LIVEBERICHT

ROME :: Eine perfekte Dramaturgie


Livebericht vom 12.10.2019 in der Musikkantine in Augsburg
(Text & Bilder von Stefan)

Der beste Musikclub in Augsburg hat das Quartier gewechselt: Früher residierte die Musikkantine am Stadtrand, seit einigen Monaten weilt sie in der Innenstadt. Zum Glück hat der Ortswechsel nicht zu einer Veränderung des Konzertangebots geführt. Davon erhielt ich heute Abend einen besonders schönen Eindruck, denn zum wiederholten Mal gastierte Jerome Reuter mit seinem faszinierenden Musikprojekt ROME in der Kantine.

ROMEs aktuelle CD „Le Ceneri Di Heliodoro“ beschäftigt sich mit Europa. Dabei schwingt immer auch die Frage mit, wie die politische Zukunft des Kontinents aussehen wird. Bei seiner Suche nach einer Antwort betrachtet Reuter nicht nur die Geschichte des Römischen Reichs, er blickt auch in die Gegenwart. Etwa wenn er sich im Lied „The West Knows Best“ zum schwierigen Verhältnis zwischen Europa und der USA äußert. Dieser Songtitel fungiert sogar als Motto der aktuellen Tournee. Auch das heutige Konzert findet im Rahmen der „West Knows Best“-Tour statt.

Um 20.30 Uhr ist es soweit: Reuter betritt mit seinen beiden Mitstreitern die Bühne. Der kräftige Applaus verdeutlicht: Dank der regelmäßigen Auftritte in der Kantine kann sich ROME mittlerweile in Augsburg auf eine treue Anhängerschaft verlassen. Es sind etwa 150 Leute, die heute Abend ROME live erleben wollen. Gestartet wird mit „The Secret Germany (For Paul Celan)“, dann folgt „Celine In Jerusalem“. Einen besseren Auftakt kann ich mir kaum vorstellen, denn für mich sind dies die beiden stärksten Songs der CD „The Hyperion Machine“. Anschließend wird der Opener des Albums „Hall Of Thatch“ präsentiert – erneut bin ich hellauf begeistert: „Blighter“ ist für mich einer der besten ROME-Songs der letzten Jahre!


Im Anschluss erklingt „Like Lovers“, ein Song aus der frühesten Phase der Band. Man findet ihn auf der „Berlin“-EP aus dem Jahr 2006. Für diesen Ausflug in das Frühwerk wechselt Reuter von der Gitarre an die Trommel. Bisher wurde bei der Liedauswahl eher die melodisch-melancholische Seite ROMEs berücksichtigt. Aber nun erhält man auch einen packenden Eindruck von der eher schroff-dynamischen Seite der Band, denn „Like Lovers“ wird mittels einer treibenden Trommelrhythmik druckvoll in den Raum gewuchtet. Da mir beide Seiten sehr gut gefallen, finde ich diese Abwechslung wunderbar. Erfreulicherweise zieht sich dieses wirkungsvolle dramaturgische Wechselspiel wie ein roter Faden durch das Konzert.

Erfreulich ist auch: ROME spielt einige neue Lieder, also Lieder, die nach Reuters Aussage Teil einer neuen CD sein werden, die nächstes Jahr erscheinen soll. Das neue Material unterstreicht eher die melodisch-melancholische Seite ROMEs. Die neuen Songs gehen richtig gut ins Ohr, auch weil sie über einen tollen Spannungsaufbau verfügen.

Von der aktuellen CD werden vier Lieder gespielt: „Uropia O Morte“, „The West Knows Best“, „Who Only Europe Know“ und „One Lion’s Roar“. Dass Reuter den USA-kritischen Song „The West Knows Best“ mit einer Grußbotschaft an die Kurden in Nordsyrien verbindet, ist eine schöne Geste der Solidarität. Er leitet den Song mit den Worten ein: „Das nächste Lied ist für unsere kurdischen Freunde in Nordsyrien“.

Zweifellos ist es eine große Schande für die westliche Welt, dass der Polit-Chaot Trump die Kurden in Nordsyrien dem Kriegstreiber Erdogan ausgeliefert hat. Schließlich waren es kurdische Streitkräfte, die die Hauptlast des Krieges gegen die Schwerverbrecher des IS getragen haben. Und es waren Kurden, die in Nordsyrien den Versuch unternommen haben, die Selbstverwaltungszone Rojava aufzubauen – ein politisches Projekt, das unterstützenswert ist. Rojava ist ein Symbol der Hoffnung, zumindest für die Freunde der Demokratie und der Freiheit.

Zurück zum Konzert: In der zweiten Hälfte des regulären Sets werden die beiden verschiedenen Seiten ROMEs besonders stark akzentuiert. Beim wilden „Sons Of Aeeth“ geht es herrlich druckvoll zur Sache, hingegen verzaubert das melodische „Skirmishes For Diotima“ durch sein hochgradig elegisches Stimmungsbild.

Das reguläre Set endet äußerst dramatisch, denn das raue „Our Holy Rue“ wird besonders martialisch vorgetragen. Ein veritabler Klangsturm bricht über das Publikum herein! Tatsächlich ist „Our Holy Rue“ das einzige Stück des Konzerts, bei dem alle drei Musiker zur Trommel greifen. Auch durch diese Besonderheit erhält das Lied – passend zum religiös konnotierten Titel – einen rituellen Charakter. Und für die Dramaturgie ist diese herausragende Trommel-Zeremonie am Ende des regulären Sets einfach perfekt.

Als ROME nach diesem Trommelgewitter die Bühne verlässt, ertönt kräftiger Applaus. Dieser Zuspruch überrascht mich nicht, denn ROMEs famose Klangkunst wurde in den vergangenen 50 Minuten auf großartige Weise live präsentiert. Natürlich gibt es noch eine Zugabe. Sie umfasst fünf Songs. Die ersten beiden gehören in den Kreis der neuen Lieder, die nächstes Jahr auf CD erscheinen werden und zu deren Qualität ich mich schon geäußert habe.

Die folgenden drei Lieder sind sehr gut gewählt: „The Spanish Drummer“, „One Fire“ und „Swords To Rust – Hearts To Dust“. Die Lieder greifen stimmungsmäßig bestens ineinander bzw. sie ergänzen sich wundervoll. Ich denke, man kann den genialen Dreiklang, den diese Lieder bilden, so zusammenfassen: Lied eins: Melancholie. Lied zwei: Leidenschaft. Lied drei: Sehnsucht. Als ROME um 21.45 Uhr endgültig die Bühne verlässt, gibt es zu Recht erneut viel Applaus.

Im Lauf der Jahre habe ich einige ROME-Konzerte in der Kantine erlebt. Alle waren großartig. Wenn ich etwas kritisieren müsste, dann nur dieses: Die Konzerte waren zu kurz! Doch mit dieser Kritik kann ROME vermutlich ganz gut leben.

Das Verhältnis zwischen der Kantine und ROME scheint übrigens wirklich etwas Besonderes zu sein. Nach einem der Jubelstürme des Publikums betonte Jerome Reuter nämlich mit Nachdruck, dass er die Kantine sehr wertschätzt. Es gibt also Grund für die Hoffnung, dass ROME auch in der neuen Kantine ein regelmäßiger Gast sein wird. (stefan)