Livebericht Musikzentrum in Hannover am 17.03.2013
Als Bonbon dieses Wochenendes geht es heute nach kurzer Nacht und leicht lädiert in Richtung Hannover, wo KÄRBHOLZ im Musikzentrum aufspielen werden.
Das Album „Rastlos“ gehört für mich zum Besten, was in der letzten Zeit im deutschsprachigen Sektor veröffentlicht wurde und bildet mit „Sich fügen heißt lügen“ von SLIME und „Gib Acht!“ von DRITTE WAHL die punkig-heilige Dreifaltigkeit der Neuzeit.
Musikalisch und textlich verbreitet die Band nur positive Stimmung und weist auf die Wichtigkeit des Andersseins und der Buntheit hin. Warum mich die Hingabe zu dem Album allerdings einen Facebook-Freund gekostet hat, der der Meinung war, dass es sich um „Grauzonenrock“ handelt, verstehe ich zwar nicht, aber ich mag ihn und seine Musik trotzdem noch. Ich mag generell Menschen, die eigene Meinungen haben, obwohl ich diese nicht immer verstehen und teilen muss. Anstrengend wird es nur, wenn man versucht, diese Wahrheit als allgemeingültig zu präsentieren (ist doch eigentlich Aufgabe der Religionen). Meine Meinung gehört mir. Wer sie teilt, ist herzlich willkommen. Wer sie ablehnt, darf mich meiden oder mit mir darüber reden, schließlich sehe ich mich als aufgeschlossen an und lerne gerne dazu und beschäftige mich auch mit anderen Blickwinkeln. Andersrum funktioniert es auch, denn auch ich versuche gerne meine Sichtweise darzulegen und andere zum Nachdenken zu bringen. Nennt mich einfach Je-fuckin′-sus.
Völlig unabhängig von KÄRBHOLZ: Menschen ändern sich. Wer noch niemals etwas gemacht hat, von dem er zu dem Zeitpunkt überzeugt war und nach Zeiten der Entwicklung und Selbstreflektion erkannt hat, dass er damit scheiße gebaut hat, hat bisher nicht gelebt. Fehler sind Erfahrungen. Institutionelle Gleichschaltung via Gruppen jeglicher Couleur sind der letzte Mist und zerstören das Individuum. Und nur auf das Individuum kommt es an.
So genug ausgekotzt! Jetzt gehen wir mal zu dem über, was wirklich zählt. Das Konzert!
Anfangs dachte ich, dass das Musikzentrum in Hannover vielleicht etwas groß ist, aber im Laufe der Tour durfte die Band immer öfter das „AUSVERKAUFT“-Schild an die Tür hängen und da wurde mir klar, dass die Location wohl gut gewählt ist. Zwar ist es heute nicht ausverkauft, aber dennoch für einen Sonntag Abend sehr gut gefüllt. Und die überwiegend jugendlichen Fans machen schon ′ne Stunde vor Beginn ordentlich Stimmung mit Gesängen wie aus dem Stehblock. Beim Anblick der jungen Wilden wird einem bewusst, dass man jetzt selbst langsam so aussieht, wie die alten Leute, bei denen wir uns vor 20 Jahren gefragt haben, warum die sich noch aus der Gruft zu einem Konzert aufmachen…naja, weil wir es können und weil Livemusik so ziemlich das Geilste ist, was einem passieren kann!
Den Anfang machen heute Abend FAHRLÄSSIG aus Rheinberg. Ihr deutschsprachiger Punkrock geht wunderbar nach vorne, hat tolle Melodien zu bieten und die Texte, die ich verstanden habe, haben mir auch einige gefallen und das macht schon 80% von Deutschpunk aus. Die Attitüde und Songs stimmen aber auch und so ist es eine vergnügliche Zeit, die uns die Jungs bescheren. Drummer Nikita bekommt heute einen Sonderpreis für „Spaß hinter den Becken“. Nicht, dass der Rest der Band gelangweilt wäre, aber Nikita beobachten hat definitiv Spaß gemacht und viel gute Laune und eine positive Einstellung transportiert. Ganz hervorragend funktionieren die spontanen Schlachtrufe wie „Prost ihr Säcke…“ oder „Zicke, Zacke, Zicke, Zacke…oi oi oi“ und selten hat man eine so gute Stimmung an einem Sonntag Abend erleben dürfen!
