundermittel, das in fast jeder Lebens- und Krisenlage Erfolge erzielt.
Im Lauf ihrer 30-jährigen Geschichte hat diese Ausnahmeband eine riesige Anzahl grandioser Songs geschaffen. Das Werk gleicht einer großen Schatzkiste, die heute Abend sehr weit geöffnet wurde. Endlich habe ich „Dance On Glass“ live gehört. Ich bin gespannt, wann ich „Within The Deepest Darkness (Fearful)“ und „Jade“, die ich für die beiden stärksten Songs des neuen Albums halte, bei einem Konzert erleben werde. Zum Abschluss zwei Dinge: Ich gratuliere THE MISSION zum 30-jährigen Jubiläum! Und an alle Mitglieder der THE-MISSION-Gemeinde: Keep the faith. (stefan)