Dass die Grenzen des Genres auch nicht zu eng gesteckt sein müssen, beweisen die Randerscheinungen. Beim einem der Mitsingsongs soll „Alkohoool“ gesungen werden und der Gitarrist nimmt einen Schluck Wasser…tststs. Auch das PINK FLOYD-T-Shirt wäre vor Jahren für einen Punk ein absolutes No-Go gewesen, aber ich bin ja froh, dass die Menschheit sich weiterentwickelt hat und man PINK FLOYD, Mineralwasser und intelligenten Deutschpunk heutzutage unter einen Hut bekommen kann. Viva la Evolucion! Wer Bock auf eine Mischung aus BETONTOD und DIE TOTEN HOSEN mit einer Extraportion Bumms hat, sollte der Band mal eine Chance geben.
Halbe Stunde Umbaupause…viel Zeit, Leute zu beobachten und zu reflektieren. Zum Beispiel zwei KÄRBHOLZ-Faninnen, die FAHRLÄSSIG derart mit Ignoranz strafen, dass es wehtut. Sowas kennt man sonst nur von AC/DC. Hauptsache man steht mit dem Rücken zur Bühne und der Akku des Smartphones hält. Ich bin ja selbst süchtig, aber für vier Stunden auf ′nem Gig kann ich die Kiste auch mal auslassen…
Noch schnell einen Platz zum Knipsen gesucht (was sich leider als sehr schwierig erwiesen hat) und schon geht die Sause los!
Was die Band auf dem letzten Album verspricht, löst sie Live beeindruckend ein: „Vollgas Rock′n′nRoll“ und „lebensbejahende Beatmusik“! Es wundert mich nach den ersten Takten nicht mehr ansatzweise, warum die Band so beliebt ist. Jeder der Musiker macht von der Bühne herab den Eindruck, dass er sich den Arsch abfreut zusammen mit seinen Freunden für uns rocken zu dürfen. Wieder fällt auf, dass der Schlagzeuger so richtig mächtig gewaltig Spaß hat und beim Schlagzeugspielen einfach nur ′ne gute Zeit hat. Naja, wenn man mal einen Einsatz versemmelt, lacht man sich halt mal kurz schlapp und weiter geht′s. Das ist authentisch und Rock′n′fuckin′Roll.
Wenn mir beim Hören des Albums so häufig das Wort „positiv“ durch den Schädel schlittert, ist dieser Abend der Beweis: das ist einfach so. Pure, positive Energie. „Ich hör mir beim Leben zu“, „Bis zum Mond“ oder „Nacht ohne Sterne“ ist der Einstieg in knapp 90 Minuten Deutschpunk mit hohem Unterhaltungswert. Sänger Torben wirbelt über die Bühne, bringt mit seinen Texten und Gesten den Standpunkt klar rüber und ist mehrfach einfach begeistert von den Fans. Pausen zwischen den Songs gibt es nicht, denn sobald Ruhe einzukehren droht, fangen die Fans an zu singen und feiern ihre Helden, wie man es sonst nur von Bands gewohnt ist, die noch eine Liga höher spielen. Gitarrist Adrian rockt die Riffs und kann gleichzeitig mit seinen Soli begeistern, für die er auch gerne (und völlig zu Recht) das Rampenlicht sucht. Nach dem Lied „Dumm geboren“ sollen wir alle unsere Mittelfinger in die Luft strecken und die Ansage, die dann folgt, könnte unmissverständlicher nicht sein: das ist der Mittelfinger gegen Nazis, die man nicht auf ihren Konzerten sehen möchte. Thanks, file closed and mission accomplished. Ich frage mich dann allerdings was dieser WDR-„Journalist“ mit seinem TV-Beitrag im November 2011 bezwecken wollte, wenn doch jeder, der sich für die Band interessiert, via CD und Livekonzert ein Bild von der Einstellung der Band machen kann. Was nach dem Mittelfinger kommt, ist klar: „Timmi halt′s Maul“. Ich dachte erst, es geht um Tim Wiese, aber da habe ich mich wohl getäuscht, hahaha. Nach „Rastlos“ und „Diese Stadt“ kommt dann erst einmal ein kleiner Drei-Song-Unplugged-Teil. „Hier“, „Kein SOS“ und ein weiterer Titel, der mir irgendwie in meinen Hirnwindungen abhanden gekommen ist.
Der Stephan am Bass gesellt sich übrigens auch dazu, wurde er doch bei den ersten Songs erstklassig vertreten, da er gesundheitliche Probleme hat. Umso schöner ist es, dass er die Konzerte dennoch mitfährt, um bei seinen Kumpels zu sein und das eine oder andere Lied zu zocken. Respekt!
Wer denkt, der Unplugged-Teil hat die wilde Meute irgendwie müde gemacht, darf sich als getäuscht betrachten. Kaum fließt der Strom durch die Gitarre, geht der ganze Wahnsinn von vorne los: „Dieses Lied“, „Mein eigenes Bild“, „Du bist König“, „Tag an Tag“, „Nichts zu verlieren“ und „Bett aus Rosen“ schließen den Gig nach guten 70 Minuten vorerst ab. Und immer wieder werden Sprechchöre angestimmt, Torben und der Rest der Bande ist einfach nur begeistert von den Fans und es wird natürlich noch Zugaben geben…“Wir sind die Nacht“, „Bilder“, „Was wirklich zählt“ führen uns zum großen Finale. „Mein Weg“, gesungen aus hunderten Kehlen. Und wäre das nicht schon Gänsehautfeeling pur genug, versammelt sich die Band Arm in Arm auf der Bühne und a capella gibt es noch eine Runde den Refrain, bevor die Band sich glücklich verabschiedet, nur um kurz danach mit den Fans zu quatschen, Fotos zu machen und eine gute Zeit zu haben.
Und nun mal ganz ehrlich: So ein Repertoire von Punk, Ska, Unplugged, positiven Vibrations und einer perfekten Mischung aus Professionalität und Freude bieten normaler Weise nur Bands, die in der ersten Liga ganz oben mitspielen. So leid es mir tut, aber da müssen demnächst die großen Hallen her! Solche Qualität habe ich wirklich sehr selten bei einer deutschen Punkband erlebt und ich bin mir mehr als sicher, wenn man die geschäftliche Seite richtig anpackt, steht der KÄRBHÖLZERNEN Weltherrschaft nichts mehr entgegen. Die Ärzte wurden belanglos, die Hosen waren (für mich persönlich) immer belanglos. Jetzt kommt das KÄRBHOLZ und rettet die deutsche Musik. Klingt gerade etwas over-the-top, aber wir hatten nach dem Gig definitiv das Gefühl, dass wir Zeuge von etwas wirklich Großem waren. Nur, dass „Pure Love“ gefehlt hat, ist beinahe unverzeihlich. Aber: bei der Songauswahl darf ich mich nicht wirklich beschweren. Ich wollte einfach nur mal den Songtitel im Livebericht nennen, um alle aufzufordern gerade dieses Stück zu hören, ist es doch einer der besten Songs, die jemals das Licht der Welt erblickt haben!
Wir danken ganz herzlich Änne und den Jungs von KÄRBHOLZ. Und nicht zu vergessen dem Publikum. War ′ne echt geile Sause. (chris)
Webtipps:
www.kaerbholz.de
www.facebook.com/fahrlaessig
www.musikzentrum-hannover.de